Amazon macht's auch nicht besser
Von Nikolas MasinEs dürfte wohl kaum jemanden wirklich wundern, dass sich die erste deutsche Spielfilmproduktion von Amazon Prime Video als hyperaktiver Klamauk entpuppt. Solche einigermaßen kurzweiligen, aber letztendlich doch völlig substanzlosen Komödien sind schließlich sowas wie unsere Spezialität. So zumindest lautet ein oft falsches, aber mitunter eben auch wahres Klischee über das deutsche Kino – und genau das unterstreicht „Traumfabrik“-Regisseur Martin Schreier mit „One Night Off“ nun auf dem zweitgrößten Streamingdienst noch einmal für die ganze Welt dick und fett.
Der Mittzwanziger Noah (Emilio Sakraya) lebt für die Nacht. Ständig besucht er Konzerte oder geht feiern. Doch mit der Geburt seines Sohnes muss er seine Prioritäten wohl oder übel anpassen. Dass er tatsächlich das Zeug zum verantwortungsvollen Vater hat, kann er beweisen, als seine Freundin Marie (Milena Tscharntke) für eine Nacht auf Dienstreise geht. Eigentlich ist ein gemütlicher Couch-Abend mit dem Sprössling geplant. Aber als Noah von seinem besten Kumpel Baumi (Helgi Schmid) erfährt, dass ihr Lieblingsclub „Tube“ heute zum letzten Mal seine Pforten öffnet, bleibt ihm keine Wahl: Ab zum Feiern – samt Baby. Doof nur, dass seine misstrauische Schwägerin Sarah (Carol Schuler) geradezu auf solch einen Moment gewartet hat und ihm ins Nachtleben hinterherschnüffelt...
Auch mit Baby will Noah (Emilio Sakraya) zumindest für eine Nacht noch mal richtig Spaß haben ...
Ist deutsche Comedy für Amazon Prime Video wirklich, wenn Metaller mit nur einer Gehirnzelle ausgestattet sind, um geradeso auf Autopilot Headbangen und das Heavy-Metal-Handzeichen geben zu können? Wenn die türkische Kiosk-Verkäuferin einen muskelbepackten Schlägertypen mit dicker Karre im Hinterzimmer auf Reserve hat, falls sie überfallen werden sollte? Wenn Ü35-Jährige eh keinen Spaß mehr am Leben haben und Ü60-Jährige völlig verwirrte Tattergreise sind? Eigentlich ja nicht – immerhin stammt auch der deutsche Comedy-Hit „LOL: Last One Laughing“ von dem Streaming-Service.
Trotzdem verlässt sich Amazon bei seinem deutschen Spielfilm-Debüt nun voll auf die gängigen (und leider gar nicht mal so lustigen) Klischees. Gewiefte Umkehrungen oder spielerische Auseinandersetzungen mit den Stereotypen sucht man hier vergebens. Selbst dann, wenn die Erwartungen zumindest auf den ersten Blick unterlaufen werden, landet man am Ende meist doch wieder mittendrin im Fettnäpfchen. Man weidet sich am Klischee und geht darin auf wie eine schrill quietschende Kreide an der Tafel – oder in diesem Fall eben wie zwei Jungs in Partylaune, die ach so „peinlich“ zu lauter Mucke im Auto mitjaulen.
Irgendwo im Film versteckt sich sicherlich eine Liebeserklärung an das Nachtleben, eine herzige Zelebration von ausgelassenem Herumblödeln, ein Schwelgen in Pre-Covid-Zeiten voll uneingeschränktem Spaß ohne jedes Social Distancing. Wenn die Feierwütigen in farbenfroh ekstatischer Zeitlupe auf dem versifften Clubboden auf und ab springen wie Kinder in einer Schlammpfütze, ist die Gute-Laune-Ästhetik jedenfalls kurzzeitig durchaus ansteckend.
Viel mehr wird aber leider nicht geboten: Ein paar obligatorische Party-Locations wie die gemütliche Dachterrassenparty, der heimische Nachtclub oder das Open-Air-Konzert werden viel zu hastig und lieblos abgeklappert. Individuellen Charme versprüht keine der seelenlosen Lichtershows. Da helfen auch keine superkurzen Rückblenden, die uns an Noahs und Baumis vielen Erinnerungen im „Tube“ teilhaben lassen – sind ja schließlich auch immer sehr ähnlich: Es wird gesoffen, bis einer umfällt. Für eine ordentlich chaotische Feier-Ekstase à la „Project X“ ist „One Night Off“ einfach nicht extrem genug. Der angestrebte Liebesbeweis bleibt flach und lässt kalt – das ist Simon Verhoeven im vergangenen Jahr mit seinem Kinohit „Nightlife“ deutlich besser gelungen.
... selbst wenn die dann nicht immer läuft wie geplant.
Das alles wäre verzeihbar gewesen, wenn im Austausch die Figuren überzeugen würden - und man beispielsweise Freundschaft anstelle der Clubs als wahrer Trigger für unsterbliche Partys herausgearbeitet hätte. Die Partybrüder Noah und Baumi sind jedoch glatter als die hochglanzpolierten Schlitten, mit denen die Protagonisten wie in einem Gangsta-Rap-Musikvideo durch die Hochhausschluchten der City cruisen.
Emilio Sakraya („4 Blocks“) gibt als Noah den handelsüblich-liebenswerten Normalo, dem willkürlich eine extreme Höhenangst verpasst wird. Helgi Schmid („Borga“) mimt unterdessen den immer zehn Dezibel zu lauten und quirligen Sidekick Baumi. Beide sind (trotz oberflächlich sympathischer Bromance-Chemie) letztendlich bloße Vehikel für schlappe Punchlines. Beim Baby ist das zu erwarten – bei den Hauptfiguren bezopft und lahm. Apropos Baby: Das Mittel-zum-Zweck-Motiv „Verantwortungsbewusstsein“ verkommt letztendlich zum Spielball für unreflektierten Spott. Frei nach dem (nicht selbstironischen) Prinzip: „Solange eine dumme Aktion gerade noch gutgegangen ist, war sie rückwirkend auch gerechtfertigt.“
Der Lichtblick: Carol Schuler („Skylines“) als durchgehend knapp am Burnout vorbeischrammende Schwägerin Sarah, die Neu-Papa Noah ordentlich Feuer unterm Hintern macht. Als selbsternannte Privatdetektivin ist sie den in der Stadt herumstreifenden zweieinhalb Jungs immer dicht auf den Fersen – jagt sie von einem Club zum nächsten. Ihre stärksten Waffen sind ihr angsteinflößend eindringlicher Blick und ihr explosives Mundwerk. Aber auch darüber hinaus läuft Sarahs kleiner Subplot-Trip nicht ganz so sehr auf dogmatischen Rostschienen wie die restliche Story, was für eine nette Kehrtwende im Finale sorgt.
Sie allein kann aber zu keinem Zeitpunkt darüber hinwegtäuschen, dass „One Night Off“ vor allem eines ist: inhaltsleer. Wem es gelingt, beide Augen zuzudrücken, dürfte die anderthalb Stunden passabel kurzweilig unterhalten werden – dem rasanten Erzähltempo sei gedankt. Wer sich den kompletten Hirn-Shutdown hingegen nicht zutraut, sollte sich den Muskelkater vom Daueraugenrollen aber lieber ersparen.
Fazit: Mit „One Night Off“ bestätigt Amazon Prime Video nun für die ganze Welt den Eindruck, den viele – wenn auch häufig zu Unrecht – vom deutschen Kino haben. Ein lauwarmer Klischee-Brei mit zumindest einem ordentlich hohen Tempo.