Der US-amerikanische Schriftsteller und Drehbuchautor Michael Herr (Full Metal Jacket) hat einmal über den Vietnamkrieg gesagt: „All the wrong people remember Vietnam. I think all the people who remember it should forget it, and all the people who forgot it should remember it.” Ob Stanley Kubrick, Francis Ford Coppola (Apocalypse Now) oder Oliver Stone (Platoon) – das amerikanische Trauma der 60er und 70er Jahre erfreut sich bis heute größter Beliebtheit unter Hollywoods Regisseuren. Im Jahr 2000 trug Joel Schumacher seinen Teil dazu bei, dass diejenigen, die den Krieg in Vietnam schon fast vergessen hatten, wieder daran erinnert wurden. Sein spannendes Kriegsdrama „Tigerland“ rückt die Ausbildung im gleichnamigen Trainingscamp in den Mittelpunkt und verzichtet dabei auf Kriegspathos und eine effektvolle Inszenierung.
Louisiana, 1971: Roland Bozz (Colin Farrell) landet mit Hunderten anderen Rekruten in Fort Polk, einem Trainingslager der US-Armee. Hier sollen die jungen Soldaten der A-Kompanie für ihren Einsatz in Nordvietnam gedrillt werden. Doch Bozz will sich der Autorität seiner brutalen Vorgesetzten nicht unterordnen. Immer wieder sorgt er für Unruhen und wiegelt so die Moral der gesamten Einheit auf. Nach der zweimonatigen Grundausbildung erkennt jedoch auch er den Ernst der Lage. Nur noch eine Woche liegt zwischen den Soldaten und der Hölle Vietnams. Und ausgerechnet diese sieben Tage sollen sie im gefürchteten „Tigerland“, einer von der Armee errichteten Provinz Nordvietnams auf amerikanischem Boden, verbringen. Schlafentzug, Kampfeinsätze und sadistische Strafmaßnahmen bereiten die Rekruten auf den Feind in Südostasien vor. Bozz realisiert, dass er da schleunigst raus muss, wenn er dem Krieg entgehen will. Doch ausgerechnet einer der Rekruten hat noch eine Rechnung mit ihm offen. Und die könnte ihn das Leben kosten…
„Tigerland – der zweitschlimmste Ort auf Erden. Dort werden sie den Krieg so wirklichkeitsnah wie möglich erleben.“ – Ausbilder Capt. Saunders
Regisseur Joel Schumacher (The Number 23, Das Phantom der Oper, Die Journalistin) hatte sich bis dato eher mit mäßigen Kinoproduktionen wie Batman Forever und dem Nachfolger und kommerziellen Misserfolg Batman & Robin einen Namen gemacht. Bis auf wenige Ausnahmen wie dem sozialkritischen Psycho-Thriller Falling Down boten seine Werke eher seichtes Unterhaltungskino, plakativ und ausladend inszeniert. Mit „Tigerland“ hob sich Schumacher deutlich von seinem bisherigen Stil ab und ließ sich dabei von der minimalistischen Optik der skandinavischen „Dogma 95“-Bewegung um Lars von Trier inspirieren. In weniger als einem Monat auf einem US-Stützpunkt in Florida gedreht, verzichtet „Tigerland“ weitgehend auf künstliche Beleuchtung, Spezialeffekte und Make Up. Insbesondere dem permanenten Einsatz der wackeligen Handkamera ist es zu verdanken, dass der Film dem Zuschauer ein Gefühl von Authentizität vermittelt. Hektische Zooms, wie sie oft in neueren Fernsehreportagen eingesetzt werden, und das grobkörnige Bild verleihen „Tigerland“ sogar ansatzweise den Charakter eines Dokumentarfilms. Unterstützt wird die realitätsnahe Inszenierung vom zurückhaltenden Score des Komponisten Nathan Larson. Die Musik scheint oft nur aus den Lautsprechern der Kulisse zu dröhnen, wenn Bozz und seine Männer beispielsweise auf einer ihrer Sauftouren durch die Bars ziehen. Lediglich im letzten Drittel des Films, wenn die Kompanie ins Tigerland verlegt wird, platziert der Komponist gezielt asiatisch angehauchte Klänge, die den Zuschauer vergessen lassen, dass die Männer sich noch immer auf amerikanischem Boden und nicht im dichten Dschungel Vietnams befinden.
„Du verdammter schwanzlutschender Mistkerl, ich werde dafür sorgen, dass du Fort Polk bis ans Meer schiebst. Ist das klar?“ – Ausbilder Sgt. Thomas zu Bozz
Weniger überzeugend ist die Geschichte. Auf persönlichen Erfahrungen während seiner Zeit in der Reservearmee beruhend, schrieb Ross Klavan das Skript zu „Tigerland“. Der Drehbuchautor wendet dabei viel Zeit auf, um den Militärapparat in seiner vollen Härte zu skizzieren. Rekruten am Rande des Nervenzusammenbruchs, die martialische Vorgehensweise der Ausbilder und der herabwürdigende Umgangston – all das verdeutlicht die strenge Hierarchie und das psychische Grauen innerhalb der Armee. Jedoch stellt sich beim Zuschauer das Gefühl ein, all das schon einmal gesehen zu haben. Zwar wird die Ausbildung der Soldaten vor ihrem eigentlichen Kampfeinsatz in Kubricks Full Metal Jacket nur im Ansatz beleuchtet. Wie zermürbend die ständige Unterdrückung ist, hat aber auch der Altmeister schon perfekt demonstriert.
„Die Jungs sagen, wenn du nicht nach Vietnam willst, dann bete entweder zu Gott oder rede mit Roland Bozz.“ – Rekrut
Zwar widmet Schumacher die volle Laufzeit seinen Protagonisten, allerdings schießt er dabei zuweilen über das Ziel hinaus. Die Charaktere sind zunächst allesamt nach bekanntem Muster gestrickt: Die Ausbilder, allen voran Sgt. Thomas (James MacDonald), dem Bozz ein ums andere Mal ans Bein pinkelt, sind erbarmungslos. Unter den Rekruten: Der gebildete Jim Paxton (Matthew Davis), der sich eine schriftstellerische Inspiration vom Krieg erhofft, der kriegslüsterne Psychopath Wilson (Shea Whigham), Miter (Clifton Collins jr.), der beweisen will, was für ein harter Kerl er ist, und natürlich der aufmüpfige Roland Bozz. Der Ire Colin Farrell (Brügge sehen… und sterben?, Miami Vice, Alexander) mimt den jungen Aufsässigen mit seinem typisch raubeinigen Charme. Sein Bozz ist eindeutig der Mittelpunkt der Handlung und als Charakter mit vielen Facetten angelegt - zu facettenreich gar, denn der typische Rebell, der mit seinen markigen Sprüchen auf den militärischen Gehorsam pfeift, entpuppt sich nicht nur als erstklassige Führungsperson, die sich ihrer Verantwortung nicht stellen will. Er scheint auch jedes juristische Schlupfloch in der Dienstvorschrift auswendig gelernt zu haben, wodurch er einem Kameraden nach dem anderen das Ausscheiden aus der Armee ermöglicht. Revoltierender Samariter oder barmherziger Rebell? Das ist zu schön um wahr zu sein. Hier wäre weniger sicher mehr gewesen.
Fazit: Joel Schumacher erfindet mit „Tigerland“ das Genre des Vietnamfilms keineswegs neu, kann aber mit seiner zurückhaltenden, authentisch anmutenden Inszenierung punkten. Lediglich die Charaktere, insbesondere der aufsässige Bozz, wirken stellenweise etwas überzeichnet. Wer sich daran nicht stört, wird mit einem spannenden und emotionalen Kriegsdrama entlohnt.