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    Drive My Car
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Drive My Car

    Eine meisterhafte Haruki-Murakami-Verfilmung

    Von Thorsten Hanisch

    Die Romane des Japaners Haruki Murakami gelten aufgrund ihres Umfangs und ihrer verschachtelten Struktur als besonders schwierig fürs Kino adaptierbar – und so wundert es auch nicht, dass während seiner bereits mehr als 40 Jahre andauernden Karriere nur sehr wenig Versuche unternommen wurden, die Prosa des Star-Schriftstellers auf die Leinwand zu transferieren. Die bisher wohl beste Verfilmung ist der gefeierte koreanische Thriller „Burning“, der lose auf einer Kurzgeschichte von Murakami basiert – und bemerkenswerterweise ist nun auch „Drive My Car“, die zweite universell gefeierte Murakami-Adaption, ebenfalls wieder die Verfilmung einer Kurzgeschichte.

    Wie zuvor Lee Chang-Dong bei „Burning“ hält sich auch Regisseur Ryūsuke Hamaguchi dabei nur bedingt an die Vorlage: Aus dem 40-seitigen Text wurde ein 179-minütiges Epos, das mit superben Schauspieler*innen, einem komplexen, aber nicht verkopften Drehbuch, einer präzisen Inszenierung und einem extrem zurückhaltend und sehr pointiert eingesetzten Soundtrack die Zeit wie im Flug vergehen lässt. „Drive My Car“ ist nach dem Hype bei seiner Weltpremiere in Cannes wenig überraschend der japanische Kandidat für den Oscar als Bester internationaler Film. Aber ganz egal, ob er dort gewinnt oder nicht – die Aufmerksamkeit von Filmliebhaber*innen rund um den Globus dürfte dem 42-jährigen Regisseur, der für „Wheel Of Fortune And Fantasy“ erst Anfang des Jahres auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, nun endgültig sicher sein.

    Yusuke Kafuku wird von den Festivalverantwortlichen gegen seinen Willen auf die Rückbank seines Autors verbannt.

    TV-Produzentin Oko (Reika Kirishima) ist vor zwei Jahren überraschend an einer Hirnblutung verstorben – und zwar kurz nachdem ihr Mann, der Theaterregisseur Yusuke Kafuku (Hidetoshi Nishijima), herausgefunden hat, dass sie ihn mit einem Schauspieler betrügt. Immer noch voller Trauer über den Tod und die Erkenntnis, dass er nicht der einzige in ihrem Leben war, nimmt Kufuke ein Engagement bei einem kleinen Theaterfestival in Hiroshima an. Er soll dort eine mehrsprachige Version des Anton-Tschechow-Stücks „Onkel Wanja“ inszenieren, in dem er früher einmal selbst als Hauptdarsteller auftrat.

    Doch vor Ort fordert die Festivalleitung, dass er eine langjährige Gewohnheit ändert: Es wird ihm aus Versicherungsgründen untersagt, selbst in seinem innig geliebten Saab 900 zur Arbeit zu fahren. Auf dem Weg, der ihm so wichtig ist, dass er sogar ein weiter weggelegenes Haus gemietet hat, hört sich der Regisseur nämlich normalerweise die von seiner Frau eingesprochenen Fassungen seiner Bühnenstücke an – eine Gewohnheit, von der er auch nach ihrem Tod nicht ablassen kann. Aber nun soll ihn die junge Misaki (Toko Miura) fahren. Der anfängliche Widerwille schmilzt allerdings dahin, als das ungleiche Duo entdeckt, dass beide einen schweren Schicksalsschlag zu verarbeiten haben…

    Blinde Flecken

    Ähnlich wie bei „Burning“ erübrigt sich auch hier ein allzu direkter Vergleich mit der Vorlage. Hamaguchi geht stattdessen sehr frei mit dem Text um und erweitert vieles, ohne dabei je das zentrale Motiv aus dem Schaffen Murakamis aus den Augen zu verlieren: der Verlust geliebter Menschen. Das geht hier Hand in der Hand mit der Erkenntnis, dass man nie wirklich weiß, was in einem anderen vorgeht, auch wenn man ihn noch so sehr vergöttert. Yusuke stört es weniger, dass seine Frau Sex mit einem anderen Mann hatte – ihrer Liebe war er sich trotzdem sicher. Stattdessen schmerzt die Erkenntnis, dass es da einen blinden Fleck in ihrer Persönlichkeit gibt, der den Witwer auch über ihren Tod hinaus nicht loslässt.

    Die bohrende Frage, was sie trotz ihrer Liebe in die Hände andere Männer trieb, veranlasst den Regisseur, den jungen, sehr attraktiven, aber nicht übermäßig talentierten TV-Star Takatsuki (Masaki Okada) als Onkel Wanja zu besetzen – denn in ihm erkennt er beim Casting einen der Liebhaber seiner Frau. Zugleich dreht sich „Drive My Car“ um verpasste Gelegenheiten: Oto wollte ihrem Mann kurz vor ihrem Tod noch etwas sagen, der verschiebt das Gespräch aus Angst aber auf den Abend – nur ist da seine Frau schon tot. Ähnlich geht es Misaki, die ihre Mutter unter sogar noch tragischeren Umständen verlor und wie ihr täglicher Fahrgast mit der Vergangenheit hadert.

    Von Takatsuki erhofft sich der trauernde Regisseur Antworten, die er sowieso nie bekommen wird.

    Die Annäherung der beiden führt allerdings zu keinem großen Aha-Moment hin – und auch die anderen „Klischee-Auflösungen“, die in den verschiedenen Beteiligten des Theaterstücks durchaus angelegt sind und die man in einem schwächeren Film wahrscheinlich auch genauso serviert bekommen hätte, bleiben aus. Hamaguchi verzichtet auf eine konventionelle (Wohlfühl-)Dramaturgie. Stattdessen erzählt er auf eine Weise, die womöglich mäandern anmutet, aber die zentralen Themen ohne jede falsche Zuspitzung auf den Punkt bringt. Dabei lässt der Film – ganz im Geiste Murakamis – vieles im Ungefähren oder sogar ganz offen. „Drive My Car“ ist ein Film, der seine Figuren ganz behutsam beobachtet – beim Autofahren, beim Proben und bei einer langsam reifenden Erkenntnis.

    Ebenso verzichtet Hamaguchi drauf, das Theaterstück im Film – was naheliegend wäre und ja auch oft so gehandhabt wird – unmittelbar als Spiegelbild der erzählten Handlung zu nutzen. Stück und Filmhandlung ergänzen sich, ohne sich gegenseitig zu (z)erklären. Die implementierten Leerstellen bleiben einfach Leerstellen. Wieso zum Beispiel Oto zu Lebzeiten, während sie Sex hatte, zu Geschichten inspiriert wurde, die ihr Mann dann am nächsten Tag aufschrieb, bleibt genauso offen wie der Grund für Takatsukis wiederholte Gewaltausbrüche. Am Ende sind es aber gerade diese Leerstellen, die das mosaikhafte, erzählerische Gerüst verdichten, einen organischen Fluss erzeugen. „Drive My Car“ fühlt sich ohnehin nicht wirklich wie ein Spielfilm, sondern mehr wie ein Stück echtes Leben an – und das läuft nun mal nicht nach den Regeln eines Drehbuchkurses ab.

    Fazit: Epische, komplexe, virtuos inszenierte und jederzeit fesselnde Verfilmung einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami.

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