Eine Niereninsuffizienz enthüllt die wahre Natur des Menschen
Von Nikolas MasinFür seine bessere Hälfte würde man alles geben, sogar das eigene Leben. Das hört man von frisch Verliebten oft. Was aber, wenn es Zeit wird, dieses Versprechen tatsächlich einzulösen – und zwar Jahrzehnte später, wenn die Luft in der Beziehung schon längst raus ist? Eine ganz so drastische Frage stellt „Risiken & Nebenwirkungen“ nicht. Hier geht es bloß um eine Nierenspende. Man hat ja schließlich zwei. Und Komplikationen sind äußerst unwahrscheinlich.
Das allein reicht aber schon aus, um offenzulegen, ob jemand sich selbst für die wichtigere Hälfte hält. Und dann bleibt nur noch die Frage: Ist so eine Spende an den Ehepartner quasi moralische Pflicht? Wirst du von deinem Umfeld geächtet, falls du es nicht tust? Basierend auf dem Theaterstück „Die Niere“ von Stefan Vögel strickt der österreichische Regisseur Michael Kreihsl mit diesem Gedankenspiel eine intime Komödie über verletzte Egos und unerfüllte Erwartungen.
Die Beziehung von Kathrin (Inka Friedrich) und Arnold (Samuel Finzi) scheint auch nach all den Jahren noch ganz harmonisch zu verlaufen ...
Die Pilates-Trainerin Kathrin (Inka Friedrich) erhält die schockierende Diagnose, an einer Niereninsuffizienz zu leiden. Nun braucht sie schnellstmöglich eine Spenderniere. Ihr Mann Arnold (Samuel Finzi), ein Architekt mit Verantwortung für 20 Angestellte, hat zwar die passende Blutgruppe, zögert aber mit der Zusage.
Als aber Götz (Thomas Mraz), ein Freund des Paares, seine Niere sofort abzutreten bereit ist, fühlt sich Arnold hintergangen – schließlich hätte er das „Vorrecht“ auf die Spende, obwohl er die Entscheidung ständig vertagt. Auch Götz' Frau Diana (Pia Hierzegger) zeigt sich wenig begeistert von der Idee. Man dreht sich im Kreis, doch Kathrins Krankheit wartet nicht – und über die offizielle Spenderliste müsste sie so um die sechs Jahre lang auf eine Niere ausharren...
Kathrin nimmt ihre Diagnose anfangs recht gefasst auf. Erst als Arnold, der von ihrer indirekten Bitte um eine Nierenspende viel mitgenommener ist als von Kathrins gefährlichem Zustand, nicht auf der Stelle sein Organ anbietet, verliert sie ihren Optimismus. Dass sie ihm die Bedenkzeit übelnimmt, macht sie mit spitzen Kommentaren und einer großen Mimik-Palette mehr als deutlich. Direkt aussprechen muss sie es nicht. Es reicht das urkomisch-borstige Subtext-Spiel, in dem Darstellerin Inka Friedrich („Gott, du kannst ein Arsch sein“) exzelliert.
Wenn sich Kathrin über die schlechte Mülltrennung ihrer Putzfrau echauffiert, weiß Arnold: Eigentlich ist der angestaute Zorn ihm gewidmet. Und wenn er sich dann noch traut anzubringen, sie solle doch nicht so ein Gesicht machen, bekommt er eine bunte Grimassen-Schau dargeboten, um den ihm genehmen Gesichtsausdruck daraus auswählen zu können.
... aber die Schockdiagnose legt offen, wie trostlos es unter der Oberfläche wirklich aussieht.
Das alles und mehr hat Arnold verdient. Die oberflächliche Sorge um die Gesundheit seiner Frau täuscht zu keinem Zeitpunkt darüber hinweg, dass er sich nichts sehnlicher wünscht als eine andere Blutgruppe, um aus dem Schneider zu sein. Sogar der Kauf einer geklauten Niere vom Schwarzmarkt wäre ihm lieber als der eigene Körpereingriff. Dass aber ein einfacher Freund sein Organ ohne großes Aufhebens an Arnolds Ehefrau abgeben würde, geht gar nicht – dann ist nämlich sein Stolz in Gefahr. Eher hält er Kathrins Operation mit dem zigsten „Ich habe noch nicht ‚Nein‘ gesagt“ hin.
Richtig ulkig und auch ein wenig traurig wird es besonders dann, wenn der von Samuel Finzi („HERRliche Zeiten“) gespielte Egoman händeringend nach Ausreden sucht – oder das Gespräch lieber auf seine neueste Schöpfung, einen besonders phallischen Turm, lenkt. Mit funkelnden Augen präsentiert er jedem einen Handy-Clip, wo das animierte Ungetüm langsam aus dem Boden wächst. Solche letztendlich recht platten freudschen Analogien werden aber leider auch über ihre Grenzen hinweg ausgereizt. Sogar eine Lampe in Form des Turmes hat er sich anfertigen lassen. „Ich bin richtig verliebt in diese Kiste“, meint Arnold über das Pendant seines besten Stückes.
Derartige Liebesbekundungen sucht man zwischen Arnold und Kathrin vergebens. Wenn die beiden sich nicht gerade mit ihren Smartphones oder einer Bergwanderung ablenken, kriegen sie sich in die Haare. Und wenn dann auch noch Götz und Diana ins Spiel kommen, entbrennen die spaßig-schnippischen Wortgefechte so richtig. Dann werden langsam alle Hüllen fallen gelassen und jahrelang unterdrückte Gefühle oder verschwiegene Affären geraten an die Oberfläche. Um Nieren und Beziehungen wird verhandelt, als gehe es um einen Schokoriegel. Das erreicht beizeiten ähnlich abstruse Züge wie der Kammerspiel-Geniestreich „Gott des Gemetzels“ – und funktioniert nur deshalb so gut, weil die vier Schauspieler*innen in Topform ihre Pointen so präzise abzufeuern wissen.
Nach einem pfiffigen Twist im letzten Filmdrittel rechnet man dann mit einer erneuten Steigerung der kreativen Kabbeleien. Stattdessen aber versumpft „Risiken & Nebenwirkungen“ allmählich bei dem Versuch, auf einer etwas ernsteren Note zu enden, ohne echte Fallhöhe zu bieten. Dafür hat sich der Film in der ersten Stunde einfach selbst nicht ernst genug genommen. Bevor sich aber größere Ermüdungserscheinungen zeigen, kappt man die Story mit einem gut pointierten kleinen Schlag in die Magengrube…
Fazit: Ein über weite Strecken sehr kurzweiliges, messerscharfes Comedy-Kammerspiel, das besonders von seinen vier starken Hauptdarsteller*innen profitiert.