Am Ende dann eben doch kein Ghibli
Von Michael MeynsDichte sattgrüne Wälder, magische Wesen, ein einsamer Held, der auf einem Hirsch reitet und sich zwischen zwei verfeindeten Völkern zurechtfinden muss. Wer bei diesen Zutaten an Filme wie „Prinzessin Mononoke“ aus dem legendären japanischen Animationsfilmstudio Ghibli denkt, liegt durchaus nicht falsch: Zwar stammt „The Deer King“ weder von Studio Ghibli und schon gar nicht von dessen Gründer und brillantem kreativen Kopf Hayao Miyazaki, aber sowohl die Co-Regisseure Masashi Ando und Masayuki Miyaji, als auch viele andere Beteiligte haben ihr Handwerk bei Ghibli gelernt. Das sieht man ihrem Film oft an – und gerade das führt leider auch dazu, dass die Schwächen im naheliegenden Vergleich mit den Vorbildern umso deutlich hervorstechen.
Das schwarze Wolfsfieber geht um und nur ein Mann scheint immun zu sein: Van, ein einsamer Krieger, der auf seinem Hirsch durch die Wälder reitet. An seiner Seite das kleine Waisenmädchen Yuna. Sie gehören dem Volk der Aquafa an, die sich in einem schier endlosen Krieg mit dem Volk der Zol befinden. Kurz vor einem Versuch, Frieden zwischen den Völkern zu erzielen, wird der Zol-König Utalu selbst von dem Virus infiziert und so könnte Vans Blut die einzige Rettung sein. Ein Arzt begibt sich auf Vans Spuren, um ein Gegengift zu finden. Der Gesuchte wiederum beginnt langsam zu begreifen, dass das Virus ihm die Möglichkeit gegeben hat, auf spiritueller Ebene mit allen Lebewesen zu kommunizieren…
Der einsam mit seinem Hirsch durch die Wälder streifende Val ist womöglich nicht weniger als der Schlüssel zur Rettung der Menschheit vor der Seuche.
Im Gegensatz zu vielen japanischen Animationsfilmen war die Vorlage für „The Deer King“ nicht etwa ein Manga, sondern die Romane von Uehashi Nahoko. Dies mag zum Teil auch erklären, warum der Film so überfrachtet und wenig fokussiert wirkt, deshalb auch nie die narrative Stringenz der Filme von Studio Ghibli erreicht. Dort hat das Regie-Duo übrigens sein Handwerk gelernt: Der Regiedebütant Masashi Ando wirkte etwa als Animations-Supervisor bei „Prinzessin Mononoke“ mit, während Masayuki Miyaji bei „Chihiros Reise ins Zauberland“ Regie bei der Second Unit führte, bevor er 2012 mit „Fusé: Memoirs Of A Huntress“ sein Regiedebüt gab.
Grundsätzlich gibt es an den Bildern von „The Deer King“ dann auch wenig auszusetzen – außer eben, dass sie einem sehr bekannt vorkommen. Zwischen sattgrünen Wäldern voller Farne und mittelalterlichen Festungsanlagen europäischer Bauart wechseln die Schauplätze – der strahlende Held Van hat eher kaukasische als japanische Gesichtszüge, die Umhänge der Kämpfer wiederum wären auch in einem Ritterfilm nicht fehl am Platz. Souverän, aber nicht besonders originell wirkt das über weite Strecken. Dennoch gelingen Ando und Miyaji immer wieder eindrucksvolle Bilder. Besonders in Momenten, in denen sich die reale Welt aufzulösen scheint und sich Van in mystischen Dimensionen bewegt, in denen dank eines verzweigten Wurzelsystems alles Lebendige miteinander verbunden ist.
In seinen besten Momenten erschafft „The Deer King“ atemberaubende, spirituell aufgeladene Bilder!
Doch zwischen solch fantastischen Momenten liegt auch viel Leerlauf, in denen „The Deer King“ mäandert und sich an einer überfrachteten Geschichte voller Nebenfiguren abarbeitet. Auch der überdeutliche Verweis auf einen der ganz großen Miyazaki-Filme, nämlich „Prinzessin Mononoke“, wo es ebenfalls um eine Seuche ging und das Verhältnis von Mensch und Natur verhandelt wurde, erweist sich nicht unbedingt als Vorteil: Sich an den Besten zu orientieren ist zwar grundsätzlich nie verkehrt – wenn das aber zu kaum mehr führt als Zitaten, dann fehlt einfach etwas.
Schade also, dass die Regisseure nicht mehr aus den interessanten Ansätzen machen, die „The Deer King“ durchaus zu bieten hat. Besonders das Thema einer Seuche, deren Auswirkungen die Menschen zu spalten droht, erscheint in Zeiten von Corona höchst aktuell. Doch im Wust von Figuren und Erzählsträngen ist dies nur ein Aspekt unter vielen – genauso wie auch „The Deer King“ am Ende nicht mehr ist als ein Animationsfilm unter vielen.
Fazit: Bei Studio Ghibli haben die Regisseure Masashi Ando und Masayuki Miyaji zwar ihr Handwerk gelernt, doch an das große Vorbild kommen sie mit „The Deer King“ nicht heran. Nur in einzelnen Momenten gelingen ihnen in ihrer inhaltlich überfrachteten Abenteuergeschichte große, spirituell aufgeladene Bilder, die mehr sind als Variationen von bekannten und besseren Filmen.