DIE MÄDCHEN AUS DER STREICHHOLZEFABRIK
von MIchael Grünwald / filmgenuss.com
Da ist er wieder, unser taufrischer Springinsfeld, und dieses Jahr 18 geworden: Milly Bobby Brown. Diesmal bleibt der Shooting-Star von Nasenbluten verschont und wirft auch keine Dämonen gegen Wände. Als Eleven gibt sie in Stranger Things die zur Kultfigur gewordene Auserwählte, die zwischen Upside Down und unserer Welt steht. Als Enola Holmes ist sie besagte Schwester des berühmten Sherlock und so hyperaktiv, das man sich allein schon beim Zusehen tiefer in die Couch gräbt. Diese Übermotivation spiegelt sich auch in Browns Mimik, die, als wäre sie der Character eines Comics, in überhöhter Expressivität alle möglichen Gefühlslagen, die ein junger, positiv gestimmter, aber manchmal auch recht impulsiver Mensch an Emotionen nur so darstellen kann. Das ist anstrengend, das muss auch für Bobby Brown anstrengend gewesen sein, denn sie gibt alles, und weiß auch, dass sie das kann, denn nicht umsonst wanderten für diese Rolle (angeblich) satte 10 Millionen auf ihr Konto. Netflix wird das schon wieder einnehmen, denn Enola Holmes 2 ist Event-Kino für Daheim, dass Jung und Alt und ganze Familien gleichermaßen konsumieren können, ohne verstört das Feld zu räumen, auch wenn manchem Opfer das Messer aus der Brust ragt.
Harry Bradbeer übernimmt auch diesmal wieder die Regie, und alles, was mit Gewalt, Mord und Tod zu tun hat, wird Teil einer vergnüglichen, latent spannenden Schnitzeljagd, die sich geschichtlicher Fakten annimmt, welche ganz gut in unsere Zeit passen und so schwindelerregend brisante Themen wie tobsüchtige Konzerngewalt, mit Füßen getretene Menschenrechte und die Diskriminierung der Frau einer tüchtigen Enola Holmes um den Latz knallen. Natürlich zeigt sie sich engagiert und entsprechend aufsässig, ganz so wie ihre Mutter (Helena Bonham Carter), die, wie wir aus Teil 1 noch wissen, untertauchen musste. Dabei beginnt alles mit der Bitte eines Mädchens aus einer Streichholzfabrik, sich ihrer verschwundenen Kommilitonin anzunehmen, die ebenfalls dort gearbeitet hat und nun als vermisst gilt. Holmes forscht nach und erregt dabei das Interesse ihres Bruders Sherlock (Henry Cavill), der gerade an einem ganz anderen Fall arbeitet, welcher aber, wie es scheint, doch irgendwie mit jenem seiner kleinen Schwester zusammenhängen muss. Es wird herumgeschlichen und investigiert, es werden Verdächtigungen geäußert und es klicken bei Enola sogar mal die Handschellen. Das alles vor dem Hintergrund des 1888 stattgefunden Streiks rund um Sarah Chapman, die seitdem als Pionierin im Bestreben, Fairness am Arbeitsplatz zu gewährleisten, in die Geschichte der Gleichberechtigung eingegangen ist.
So richtig hemdsärmelige Unterhaltung bietet sich hier, mit moralischer Korrektheit und einem ekelhaft fiesen David Thewlis (zuletzt ähnlich diabolisch in der Serie The Sandman). Jenseits dieser Abgründe erlebt Bobby Brown Abenteuer, die jugendliche Detektivinnen nun mal so erleben – vom Tatort eines Mordes bis hin zum Walzertanz mit üblichen Verdächtigen und natürlich dem Herzbuben. Bradbeers Film ist akkurat und überlässt gar nichts dem Zufall. Es wäre fast zu meinen: Hier ebnen Formeln den Weg zum Erfolg, die so sicher funktionieren sollen wie das Amen im Gebet. Wäre diese Offensichtlichkeit nicht schon genug, betreibt Hollywood mit Enola Holmes 2 Besetzungspolitik im observierenden Scheinwerferlicht der Diversität. Gut möglich, dass erst die Debatte ums Casting für Die Ringe der Macht mich selbst dahingehend sensibilisiert hat, dass mir nun die Matrix dahinter so sehr aufzufallen scheint. Da Hollywood von heute auf morgen und so plötzlich seine politisch korrektes Soll erfüllen will, bleibt der Nachgeschmack wohl einer jener Sorte, die daran erinnert, dass Schauspieler nicht in erster Linie deswegen besetzt werden, weil sie der verlangten Rolle entsprechen würden, sondern aufgrund ihres ethnischen Steckbriefs. Das macht Enola Holmes 2 zu einem durchgetakteten und daher wenig spontanen Unterhaltungsfilm, der mit gutem Betragen beeindrucken will. Natürlich ist der Film handwerklich top, und Bobby Brown erhält aufgrund ihres burschikosen Verhaltens eine Vorzugsnote, doch hinter dieser strebsamen Gefälligkeit fühlen sich die gesellschaftspolitische Agenden doch nur oberflächlich an.
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