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    Saw X
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Saw X

    Je mehr Jigsaw, desto besser!

    Von Christoph Petersen

    Natürlich gilt der originale „Saw“ unter Genrefans längst als moderner Klassiker (auch FILMSTARTS hat das damals direkt erkannt). Aber die internationale Kritik war 2004 offenbar einfach noch nicht so weit: Bei 193 gesammelten Besprechungen auf dem Aggregatoren-Portal Rotten Tomatoes kommt der fiese Folter-Horror trotz seiner cleveren Schlusspointe gerade einmal auf 50 Prozent positive Kritiken – und damit auf eine Gesamteinstufung als „Rotten“ (= „Vergammelt“).

    Bei den Fortsetzungen ging es dann – ganz so wie man es auch von einer Horror-Reihe erwartet - erst mal immer weiter bergab mit „Saw II“ (37 Prozent), „Saw III“ (29 Prozent), „Saw IV“ (18 Prozent) und „Saw V“ (13 Prozent). Dann ein kleines Zwischenhoch mit „Saw VI“ (39 Prozent), bevor mit „Saw VII“ (9 Prozent) der Tiefpunkt der Reihe erreicht wurde. „Saw 8: Jigsaw“ (32 Prozent) und „Saw 9: Spiral“ (37 Prozent) brachten auch nicht den erhofften Umschwung.

    Der erste gute "Saw"-Film?

    Aber nun stehen da bei Teil 10, wo sich einige Horror-Franchises wie dieses oder dieses bereits aus purer Verzweiflung in Richtung Weltall verabschiedet haben, plötzlich 79 Prozent positive Kritiken – das bedeutet das erste offizielle „Fresh“-Rating (= „Frisch“) der gesamten Reihe! Als „Saw“-Fan könnte man es da fast schon mit der Angst bekommen: Haben die Verantwortlichen jetzt womöglich ihre künstlerische Ader entdeckt und statt einer saftigen Folterorgie einen anbiedernden Kritikerliebling abgeliefert? Das wäre ja wirklich der Horror! Aber Pustekuchen:

    Reihen-Veteran Kevin Greutert, der die Teile 1 bis 5 geschnitten und bei „Saw VI“ und „Saw VII“ bereits schon zwei Mal die Regie übernommen hat, liefert mit „Saw X“ eigentlich nur das gute alte, sprich sadistisch-schmerzhafte Folterapparaturen-Blutbad. Nur dass in diesem zwischen den Geschehnissen von „Saw“ und „Saw II“ angesiedelten Prequel erstmals nicht die Opfer, sondern Jigsaw selbst im Zentrum steht – und so ist es ausgerechnet ein psychopathischer Serienkiller, der dem Franchise auf seine alten Tage noch einmal eine gänzlich unerwartete emotionale Tiefe verleiht.

    „Ich möchte ein Spiel spielen…“

    Nach dem gewaltsamen Tod seines ungeborenen Sohnes wurde aus dem fürs Allgemeinwohl eintretenden Bauingenieur John Kramer (Tobin Bell) der Serienmörder Jigsaw, der seinen Opfern jedoch immer noch eine letzte Chance gibt: Wenn sie sich rechtzeitig aus seinen Folterfallen befreien können (in der Regel, indem sie sich selbst massive Verletzungen zufügen), dann haben sie für ihre moralischen Verfehlungen genug bezahlt und eine zweite Chance verdient. Allerdings hat John einen Hirntumor – und sein Arzt gibt ihm nur noch wenige Monate zu leben.

    Seine einzige Chance: Eine vielversprechende experimentelle Therapie der Ärztin Cecilia Pederson (Synnøve Macody Lund), bei der zusätzlich zu einer operativen Entfernung des Tumors noch ein spezieller Medikamenten-Cocktail verabreicht wird. Allerdings ist die Prozedur noch nicht offiziell zugelassen: Big Pharma will das offenbar unbedingt verhindern, weil ja sonst die Umsätze mit lukrativen Krebsmedikamenten wegbrechen würden. Also fliegt John nach Mexiko – und wird in einer geheimen Location operiert. Oder etwa doch nicht? Als er feststellen muss, dass die ganze Therapie nur eine Betrugsmasche ist, sinnt er mit Hilfe seiner Assistentin Amanda Young (Shawnee Smith) auf Rache – natürlich in der üblichen Jigsaw-Manier…

    Tobin Bell ist ganz klar der MVP!

    Es ist leider nicht offiziell überliefert, wie oft sich die „Saw“-Verantwortlichen in den vergangenen 17 Jahren selbst in den Arsch gebissen haben, weil sie Jigsaw bereits in Teil 3 sterben ließen. Aber es werden schon einige Male gewesen sein, selbst wenn damals natürlich noch nicht absehbar war, wie lang es mit dem Franchise noch so erfolgreich weitergehen würde. Die obligatorischen Jigsaw-Rückblenden in den nachfolgenden Filmen entfalteten jedenfalls längst nicht mehr denselben Impact – schließlich war ausgerechnet der sadistische Killer mit seiner verqueren Moral zu so etwas wie dem schlagenden Herz der Reihe geworden. Aber jetzt ist er zurück – und rückt dabei auch noch erstmals ins Zentrum seines eigenen Franchises!

    Die punktgenaue Besetzung von Tobin Bell war dabei natürlich eher ein Zufallstreffer. Schließlich lag der Schauspieler fast den gesamten ersten Film hindurch einfach nur „tot“ in der Mitte des Badezimmers herum – und James Wan konnte ja noch gar nicht wissen, dass er hier nicht nur eine Mini-Nebenrolle, sondern den Part eines der ikonischsten Killer der Kinogeschichte besetzt. Vor allem in „Saw X“ zahlt sich das verschroben-humanistische Charisma des Stars nun voll aus: Kevin Greutert lässt sich erstaunlich viel Zeit für das eröffnende Krebsdrama – und damit vor allem für John Kramers falschen Hoffnungsschimmer. Wenn Jigsaw in früheren Teilen schon mal geldgierige Investmentbanker*innen oder Pharmavertreter*innen in seine Fallen eingespannt hat, konnte man schon mal das Gefühl bekommen, dass es da vielleicht nicht die allerfalschesten trifft. Aber diesmal drückt man zum ersten Mal tatsächlich nur ihm die Daumen!

    Auch Jigsaws Assistentin Amanda Young (Shawnee Smith) spielt bei der Umsetzung des Plans wieder eine zentrale Rolle!

    Was die Jigsaw-Apparaturen angeht, scheinen dem Autorenduo Pete Goldfinger und Josh Stolberg die perversen Ideen weiterhin nicht auszugehen. Wir wollen nicht zu viel verraten, aber gleich der Auftakt hat es in sich: Einem diebischen Klinikhausmeister bleiben nur wenige Sekunden, um sich aus der Falle zu befreien – denn in der Zwischenzeit zerrt ein gepimpter Staubsauger immer stärker an seinen Augäpfeln, bevor sie aus den Augenhöhlen ploppen (und durch einen erfreulich durchsichtigen Gummischlauch mit einem saftig-schmatzenden Geräusch verschwinden). Das passt also schon mal!

    Die Wendungen speziell in der zweiten Hälfte sind hingegen größtenteils vorhersehbar – und vielleicht auch nicht immer hundertprozentig logisch zwingend. Aber selbst das macht dank der guten Chemie zwischen Jigsaw und Amanda gleich viel weniger aus, zumal die norwegische Schauspielerin Synnøve Macody Lund („Verschwörung“) einen diebischen Spaß daran zu haben scheint, mit der vermeintlichen Krebs-Koryphäe Cecilia Pederson einen Charakter zu entwerfen, den man so gerne hasst wie vermutlich noch keine Figur in der gesamten „Saw“-Reihe zuvor…

    Fazit: Gibt es ja auch eher selten, dass eine Horror-Reihe mit dem zehnten Teil noch mal richtig einen raushaut: Ziemlich genau 20 Jahre hat es gedauert, bis die Verantwortlichen endlich (!) auf die Idee gekommen sind, dem Fanfavoriten Jigsaw mehr Platz einzuräumen – aber hey, besser spät als nie!

     

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