Nur die besten Zutaten – und trotzdem kein guter Film
Von Michael S. BendixAuf dem Papier ist „Empire Of Light“ der Prototyp eines Prestigefilms, wie gemacht dafür, die Oscar-Verleihung im Sturm zu erobern. Es ist eine unmögliche Liebesgeschichte im Spannungsfeld von Rassismus-Erfahrungen und psychischen Krankheiten, ein Historienfilm und Ode an die Magie des Kinos – inszeniert von Erfolgsregisseur Sam Mendes (Oscar für „American Beauty“), besetzt mit Olivia Colman (Oscar für „The Favourite“) und bebildert von Kamera-Legende Roger Deakins, der für die immersiven Kriegspanoramen von „1917“ vor drei Jahren seinen zweiten Oscar erhielt.
Aber manchmal helfen auch die scheinbar sichersten Zutaten nicht: Nachdem „Empire Of Light“ bei ersten Festival-Screenings eher verhalten aufgenommen wurde, ist auch der Preisregen ausgeblieben – gerade einmal Deakins' Kamera konnte bei den Oscars 2023 eine Nominierung einheimsen. Doch woran liegt es, dass die bewährte Formel diesmal nicht aufgegangen ist?
Als Stephen (Michael Ward) einer Taube den Flügel bandagiert, verliebt sich Hilary (Olivia Colman) unsterblich in ihn.
England in den 1980er-Jahren. Margaret Thatcher hat als britische Premierministerin ein Klima aus Nationalismus und sozialer Kälte etabliert. Im Londoner Stadtteil Brixton wehrt sich die schwarze Community gegen rassistische Polizeigewalt, derweil nutzen Neonazis die grassierende Arbeitslosigkeit und die daraus resultierenden Unsicherheiten, um ihren ideologischen Wahn auf die Straßen zu tragen. Der Mikrokosmos des traditionsreichen Empire Cinema, das an der südenglischen Küste in direkter Nachbarschaft zum Meer liegt, scheint von den gesellschaftlichen Spannungen jedoch bislang unberührt.
Für die zurückgezogen lebende Hilary (Olivia Colman), die hier schon lange am Empfang arbeitet, ist das Kino der einzige Interaktionsort – wenn auch nicht annähernd der safe space, auf den der fast freundschaftliche Umgang mit ihren Kolleg*innen anfangs hindeutet: Ihr Chef Mr. Ellis (überraschend schmierig: Colin Firth) beutet sie sexuell aus, und ihre mutmaßliche bipolare Störung hat Hilary nur vermeintlich im Griff. Eines Tages stößt mit dem jungen Stephen (Michael Ward) ein neuer Angestellter zum Team, den Hilary einarbeiten soll. Es dauert nicht lange, bis sich die beiden gegen viele Wahrscheinlichkeiten auch privat näherkommen …
… und damit die ersten Probleme von „Empire Of Light“ offenbar werden: Die Romanze zwischen Hilary und Stephen bleibt von Anfang an reine Behauptung – ohne entsprechendes Fundament ist es schwer zu schlucken, dass sich diese beiden Menschen, die lebensweltlich und altersmäßig mehr trennt als verbindet, auf magische Weise zueinander hingezogen fühlen. Sie ist etwa Anfang 50, gezeichnet von Einsamkeit und langjährigen psychischen Leiden, über die Grenzen der kleinen Küstenstadt denkt sie schon längst nicht mehr hinaus. Er hingegen lebt nur vorübergehend bei seiner Mutter und betrachtet den Kinojob als temporäre Lösung, denn eigentlich träumt der Mittzwanziger von einem Architekturstudium in Bristol. Auch er trägt seelische Versehrungen mit sich herum, die anders als bei Hilary allerdings von außen kommen: Als Schwarzer sieht sich Stephen regelmäßig rassistischen Anfeindungen ausgesetzt.
Wenn Hilary ihn mit den Räumlichkeiten des Filmtheaters vertraut macht und ihn dabei lautstark zurechtweist, als er sich über einen gebrechlichen Gast lustig macht, erinnert das eher an ein Lehrerinnen-Schüler-Verhältnis. Im Anschluss soll uns aber eine einzige Sequenz plausibel machen, wie aus dem distanzierten Arbeitsverhältnis eine Liebesbeziehung wird: Als Hilary dem Neuling den seit Jahren geschlossenen, allmählich verfallenden Restaurantbereich zeigt, verarztet Stephen einer Taube den gebrochenen Flügel – und wenn Sam Mendes daraus prompt eine alles erklärende Metapher baut, ist das genauso cringe, wie es sich liest.
Toby Jones steuert als Filmvorführung weise Sprüche über die Kraft des Kinos bei, die sich dann aber doch meist nur als die üblichen Allgemeinplätze entpuppen.
Auch das prachtvolle Silvesterfeuerwerk, das den ersten Kuss auf der Dachterrasse des altehrwürdigen Kinogebäudes einläutet, kann nicht über die Skriptschwächen sowie die mangelnde Chemie zwischen Colman und Ward hinwegtäuschen. Das Kernproblem von Mendes' neunter Regiearbeit ist trotzdem ein anderes: Obwohl der Regisseur zum ersten Mal ein komplett selbstgeschriebenes Drehbuch verfilmt hat, wirkt das Endergebnis seltsam unpersönlich – ganz so, als finde Mendes keinen Zugang zu seinem eigenen Ausgangsmaterial.
Dadurch entsteht zwischen Skript und Inszenierung schnell eine Schere: Noch nie hat sich Mendes derart offensiv in Gefilde des Kitsches vorgewagt – aber die romantische Emphase, die es bräuchte, um auch einen solchen Kitsch glaubhaft ans Publikum zu bringen, bleibt ihm fremd. Passend dazu wahrt Deakins' wie üblich um Perfektion bemühte, aber dabei fantasie- und leblose Kamera fast durchgehend einen Sicherheitsabstand zu den Charakteren: „Empire Of Light“ ist geprägt von Totalen und Halbtotalen, nur äußerst selten ringt sich der Film zu einem Close-up durch – was im Rahmen eines um große Gefühle ringenden Melodrams umso stärker ins Gewicht fällt.
Nur für wenige Momente gelingt es Mendes, zumindest anzudeuten, wo sich inmitten seines statischen Dramas interessante Potenziale verstecken könnten. Einmal zum Beispiel weist Stephen einen Stammgast auf das Essensverbot im Kinosaal hin, woraufhin sich dieser als lupenreiner Rassist entpuppt, der sich das N-Wort gerade so verkneifen kann. Hilary interveniert zwar, springt Stephen aber nur halbherzig zur Seite: Statt den alten Mann des Kinos zu verweisen, versucht sie, die Wogen zu glätten und den rassistischen Besucher nicht zu verprellen. Auch wenn Hilary sich selbst nicht als Rassistin versteht, schreckt sie im entscheidenden Moment davor zurück, öffentlich als Verbündete aufzutreten – und leistet damit auf passive Weise einen Beitrag zu Stephens Ausgrenzung. Bevor es aber allzu unbequem werden könnte, löst Mendes die Szene in einem klärenden Gespräch mit anschließendem Steine-Flitschen auf.
Und das Kino-Setting, das „Empire Of Light“ früh Vergleiche mit dem etwa zeitgleich erschienenen Spielberg-Meisterwerk „Die Fabelmans“ einbrachte, Bleibt über weite Strecken austauschbare Staffage. So wenig Mendes über seine Figuren und die sie umgebenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu sagen hat, so wenig fällt ihm auch zum Kino ein. Wenn Toby Jones als Filmvorführer über die „Magie der bewegten Bilder“ doziert, erschöpft sich sein Monolog in abgestandenen Allgemeinplätzen. Und dass der Eingang zu den Sälen mit dem Satz „Finde das Licht in der Dunkelheit“ überschrieben ist, fungiert ebenfalls nur als weitere schwerfällige Metapher.
Fazit: Nach eigenem Drehbuch hat „American Beauty“-Regisseur Sam Mendes seinen bisher schwächsten Film geschaffen – ein leeres und distanziertes Melodram, das zwar in seinem Plot die Kraft des Kinos heraufbeschwört, sie jedoch selbst nie findet.