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    Gosford Park
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Gosford Park
    Von Carsten Baumgardt

    Er war schon einmal weg vom Fenster. Von Hollywood beleidigt und verschmäht, weigerte sich Regie-Legende Robert Altman standhaft, in Amerika zu drehen. Bis 1992. Dann gelang ihm mit der grandiosen Filmbiz-Satire „The Player“ ein famoses Comeback, in dem der Altmeister Hollywood in bitterböser Manier den Zerrspiegel vorhielt. Abgesehen vom phänomenalen, labyrinthischen L.A.-Kaleidoskop „Short Cuts“ (1993) ging es stetig bergab bis hin zur lieblosen Auftragsproduktion „Dr. T & The Women“ (2001). Doch gerade bevor ihn alle abgeschrieben hatten, gelingt Veteran Altman im Alter von 77 Jahren noch einmal ein großer Wurf. Seine kammerspielartige Gesellschafts-Analyse „Gosford Park“ heimste acht Oscarnominierungen ein und wurde für das beste Original-Drehbuch verdientermaßen ausgezeichnet. Altman hat im Herbst seiner Karriere nichts von dieser Schärfe und seinem glasklaren Blick verloren.

    Den Schein wahren. Das ist in den 30er Jahren im Vereinigten Königreich das Wichtigste. Das altgediente Ständesystem funktioniert noch prächtig, wer Geld hat oder von adliger Herkunft ist, bestimmt den Rhythmus des Lebens - so scheint es jedenfalls. An einem Wochenende versammelt sich auf Gosford Park, dem feudalen Landsitz des steinreichen Sir William McCordle (Michael Gambon) und seiner Frau Lady Sylvia (Kristin Scott Thomas), die komplette Verwandtschaft sowie einige Gäste aus Amerika, um an einer Jagdgesellschaft teilzunehmen. Das Problem: McCordle ist ein egozentrisches Ekelpaket, aber er hat das Geld, von dem alle mehr oder minder abhängig sind. Jeder versucht auf seine Weise, den Geldfluss nicht versiegen zu lassen.

    Quasi in einer Parallelwelt lebt das Hauspersonal, schließlich hat jeder Adlige einen Diener oder eine Zofe. Aber auch in der realeren Welt des Dienstpersonals herrscht eine strenge Hackordnung, deren raue Sitten sich nicht sonderlich von den feinen Herrschaften unterscheiden. Chef-Butler Jennings (Alan Bates) und die oberste Hausdame Mrs. Wilson (oscarnominiert: Helen Mirren) führen ein strenges Regiment. Das bekommt die naive Jung-Zofe Mary (Kelly MacDonald aus „Trainspotting“), die sich schnell mit dem ersten Hausmädchen Elsie (Emily Watson) anfreundet, zu spüren. Als das Intrigenspiegel gerade auf dem Höhepunkt angelangt ist, geschieht ein Mord. Und ausnahmslos jeder ist verdächtig...

    Robert Altman, der ungekrönte König der messerscharfen Gesellschaftskritik, wagt sich mit seinem Spätwerk „Gosford Park“ auf den ersten Blick auf ungewohntes Terrain. Nämlich ins feudale Vorkriegs-England des Jahres 1932. Doch bei genauerer Betrachtung macht Altman nur das, was ihn immer ausgezeichnet hat: Er seziert genüsslich, auf nüchterne Art und Weise, aber in letzter Konsequenz bitterböse, die Manierismen der Gesellschaft. Unter der glattpolierten Oberfläche lodern ganze Flächenbrände menschlicher Tragödien, Verfehlungen, Gemeinheiten, Falschheiten und Boshaftigkeiten, die kurz vor der Eruption sind. Niemand will das Gesicht verlieren, deshalb sagt auch keiner offen seine Meinung. Nur Sir William, aber der bestimmt mit seinem Reichtum, wo es langgeht. Richtig offen reden die arroganten, spleenigen Herrschaften nur mit ihrem Personal, von denen sie Loyalität bis zur Selbstaufgabe verlangen und bekommen.

    Altman versteift sich nicht auf eine Perspektive. Im Gegenteil. Die meiste Zeit blickt der Zuschauer durch die Augen des Dienstpersonals auf das Geschehen. Am Anfang fällt es nicht leicht, einen Überblick zu gewinnen, weil „Gosford Park“ ein gut zwei Dutzend starkes Ensemble in die verbalen Scharaden schickt, aber nach einiger Zeit hat man alle Figuren sortiert und erfreut sich am ausgeklügelten Ränkespiel. Der besondere Verdienst von Altman und seinem oscarprämierten Drehbuchautor Julian Fellowes ist das Kunststück, den fast zahllosen Figuren in kürzester Zeit Charakter auf den Leib zu schneidern, ohne dabei in Klischees zu verfallen. Der Zuschauer ist allerdings gefordert. Wer nicht mitdenkt, wird keinen Spaß an „Gosford Park“ haben. Wer sich die Mühe macht, wird dagegen belohnt: mit Filmkunst auf höchstem Niveau.

    Nach dem analytischen Teil wechselt mit dem Mord die Gangart. Dies ist kein ernsthafter Versuch eines Whodunit-Thrillers, denn Altman ist ebenso wenig wie Inspektor Thompson (Stephen Fry) an der Auflösung interessiert. Vielmehr setzt der Beginn der Untersuchung eine Reihe von menschlichen Tragödien in Gang, die zutage gefördert werden. Der Schein einzelner bröckelt mehr und mehr. Und unter der erstarrten Kruste der Emotionslosigkeit brechen zum Schluss alle Dämme und einige unbequeme Wahrheiten kommen ans Licht. Doch interessieren tut sich dafür niemand, weil jeder ausschließlich mit sich selbst beschäftigt ist. Bis auf die zunächst naive Mary, die als einzige (für den Zuschauern) den vollen Überblick behält und aus ihrer gewonnenen charakterlichen Reifheit die Konsequenzen zieht.

    Standesgemäß in edle Bilder verpackt und getragen vom vorzüglichen, aus der britischen Schauspielelite rekrutierten Ensemble „atmet“ jede Szene Atmosphäre und Ambiente. Die Kamera schwebt virtuos durch den „Gosford Park“ - hier ein Gesprächsfetzen im Salon, weiter geht’s zum nächsten potenziellen Zündstoff-Herd, bis hinab in den Keller, wo das Personal über die Macken ihrer Dienstherren herzieht. Obwohl Altman die Gemeinheiten und Boshaftigkeiten entlarvt, die Charaktere gar verspottet, nimmt er den Protagonisten niemals die Würde, bleibt letztendlich auf einer menschlichen Ebene. Und das ist zutiefst sympathisch. Hart, aber herzlich...

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