Mein Konto
    Ach du Scheiße!
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Ach du Scheiße!

    Kann ein Dixi-Klo das deutsche Genrekino retten?

    Von Jochen Werner

    Alfred Hitchcock hat seine ganze Karriere hindurch immer davon geträumt, einen Film zu drehen, der ausschließlich in einer Telefonzelle spielt. Erst im wirklich allerletzten Moment vor dem endgültigen Aussterben öffentlicher Telefone griffen Hollywood-Handwerker Joel Schumacher und B-Picture-König Larry Cohen diese Idee noch einmal auf: „Nicht auflegen!“ ist ein solider Thriller, der jedoch selbstredend weit unter dem Niveau des „Psycho“-Regisseurs blieb. So ganz trauten Schumacher und Cohen dieser radikalisierten Form des Kammerspiels und der damit einhergehenden Einheit von Raum und Zeit allerdings sowieso nicht – es gibt in „Nicht auflegen!“ mehr als genug Szenen, die dann doch außerhalb der Zelle spielen.

    So, und damit kommen wir nun von Alfred Hitchcock zu einem deutschen Independentfilm, der „Ach du Scheiße!“ heißt und über die komplette Laufzeit von 90 Minuten ausschließlich in einem Dixi-Klo spielt! Glücklicherweise hat Regiedebütant Lukas Rinker den Master Of Suspense offenkundig sorgsam studiert. Doch fangen wir erst einmal mit der Prämisse an, die hier wirklich bis zum Letzten ausgereizt wird: Der Architekt Frank (Thomas Niehaus) wacht in einem umgestürzten Dixi-Klo auf. Sein Arm wurde von einer rostigen Metallstange aufgespießt, weshalb sein Bewegungsradius stark eingeschränkt ist. Sein Handy steckt im Klotank, was die Kontaktaufnahme mit der Außenwelt nicht komplett unmöglich, aber doch ziemlich eklig macht.

    Ganz schön düstern für eine Komödie - "Ach du Scheiße!" funktioniert auch deshalb, weil sie Situation im Dixi-Klo angemessen dreckig und ausweglos präsentiert wird.

    Von draußen hört man immer wieder den bayerischen Bauunternehmer und Bürgermeisterkandidaten Horst (Gedeon Burkhard), der in schmierigster Gutsherren-Art launige Ansagen über Lautsprecher macht: Man befindet sich auf einer Baustelle, auf der in gut einer halben Stunde eine große Sprengung stattfinden soll. Was Frank in diese Situation gebracht hat, setzt sich erst allmählich aus Erinnerungsfetzen und aktuellen Entwicklungen zusammen. Aber viel drängender ist ja sowieso die Frage, was ihn dort noch rechtzeitig wieder rausholen könnte…

    Bei einem deutschen Independent-Genrefilm mit einem Titel wie „Ach du Scheiße!“ kommt man vermutlich nicht umhin, erst einmal das Schlimmste zu erwarten. Das klingt nach Amateurfilmtristesse unter Verzicht auf jegliches Handwerk nebst Hinwendung zu allerlei albernem Fäkalhumor. Umso schöner, wenn der Film dann – zumindest zum größten Teil – doch ganz anders ist, als man befürchtet hatte. Denn der Frankfurter Langfilmdebütant Lukas Rinker versteht eine Sache sehr gut: Will man überzeugendes Genre- und Exploitation-Kino machen, dann funktioniert das nur, wenn man noch die bekloppteste Idee zunächst einmal ernst nimmt.

    Klaustrophobie trifft Karikatur

    „Ach du Scheiße!“ funktioniert dann eben auch deshalb über weite Strecken ziemlich gut, weil Rinker die vermeintliche Ausweglosigkeit von Franks Klaustrophobie auslösender Situation für voll nimmt. Das Karikaturistische ist zwar auch immer da, bleibt aber buchstäblich zunächst einmal draußen und tönt von dort in Form der launigen Biertischreden von Horst immer wieder per Lautsprecher übers Szenario hinweg, bis es dann kurz vor Schluss doch noch zur direkten Konfrontation der beiden Handlungssphären – von innerhalb und außerhalb des Dixi-Klos – kommt. Und so lächerlich Franks Lage objektiv auch wirken mag, die Inszenierung bleibt nah genug bei ihm und seinem Todeskampf, um diesen selbst keineswegs ins Lachhafte zu verzerren. Stattdessen bleibt der Schmerz seines verstümmelten Arms so real wie seine Angst und Verzweiflung spürbar – jedenfalls so lange, bis Rinker dann zum großen Showdown hin doch alle Gäule durchgehen und das bis dahin minimalistische Kammerspiel doch noch zum Funsplatter-Holzhammer greift.

    Dieses grelle Finale funktioniert für sich genommen auch durchaus gut und erinnert etwa an die liebevoll durchgeknallten Genrefilmhommagen der Niehorster Brüder Simon und Thilo Gosejohann, die der Welt nach „Captain Cosmotic“ und ihrem Opus Magnum „Operation Dance Sensation“ eigentlich auch endlich mal einen dritten Langfilm schuldig wären. An diesem Punkt im Film kann es hingegen auch etwas ernüchternd wirken, da die besseren Passagen des vorherigen Films eigentlich – abgesehen von ein paar allzu doofen Witzeleien, etwa um einen Klodeckel, der gleich dem Volleyball Wilson in „Cast Away“ zu Franks einzigem Gesprächspartner wird – in einem ganz anderen Modus funktionieren.

    Grandios als diabolischer Bürgermeister: Gedeon Burkhard milkt den Dialekt seiner Figur bis zum Gehtnichtmehr!

    Über weitere Strecken geht es nämlich in „Ach du Scheiße!“ viel eher um ein grundsolides Erzähl- und Inszenierungshandwerk in Sachen Spannungskino als um eine fröhlich-parodistische DIY-Attitüde – und daraus spricht ein Talent, das man im (lustigen) deutschen Genrekino vielleicht so seit den frühen Werken von Peter Thorwarth wie dem Kultfilm „Bang Boom Bang“ nicht mehr gesehen hat. Und dass Rinker dann noch Geschmack beweist und den wohl zu Promo-Zwecken unvermeidlichen B-Promi-Gastauftritt (hier: Micaela Schäfer) mit einer der großen Pophymnen der Münchener Freiheit unterlegt, gibt dann gleich nochmal einen Sympathiebonus obendrauf.

    Fazit: Viel besser und ambitionierter, als Titel und Prämisse erwarten lassen! Ein bisschen zerrissen ist das alles noch zwischen ernstem Thriller-Kammerspiel und greller Parodie mit Fäkalhumorfetisch und Funsplatterfinale. Aber in den besten Passagen zeigt Regiedebütant Lukas Rinker, dass er ein großes Talent und ein Hoffnungsträger des deutschen Genrefilms sein könnte. Schaut euch „Ach du Scheiße!“ unbedingt an – falls die Rettung des heimischen Genrekinos ausgerechnet in einem umgestürzten Dixiklo beginnen sollte, könnt ihr später sagen, ihr seid dabei gewesen!

    Wir haben „Ach du Scheiße!“ im Rahmen des Hard:Line-Festivals 2022 gesehen, wo der Film seine Weltpremiere gefeiert hat und mit dem Publikumspreis für den besten Langfilm ausgezeichnet wurde.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top