Die Frage ist simpel. Ist es notwendig, Alexandre Dumas Abenteuer-Klassiker „Der Graf von Monte Cristo“ aus dem Jahre 1844 zum x-ten Mal zu verfilmen? Notwendig wohl nicht, aber im Fall von Kevin Reynolds Neuversion durchaus sinnvoll. Der Action-Spezialist entstaubt die klassische Saga um Freundschaft und Verrat, Liebe und Schmerz zeitgemäß. In hochglänzenden Bildern bringt er die Geschichte gut gespielt auf den neuesten Stand.
Der junge Seemann Edmond Dantes (Jim Caviezel) ist unerschrocken, mutig und vor allem loyal. Als sein Captain im Sterben liegt, setzt er durch, ihn auf der Insel Elba behandeln zu lassen. Dort halten die Engländer den französischen Kaiser Napoleon (Alex Norton) im Exil unter Verschluss. Obwohl die Franzosen alles andere als gern gesehen sind, gelingt es Dantes und seinem Freund Fernand Mondego (Guy Pearce), angehört zu werden. Edmond hat sogar Kontakt zu Napoleon und soll einen Brief mit nach Marseille nehmen, um ihn dort zu übergeben. Das wird dem gutgläubigen Dantes zum Verhängnis. Ausgerechnet sein bester Freund Mondego ist es, der eine Verschwörung gegen Edmond einfädelt. Dantes, der aus einfachen Verhältnissen stammt, wird für seinen Heldenmut und seine Loyalität zum Kapitän befördert und steht kurz vor der Hochzeit mit der zauberhaften Mercedes (Dagmara Dominczyk). Dieses Glück verkraftet der reiche Mondego nicht, Neid und Eifersucht sind stärker...
„’Montecristo’ ist die Geschichte eines Mannes auf der Reise in die Abgründe seiner Seele“, bringt Hauptdarsteller Jim Caviezel („The Thin Red Line“) Kevin Reynolds stilvolle, äußerst elegante Neuverfilmung auf den Punkt. Reynolds setzte sich zum Ziel, neue Aspekte zu finden und betonte deshalb einige Fakten - eng an der Romanvorlage - eindringlicher als in vorherigen Adaptionen. Und tatsächlich gelingt dem „Robin Hood“- und „Waterworld“-Regisseur eine eigenständige Version, die ihre Berechtigung hat. Eine Mischung aus Realismus, Action und starker Charakterzeichnung hatte Reynolds nach eigener Aussage im Sinn und erleidet mit diesem Vorhaben keinen Schiffbruch.
Mit jungen, unverbrauchten Gesichtern - das gilt auch für Guy Pearce, dessen famose Leistungen in „Priscilla - Königin der Wüste“, „L.A. Confidential“ und „Memento“ einem großen Publikum leider verborgen blieben - will Reynolds der Voreingenommenheit der Zuschauer entgegen treten. Und so schafft es Caviezel auch glaubhaft, die Wandlung des naiven Dantes in den kaltherzigen, rachesüchtigen Graf von Monte Cristo greifbar zu machen. In dem in England geborenen Australier Pearce hat Caviezel einen vorzüglichen Gegenspieler, aus dessen Mimik in jeder Szene die pure Arroganz und Überheblichkeit spricht. Auch die polnisch-stämmige Newcomerin Dagmara Dominczyk ist der Erwähnung wert. Mit ihrer Zerrissenheit aus Vergangenheit und Zukunft kann sie Akzente setzen und hat zudem eine herausragende Szene mit Pierce als es um die Herkunft ihres gemeinsamen Sohnes geht.
Besonderen Wert legten Reynolds und sein Autor Jay Wolpert auf die lange Exposition, welche die Motivation der Figuren genau ausleuchtet. So sind Edmond und Fernand die besten Freunde, die schon einiges zusammen durchgemacht haben. Auch das 13-jährige Martyrium im Kerker des Chateau D’If fällt wesentlich ausführlicher aus als in vorhergegangenen Verfilmungen. Der Charakter des weisen Priesters Abbe Faria (brauchte sich nicht verkleiden: Richard Harris) ist ebenfalls erweitert worden. Trotzdem wirkt der Abschnitt etwas zu lang, gerade bevor der Zuschauer das Interesse zu verlieren droht, startet „Montecristo“ aber wieder durch und begegnet der absoluten Tristesse der Gefängnisinsel mit der überbordenden Opulenz der Pariser High Society in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Überhaupt bietet das mit 40 Millionen Dollar moderat budgetierte Projekt faszinierende, atmosphärische Bilder, prachtvolle Bauten und detailgetreue Sets, die hauptsächlich in Irland und auf Malta entstanden.
Was also ist „Montecristo“ vorzuwerfen? Wenig. Etwas nervend ist die Tatsache, dass Jim Caviezel bei seiner Rückkehr als Graf sehr wohl als Edmond zu erkennen ist und es somit recht unglaubwürdig ist, dass niemand Dantes identifiziert.
Die Handlungsebene des Rachefeldzugs, den sich der zu unermesslichem Reichtum gekommene Graf von Monte Cristo leistet, ist auf Grund der erweiterten Einführung notwendigerweise stark gekürzt worden. Das ist auf der einen Seite schade, auf der anderen aber verzeihlich, weil dies der stärkere Teil des Films ist. Wunderschön photographiert, mit hohem Maß an Emotionen gespielt, reißt auch die auf gut zwei Stunden Spielzeit eingekürzte Variante einfach mit, sodass Kevin Reynolds „Montecristo“ im Gesamteinruck überzeugen kann.