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    November
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    November

    Schlaflos gegen den Terror

    Von Christoph Petersen

    Sieben Jahre nach den koordinierten Terrorattacken in Paris, bei denen insgesamt 130 Menschen ums Leben gekommen sind, scheint nun die Zeit für die filmische Aufarbeitung gekommen: „Frieden, Liebe und Death Metal“ handelt von einem Paar, das die Anschläge im Konzertsaal Bataclan überlebt hat und nun irgendwie ins Leben zurückfinden muss. Vor einer ähnlichen Herausforderung steht auch der Familienvater in „Meinen Hass bekommt ihr nicht“, der seine Frau in dieser Nacht verloren hat und nun die Welt mit einem Facebook-Post zu Tränen rührt. Auch „Paris Memories“ erzählt von der (Un-)Möglichkeit, nach den Anschlägen vom 13. November 2015 einfach so weiterzuleben. Nur die bislang mit Abstand größte Produktion zu diesem Thema fällt da aus der Reihe …

    … denn in „November“ zeichnet Genre-Spezialist Cédric Jimenez die Arbeit der Anti-Terror-Einheit SDAT in den Stunden und Tagen nach den Anschlägen nach. Sein fiebrig-treibender Inszenierungsstil erinnert dabei an „Flug 93“, in dem Paul Greengrass die Anschläge von 9/11 ebenfalls in Form eines streng-prozeduralen Thrillers aufarbeitet. Das Problem ist nur: Die Jagd auf die flüchtigen Terroristen besteht hauptsächlich aus Schreibtischarbeit – und wenn dann ein SWAT-Team einen mutmaßlichen Terroristen oder einen potenziellen Helfer festnimmt, gibt es – mit einer hochexplosiven Ausnahme – kaum Gegenwehr. Und so wirkt Jimenez‘ unbedingter Wille zum großen Genre-Kino, der seine vorherigen Werke wie „Der Unbestechliche“ oder „Bac Nord - Bollwerk gegen das Verbrechen“ immer ausgezeichnet hat, diesmal mitunter eher erzwungen als naheliegend.

    Wie sich Zivilist*innen die Jagd auf Terroristen vorstellen …

    Bei einem Zugriff in Griechenland ist dem französischen SDAT-Agenten Fred (Jean Dujardin) erst vor einigen Monaten der belgische Terrorist Abdelhamid Abaaoud knapp durch die Lappen gegangen. Es ist der 13. November 2015 und während sich an diesem Abend die offiziellen Todeszahlen immer weiter auftürmen, stürmen die Pariser Anti-Terror-Agent*innen in ihre Zentrale, wo sie die nächsten Tage – mit kaum oder gar keinem Schlaf durcharbeiten – werden, um die für die Anschläge verantwortlichen Terroristen sowie ihre Helfer und Hintermänner Dingfest zu machen.

    Da werden Social-Media-Profile ausgewertet, abgehörte Telefonate überprüft und Tausende Hinweise von Zeug*innen auf ihre Glaubwürdigkeit und Werthaltigkeit abgeklopft. Schnell erhärtet sich dabei die Vermutung, dass Abdelhamid Abaaoud gar nicht wie angenommen bei einem Luftangriff in Syrien ums Leben gekommen ist, sondern auch als Drahtzieher hinter diesen Attacken stehen könnte. Mit der zunehmenden Übermüdung wächst auch der Wille, den Terroristen nicht noch einmal davonkommen zu lassen…

    Der Terror selbst wird nicht reproduziert

    Statt der Anschläge selbst zeigt Cédric Jimenez nur Fußballfans, die sich in einer Kneipe das wenige Kilometer entfernt im Stade de France ausgetragene Freundschaftsspiel zwischen Frankreich und Deutschland ansehen. Die SDAT-Agentin Inès Moreau (Anaïs Demoustier) versucht zudem später einmal, sich ein YouTube-Vidoe aus dem Bataclan anzusehen, bricht es aber nach den ersten durch den Saal hallenden Schussgeräuschen sofort wieder ab. Das reicht als Chiffre für die bekannten Schrecken dieser Nacht auch vollkommen aus und der für das Drehbuch ebenfalls mitverantwortliche Regisseur entgeht so direkt der Gefahr, in ausbeuterische Fahrwasser zu geraten. Es gibt schließlich mehr als genug populistische Terror-Filme, die erst einmal den Hass des Publikums (wieder-)auflodern lassen, um dann ein einfaches Spiel zu haben.

    „November“ ist da insofern eine angenehme Ausnahme, als dass er sich wirklich ganz auf die Arbeit der im Angesicht der Situation meist erstaunlich besonnen agierenden Beamt*innen konzentriert. Opfer kommen nur vor, um Aussagen zu machen – und die Täter lediglich dann, wenn sie verhört oder verhaftet werden. Aber das heißt nicht, dass „November“ ein zurückhaltender oder gar sachlicher Film wäre, ganz im Gegenteil. Cédric Jimenez hat das Genre im Blut – und so werden hier selbst Google-Suchanfragen und Telefongespräche inszeniert, als würde er sich damit für die Regie des nächsten 007-Blockbusters bewerben wollen. Was auch immer es wert ist: „November“, der mit seinen nur 100 Minuten Laufzeit für eine reale Terror-Geschichte eh weniger ausführlich als gewohnt ausfällt, fühlt sich angesichts der tragischen Thematik erstaunlich kurzweilig an.

    … und wie die Jagd auf Terroristen wirklich aussieht!

    Leider gleiten die Dramatisierungen aber auch immer wieder ins Klischee ab – und erreichen so am Ende das genaue Gegenteil, weil sie der Erzählung kaum Spannung hinzufügen, aber ihr einen Teil ihrer Wucht nehmen: Die persönliche Verbindung von Fred zum Strippenzieher der Anschläge, den er nur wenige Monate zuvor entkommen ließ, ist eine ebenso typisch-filmische Hinzudichtung wie die Momente, in denen die Agent*innen bei einer Observierung nur dank eines Sekundenbruchteils der sicheren Entdeckung entgehen. Nicht übertrieben sind hingegen die Verhaftungen – und wo entwickelt es sich fast schon zu einer Art Running Gag, wenn mal wieder ein SWAT-Team eine Tür auframmt, dann aber gerade nicht die aus dem Blockbuster-Kino gewöhnte Action-Szene folgt.

    Nur ganz am Schluss, wenn es zur ja auch in der Realität hochexplosiven Konfrontation mit Abdelhamid Abaaoud kommt, lässt Jimenez all das raus, was sich die eineinhalb Stunden zuvor bei dem Action-Fan an Inszenierungs-Wut angestaut hat: Da wird so sehr aus allen Rohren geschossen, bis vom Reihenhaus kaum noch etwas übrig ist. Das knallt und birst mit einer brachialen Wucht, wie es nur wenige Regisseure beherrschen – und da wünscht man sich dann schon irgendwie, dass sich Jimenez als nächstes wieder einen Stoff aussuchen möge, bei dem er von der vor allem von Google-Recherchen geprägten Realität weniger stark an die Leine gelegt wird.

    Fazit: Cédric Jimenez verarbeitet die Anti-Terror-Ermittlungen in den Tagen nach den Paris-Anschlägen zu einem konsequent-fiebrigen und deshalb auch erstaunlich kurzweiligen (Action-)Thriller. Das ist handwerklich über jeden Zweifel erhaben, wirkt mitunter aber auch ganz schön forciert: Denn – abgesehen von der finalen Stürmung – sind die realen Vorkommnisse für großformatiges Spannungskino eigentlich gar nicht sonderlich gut geeignet.

    Wir haben „November“ auf dem Filmfest Hamburg 2022 gesehen.

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