Der Rassismus im deutschen Fußball hat sich nur verändert
Von Lars-Christian Daniels„Das Einzige, was sich über all die Jahre nicht verändert hat im Fußball, ist, dass man es immer wieder mit dummen Menschen zu tun hat, die letztlich auf irgendetwas stolz sein wollen. Und dann ist das vielleicht nur die Hautfarbe.“ So eine Aussage von HSV-Trainer Daniel Thioune vor wenigen Tagen in einem Podcast. In seiner Karriere als Spieler war der in der Nähe von Osnabrück geborene Deutsch-Senegalese in Stadien häufig verbal attackiert worden. „Wenn man als Fußballspieler irgendwo im Osten unterwegs ist und Zehntausend rufen ‘Haut den Neger um‘, dann löst das sicherlich etwas aus.“
Denn so integrativ und völkerverständigend der Sport auf dem Platz und in der Kabine sein mag, ergibt sich auf den Tribünen bisweilen ein anderes Bild: Man muss nicht lange zurückgehen, bis man auf einen Rassismusvorfall im deutschen Profifußball stößt, der groß durch die Medien ging. Am 4. Februar 2020 wurde Abwehrspieler Jordan Torunarigha beim DFB-Pokal-Auswärtsspiel der Berliner Hertha bei Schalke 04 mit Affenlauten provoziert und ließ sich vor der Trainerbank zum Wegwerfen einer Getränkekiste hinreißen. Der Schiedsrichter ahndete die Aktion mit einem Platzverweis. Was sich in der Arena wirklich abgespielt hatte, kam erst nach der Partie ans Licht, obwohl Torunarigha bereits auf dem Platz geweint hatte und von seinen Mitspielern getröstet werden musste.
2006 wurde Gerald Asamoah als Teil des deutschen Sommermärchens gefeiert - aber die rassistischen Ausfälle rissen auch danach nicht ab.
Filmemacher Torsten Körner („Angela Merkel: Die Unerwartete“) widmet sich in seiner Dokumentation „Schwarze Adler“, die am 15. April 2021 bei Amazon Prime startet und am 18. Juni ihre Free-TV-Premiere im ZDF feiert, nun genau diesem Thema: Rassismus gegenüber dunkelhäutigen Fußballspielern, der oft im Jugendbereich beginnt und selbst im Trikot der Nationalmannschaft noch lange nicht aufhört. Anders als der WDR, der im Januar 2021 zu seiner vielkritisierten Talkrunde „Die letzte Instanz“ allein Gäste einlud, die von Alltagsrassismus überhaupt nicht betroffen sind, wählt Körner genau den entgegengesetzten Ansatz: Er lässt in seinem Film ausschließlich diejenigen zu Wort kommen, die unter Rassismus zu leiden haben. Und ihre Geschichten sind erschütternd.
In seinem Film geben schwarze Fußballerinnen und Fußballer mehrerer Generationen Einblick in ihre Vita, ihre Erfahrungen und ihr Seelenleben: Von Erwin Kostedde, der als Sohn einer deutschen Mutter und eines US-Soldaten in den 70er Jahren im DFB-Trikot debütierte, über die Hamburger 60er- und 80er-Jahre-Legenden Guy Acolatse und „Jimmy“ Hartwig sowie 90er- und 2000er-Jahre-Helden wie Anthony Baffoe, Otto Addo oder „Helmut“ Cacau bis hin zu aktuellen Profis wie Jean-Manuel Mbom und Jordan Torunarigha, dessen Vater ebenfalls in der Bundesliga kickte. Aus der Perspektive der Frauen sprechen die frühere Nationalspielerin Steffi Jones, Ex-FIFA-Botschafterin Shary Reeves und Beverly Ranger, die als zweite Frau überhaupt ein Tor des Monats erzielte.
Körner arbeitet sich zwar nicht streng chronologisch vor, rahmt die O-Töne der Sportler aber mit entsprechendem Archivmaterial: Seine gut 100-minütige Dokumentation beginnt mit Ausschnitten der Nationalelf aus der NS-Zeit und endet mit der Alexander-Gauland-Entgleisung über die Nachbarschaft von Jerome Boateng und dem einleitend erwähnten Pokalspiel von 2020. Am Rande fließt auch Alltagsrassismus fernab der Fußballplätze mit ein – etwa durch Ausschnitte eines Persil-Werbespots, der Reportage „Toxi lebt anders“, einem rassistischen Sketch aus der Roberto-Blanco-Show von 1973 oder Nachrichtensendungen zu den Anschlägen von Mölln und Solingen. Auch dadurch wird klar: Die Fremdenfeindlichkeit hat sich zwar verändert und gestaltet sich heute subtiler als noch in den 60er Jahren, aber sie ist zweifellos immer noch da. Wer daran ernsthafte Zweifel hegt, dem sei „Schwarze Adler“ ganz dringend ans Herz gelegt – und allen anderen auch.
Denn wie sehr der Rassismus, der von den Verantwortlichen damals gar nicht als solcher erkannt wurde, auch medial bis in die späten 80er Jahre hinein gelebt wurde, zeigen allein die irritierenden Ausschnitte aus der Sportschau oder dem Aktuellen Sportstudio, in denen dunkelhäutige Spieler permanent nach ihrer eigentlichen Herkunft gefragt oder anderweitig vorgeführt werden. Der Auszeichnung der Jamaikanerin Beverly Ranger ging 1975 etwa ein Einspieler des Songs „Schön und kaffeebraun (sind alle Frauen in Kingston Town)“ voraus, während Tony Baffoe vor laufender Kamera die Frage beantworten muss, warum er denn ausgerechnet hier geboren sei, wenn seine Eltern doch aus Ghana kämen. Während das Studiopublikum damals brav applaudierte, möchte man heute die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Bundesliga-Star Tony Baffoe entwickelte einen selbstbewusst-offensiven Humor, um mit Rassismus umzugehen.
Torsten Körner lässt die Sportler ihre Auftritte im Fernsehen einordnen, manchmal bleiben die Szenen aber auch unkommentiert, so dass die peinlich deplatzierten Fragen für sich sprechen. Nur selten verliert er dabei den Fokus: Der vielgezeigte Kommentar von ZDF-Moderator Wim Thoelke bei einem abwertenden Bericht über Frauenfußball („Decken, decken, nicht Tisch decken!“) nach jahrzehntelangem Verbot durch den DFB hat mit Rassismus recht wenig zu tun, zeigt aber zugleich, dass chauvinistischer Machohumor 1970 nicht nur am Stammtisch salonfähig war. Witze über „schwarze Perlen“ halten sich jahrzehntelang. Und noch in den 90er Jahren dürfen rechte Dumpfbacken am Stadionzaun ihre Parolen in die Mikrofone der Reporter plärren.
Während die persönlichen Erfahrungen der Sportler betroffen und fassungslos machen, gestaltet sich der Umgang der Zitatgeber mit den Anfeindungen hochinteressant und heterogen. Erwin Kostedde merkt man in jeder Sequenz an, wie sehr ihn das Gefühl, an der Seite von Franz Beckenbauer oder Berti Vogts ein Fremdkörper im Team mit dem Adler auf der Brust zu sein, in seinen Leistungen gebremst hat. Tony Baffoe (berühmtes Zitat: „Du kannst bei mir auf der Plantage arbeiten.“) und Guy Acolatse, der die Zuschauer in den 60er Jahren fast wie eine Zirkusattraktion anlockte, haben hingegen die Flucht nach vorn angetreten und für sich einen selbstbewusst-humorvollen Umgang mit Rassismus gefunden. Jungprofi Jean-Manuel Mbom, der im weltoffenen Umfeld von Werder Bremen ausgebildet wird, hat entsprechende Erfahrungen kaum gemacht und auch Patrick Owomoyela kam erst durch eine NPD-Kampagne so richtig mit dem Thema in Berührung.
Auch das „Sommermärchen“ von 2006, dessen allgemeine Euphorie substanzielle Probleme im deutschen Fußball in den Hintergrund gerückt hat, darf in der Dokumentation nicht fehlen: Schwarz-rot-gold-geschminkte Fans jubeln auf der Berliner „Fanmeile“ Gerald Asamoah zu, nur um später schweigend mitanzusehen, wie „Asa“ im Trikot von Schalke 04 bei einem Pokalspiel in Rostock mit Affenlauten verhöhnt wird. Asamoah ist einer der Protagonisten, der am ausgiebigsten zu Wort kommt, und was er als Ex-Profi von Hannover 96 gemeinsam mit Otto Addo von einem Spiel in Cottbus zu berichten weiß, trifft uns ins Mark. Seine Erzählungen von rechten Eltern mit nachplappernden Kindern reihen sich nahtlos ein in Geschichten, die man bisher kaum in dieser Ausführlichkeit und Intensität erzählt bekam. Da hätte es die leisen Klänge der Nationalhymne, die in melancholisch angehauchten Sequenzen zu Bildern der Fußballer mit geschlossenen Augen eingespielt werden, als verstärkendes Stilmittel gar nicht gebraucht.
Wer in den letzten Jahren einmal in einem Fußballstadion gewesen ist, der weiß, dass rassistische Vorfälle im Hier und Jetzt noch immer stattfinden, aber gern überhört werden. Rassismus lässt sich an jedem Wochenende beobachten, von Aachen bis Aue, vom hitzigen Nordderby vor zehntausenden Zuschauern bis hin zum kaum beachteten Provinzkick in der Bayernliga. Viel zu selten wird dabei beherzt eingegriffen – so wie beim Drittligaspiel von Preußen Münster gegen die Würzburger Kickers, als Fans der Adlerträger im Februar 2020 einen Rassisten auf der Tribüne offen als Nazi benannten und er noch im Stadion von der Polizei verhaftet werden konnte. Es liegt auch an uns selbst, an diesem traurigen Zustand endlich etwas zu ändern.
Fazit: Torsten Körner legt den Finger in die Wunde der deutschen Gesellschaft und macht mit seiner Dokumentation „Schwarze Adler“ eindringlich deutlich, dass Rassismus im Fußball nicht der Vergangenheit angehört, sondern sich nur verändert hat.