Das Leben nach dem Terror
Von Björn BecherAm Freitag, den 13. November 2015, stürmte islamistische Terroristen den Pariser Club Bataclan, wo an diesem Abend ein Rock-Konzert der Band Eagles Of Death Metal stattfand. Die Eindringlinge fingen sofort an, mit automatischen Gewehren zu schießen, 89 Menschen starben. In der eben noch fröhlich feiernden und nun um ihr Leben zitternden Menge war auch Ramón González. Was er erlitten hat, verarbeitete er schließlich in dem Buch „Frieden, Liebe und Death Metal“ - wobei er nicht nur ausführlich die Geschehnisse jene Nacht schildert, sondern auch die Zeit danach.
Die Verfilmung verschiebt den Fokus nun sogar noch stärker auf die Zeit nach dem Terroranschlag und trägt deshalb konsequenterweise auch im Original den Titel „Un año, una noche“ (deutsch: „Ein Jahr, eine Nacht“). Regisseur Isaki Lacuesta („Die nächste Haut“) erzählt in seinem berührenden Drama, das in Deutschland unter dem Buchtitel erscheint, viel über die unterschiedlichsten Arten der Trauerbewältigung – ohne dabei wie ein moralisches Lehrstück zu wirken oder sich dem Voyeurismus anderer Filme über Terroranschläge oder Amokläufer hinzugeben.
Ramón (Nahuel Pérez Biscayart) und Céline (Noémie Merlant) haben den Terroranschlag auf das Bataclan überlebt. Schon der nächste Morgen zeigt, wie unterschiedlich sie damit umgehen. Während er kaum aus dem Bett kommt, erledigt sie online Einkäufe und macht die Wäsche. Céline will schnell zurück in den Alltag und sich nicht mit dem schrecklichen Anschlag beschäftigen. Sie behauptet, in der Nacht nichts weiter gesehen zu haben – und informiert nicht einmal ihre eigenen Eltern, dass sie im Bataclan war.
Ramón wird dagegen von den Bildern der Nacht gejagt. Er bekommt Panikattacken, geht auf Drängen von Céline in Therapie. Dort wird ihm empfohlen, seine Erinnerungen aufzuschreiben. Das führt dazu, dass Ramón sein bisheriges Leben über den Haufen wirft und sogar seinen Job kündigt. Während er versucht, sich jedes Details jener Nacht ins Gedächtnis zu rufen, drängt sie das Geschehen immer weiter von sich weg. Die verschiedenen Weisen, mit der Trauer und dem Terror umzugehen, entzweit das spanisch-französische Paar zunehmend...
Es ist kein Zufall, dass im Filmtitel das eine Jahr der einen Nacht vorangestellt wird. Vor allem auf die Tage, Wochen und Monate danach konzentriert sich Regisseur Isaki Lacuesta und findet dabei immer wieder eindringliche, erschütternde Bilder. Der Umgang mit einem Trauma ist individuell sehr unterschiedlich und für Außenstehende kaum nachzuvollziehen – das macht auch „Frieden, Liebe und Death Metal“ sehr deutlich. Dass Lacuesta nicht zu erklären anfängt, sondern uns einfach nur Fragmente der Trauerarbeit zeigt, macht sein Drama lange schwer greifbar. Um die Nachvollziehbarkeit der Handlungen der Protagonist*innen geht es aber auch gerade nicht. Wir können sie nur in ihrem Schmerz beobachten.
Die Kamera hat so anfangs auch immer wieder etwas Voyeuristisches. Oft fängt sie das Paar aus der Ferne, durch Schaufenster oder aus einem Café heraus ein. Das schafft eine Distanz, die erst nach und nach abgebaut wird, wenn dann auch die Kamera immer öfter immer näher heranrückt. Dabei verschiebt sich der Fokus langsam von Ramón zu Céline, deren anfangs so harte Fassade zu bröckeln beginnt, während sie die weggeschobenen Ereignisse jener Nacht doch noch einholen.
Céline und Ramón feiern im Bataclan.
Die schneidet Lacuesta teilweise nur als Fetzen, später aber auch als immer ausführlichere Passagen in das übrige Geschehen. Unklar bleibt dabei, wie viel davon wirklich Rückblende ist, wie viel womöglich falsche Erinnerung und was Albtraum. In jedem Fall sind die Momente eindringlich – auch weil der spanische Regisseur beim Blick auf das Drama, das nicht nur Frankreich, sondern die Welt erschütterte, gerade keinen voyeuristischen Ansatz wählt.
Die wackelnde Handkamera ist nah an den Opfern und im Getümmel. Es ist chaotisch und unübersichtlich. Während in Filmen über Anschläge oft die Täter begleitet werden, sind diese hier kein einziges Mal zu sehen. Auch die Leichen auf dem Boden werden nicht eingefangen. „Frieden, Liebe und Death Metal“ bleibt hier konsequent gar nah dran an den Überlebenden, an ihrem Martyrium.
Die stärkeren Bilder und Momente stammen aber trotzdem aus dem Jahr danach. Es sind immer wieder Einzelszenen, die in Erinnerung bleiben. Ramón, der sich nach einer Panikattacke nicht mehr aus einem Museumscafé traut. Ein alkoholreicher Abend mit einem befreundeten, in jener Nacht ebenfalls anwesenden Paar, bei dem man sich in gekünstelter guter Stimmung erst einmal die peinlichsten Aufmunterungsnachrichten (Churchill-Zitat, Queen-Songtitel) vorliest, bevor die Stimmung kippt.
Am allerstärksten ist „Frieden, Liebe und Death Metal“ jedoch, wenn die Emotionen völlig durchbrechen. Als sich Céline endlich öffnet und anvertraut, ist die Kamera dann auch ganz nah am Gesicht der einmal mehr herausragenden Noémie Merlant („Porträt einer jungen Frau in Flammen“). Wenn der längst überflüssige Tränenfluss einsetzt, ist das ein ergreifender Moment. Jegliche Distanz, die „Frieden, Liebe und Death Metal“ durch die teilweise sehr fragmentarische Erzählung mit vielen Zeitsprüngen aufbaut, ist hier endgültig überwunden.
Fazit: Ein starkes Drama, das weniger den Terroranschlag im Bataclan selbst als vielmehr das Jahr danach in den Mittelpunkt rückt.
Wir haben „Frieden, Liebe und Death Metal“ im Rahmen der Berlinale 2022 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.