Der nächste Anlauf nach 15 Jahren
Von Sidney ScheringDas Phänomen „Die drei ???“ begann 1968 als US-Jugendbuchreihe, die damals noch zu Marketingzwecken mit dem Namen und Konterfei von Alfred Hitchcock warb. Der Meisterregisseur („Vertigo“) hat zwar nie für die Reihe geschrieben, war aber mit ihrem Schöpfer Robert Arthur befreundet und daher willens, als Schirmherr zu fungieren. Diesen Anfängen ist die Marke längst entwachsen: Zahlreiche deutsche Autor*innen haben ihr mit eigenen Buchabenteuern ihren Stempel aufgedrückt. Noch wichtiger aber sind die Hörspiele mit den Stimmen von Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich. Mehr als 210 reguläre Folgen, etliche Specials und Live-Auftritte sorgten dafür, dass die jugendlichen Spürnasen nun gleich von mehreren Generationen in erster Linie mit diesen unvergleichlichen Stimmtalenten in Verbindung gebracht werden.
Der übermächtige Schatten der Hörspiele dürfte ein Mitgrund dafür sein, dass „Die drei ???“ im Kino bislang allerdings nur eine Nebenrolle spielten: 2007 versuchte man zwar, angefangen mit „Das Geheimnis der Geisterinsel“, eine Filmtrilogie in die Wege zu leiten. Mangels Erfolg endete die in englischer Sprache gedrehte Reihe aber bereits nach dem zweiten Teil „Das verfluchte Schloss“ schon wieder. 15 Jahre später wagt man nun einen Neuanfang: Unter der Regie von Tim Dünschede („Limbo“) wird in „Die drei ??? – Erbe des Drachen“ weniger auf Humor und Action gesetzt als in den früheren Verfilmungen. Stattdessen durchleben Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews einen Familienkrimi mit kinderfreundlichem Gruseleinschlag.
Die drei ??? sind diesmal nur kurz in Rocky Beach, bevor es ans Filmset nach Europa geht.
Justus Jonas (Julius Weckauf) ist belesen und hat eine außergewöhnliche Kombinationsgabe. Deshalb agiert er als Kopf des jugendlichen Schnüffler-Trios „Die drei ???“, zu dem auch noch der scheue Athlet Peter Shaw (Nevio Wendt) sowie der auf Recherchen und Archivarbeit spezialisierte Bob Andrews (Levi Brandl) gehören. Im kalifornischen Rocky Beach haben die Freunde bereits einige Mysterien gelüftet, doch nun geht es für sie auf den alten Kontinent: Sie absolvieren ein Praktikum am Filmset des Grusel-Reboots „Dracula Rises“. Dort sollen sie unter Anleitung von Peters Vater (Mark Waschke) der Effekt-Crew unter die Arme greifen. Aber sonderbare Vorkommnisse überschatten die Dreharbeiten im Schloss der Gräfin Codrina (Gudrun Landgrebe). Haben diese womöglich etwas mit den rätselhaften Vorfällen rund um einen verschwundenen Jungen zu tun, die das Schloss bereits vor 50 Jahren in die Schlagzeilen brachten?
Es ist mittlerweile gute Tradition, dass „Die drei ???“-Projekte außerhalb der Haupt-Hörspielreihe immer auch einen gewissen Grad an Selbstironie aufweisen. So musste beispielsweise Peter während eines Live-Hörspiels der Frage ausweichen, wie alt er eigentlich sei – schließlich ist es ihm und seinen Freunden anzuhören, dass sie seit 1979 von denselben Sprechern vertont werden. Der von Regisseur Tim Dünschede und seinem Co-Autor Anil Kizilbuga geschriebene Kinofilm hält sich mit solchen ironischen Metaspäßen allerdings weitestgehend zurück. Stattdessen gibt es mal galanten Fanservice, etwa in Form einer vage an Hitchcock erinnernden Dekofigur oder eines Buchcovers im Stile der „Die drei ???“-Stammmalerin Aiga Rasch. Andere Male werden recht dreist Folgentitel zitiert. Dennoch ist es sicher kein Zufall, dass der Film-im-Film „Dracula Rising“ als das Wagnis einer jungen Regisseurin bezeichnet wird, einen Klassiker neu zu erfinden.
Dabei ist „Die drei ??? – Erbe des Drachen“ allerdings eine vergleichsweise behutsame Modernisierung. So integriert Dünschede etwa moderne Technologie selbstbewusster in die Handlung als es in den Romanen und Hörspielen üblich ist. Jedoch gestattet der Regisseur solchen Gimmicks keine Dauerpräsenz, sondern siedelt den Film in einer Art medialer Zwischenwelt an: Obwohl Smartphones existieren, lesen die Fragezeichen ganz altmodisch Tageszeitung – und Bob fährt zur Recherchearbeit weiterhin in eine Bibliothek. Die grundlegende Story wurde zudem vom Filmproduktionsteam in Kooperation mit André Marx erarbeitet, der bereits seit den 1990er-Jahren Fälle für „Die drei ???“ verfasst und sich dabei stilistisch stark an den Ursprüngen der Reihe orientiert.
Selbst wenn es so manchen Fan sicherlich enttäuschen wird, wie schnell wir im Film das einladend gestaltete Rocky Beach wieder verlassen, so ist „Erbe des Drachen“ anzumerken, dass er einen Großteil seiner kreativen DNA mit der Vorlage gemein hat. Das beginnt schon bei den vielen kleinen Schreckmomenten, die dann schnell wieder als harmlos aufgelöst werden: Peter denkt, dass im Werkschuppen seines Vaters etwas Grausames passiert – aber dieser probt nur gerade mit einem Filmschwert. Es deutet sich kurz an, dass Übernatürliches geschieht, doch es gibt eine praktische Erklärung. Und so weiter, und so weiter...
Zwischen den drei ??? besteht nicht immer Einigkeit, ob man den Fall weiter untersuchen oder die Sache nicht doch lieber auf sich beruhen lassen sollte.
Diese Mini-Cliffhanger-Dramaturgie ist ein zweischneidiges Schwert: Sie ist vorlagengetreu, allerdings eignet sie sich deutlich besser für ein in kurze Kapitel aufgeteiltes Medium, das viele Fans zum Entspannen oder Einschlafen konsumieren. In einem Kinofilm hingegen führt sie zu einem zerfasernden Spannungsbogen. Dennoch passt die Grundstimmung des Films zur abenteuerlichen, leicht schaurigen Tonalität diverser Folgenklassiker – und ganz besonders zur gestalterischen Aufmachung der Romane und Hörspielcover:
Das rumänische Gruselschloss mit seinen staubigen und verwinkelten Gängen, schummriger Beleuchtung und zahlreichen Geheimnissen versprüht eine kindgerecht-finstere Atmosphäre. Und wenn sich die Helden in eine beklemmende Sackgasse manövriert haben, sorgen entweder Wortwitz oder Justus' Besserwisserei für Besänftigung. So räumt „Die drei ??? – Erbe des Drachen“ etwa augenzwinkernd mit dem Filmklischee kilometerlanger Geheimtunnel auf: Historisch sind geheime Gänge nämlich zumeist möglich kurzgehalten – das ist doch viel praktikabler!
Als Hauptkonflikt des Films stellt sich ein interner Streit heraus. Durch Justus' Drang, den abstrusen Geschehnissen im Schloss nachzugehen, bekommen die Fragezeichen zunehmend Ärger, woraufhin Peter die Ermittlungen fallen lassen will. Justus bleibt allerdings neugierig, bis Peter der Geduldsfaden reißt und Bob den Kopf in den Sand steckt. Ob ein Streit des Trios nun Erwartungen enttäuscht oder sogar als den Hörspielalltag sprengender Sonderfall den Sprung auf die Leinwand rechtfertigt, bleibt wohl eine subjektive Grundsatzfrage. Doch Dünschede und Kizilbuga tun sich insofern keinen Gefallen, als dass sie sich nicht vehement genug hinter diesen Plotfaden stellen:
Wenn sich die Freunde verkrachen, wird dies recht mild dargestellt. Wie eine kleine Meinungsverschiedenheit unter Freunden, die sich von alleine legt. Erst, wenn sich die Versöhnung anbahnt, wird diese plötzlich mit einer Gravitas erzählt und inszeniert, dass der Eindruck entsteht, die Freunde seien davon ausgegangen, dass ihre gemeinsamen Abenteuer für immer Geschichte seien. Somit wird die von den Figuren empfundene Fallhöhe erst deutlich, sobald sich ohnehin das Ende des Konflikts abzeichnet.
Das „Dracula Rising“-Set ist der atmosphörische Höhepunkt des Films.
Da zudem die Widersacher von Justus, Peter und Bob recht blass skizziert sind, führt dies dazu, dass die Atmosphäre des Films aufreibender ist als seine Story. Dessen ungeachtet bestätigt „Der Junge muss an die frische Luft“-Star Weckauf mit seiner aufgeweckten Performance als ebenso sensibler wie ichbezogener Besserwisser seinen Status als einer der besten deutschen Jungdarsteller. Beim Rest der Schnüffler-Gang fährt Dünschede zweigleisig, indem er einmal auf die aktuelle Hörspielrealität und einmal zurück zu den Ursprüngen schielt:
Während Newcomer Levi Brandl als Bob Andrews aussieht, als hätte man Andreas Fröhlich verjüngt, ist die Ähnlichkeit zwischen Nevio Wendt und Jens Wawrczeck praktisch nicht existent. Stattdessen gibt es den abergläubischen, schnell von Justus genervten Spitzensportler zu sehen, als der Peter zu Beginn der Romanreihe noch angelegt war. Diese Kombi aus aktueller und ursprünglicher Figurenveranlagung gibt den Kino-„Drei ???“ im Vergleich zu ihren populären Hörspielvorlagen eine ganz eigene Dynamik, ohne die Vorlage zu verraten. Bei einer etwaigen Fortsetzung dürfen sie diese gern in einem noch filmischer erzählten Fall vorführen.
Fazit: „Die drei ??? – Erbe des Drachen“ balanciert erfolgreich zwischen dem Erbe der Vorlage und eigenen Modernisierungsideen – nur hätte der Familien-Krimi filmisch ruhig noch ein wenig mehr in die Vollen gehen dürfen.