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    Schirkoa: In Lies We Trust
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Schirkoa: In Lies We Trust

    Ein Animations-Experiment auf den Spuren von "Matrix" & Co.

    Von Michael Meyns

    Früher waren Zeichentrickfilme grundsätzlich handgemalt, aber inzwischen kommen Animationen in allen möglichen Formaten daher: Von den sündteurer CGI-Blockbustern aus Hollywood (Pixar & Co.) bis zu den im Vergleich fast nostalgisch altmodisch anmutenden Werken aus dem Hause Ghibli („Der Junge und der Reiher“). In den letzten paar Jahren ist noch eine weitere Alternative dazugekommen, nämlich Filme, die mit der Unreal-Engine animiert werden. Ursprünglich wurde das Programmier-Tool zwar für Computerspiele entwickelt, aber nun nutzt es auch indische Regisseur Ishan Shukla für seinen Debütfilm: „Schirkoa: In Lies We Trust“ sieht dementsprechend oft wie ein Game aus. Ein etwas gewöhnungsbedürftiger Look, der allerdings günstig in der Produktion ist und es Shukla ermöglichte, eine wilde Geschichte zu inszenieren, in der eine dystopische Welt nur vermeintlich in eine Utopie überführt wird, die dann aber auch nicht zur ersehnten Freiheit führt.

    Schirkoa ist eine Stadt des Spätkapitalismus, bestehend aus Hochhausschluchten und Rotlichtvierteln. Alle Menschen laufen – ihrer Individualität beraubt – mit einer Papiertüte über dem Kopf durch die Gegend. Sie tragen keine Namen, sondern Nummern. So auch 197 A, ein unpolitischer Bürohengst, der sich nicht an den Protesten gegen das Regime beteiligt. Sein Interesse gilt nur seiner Affäre mit 242 B, doch diese hat genug von Schirkoa. Sie will in die sagenumwobene Stadt Konthaqa fliehen, wo Menschen angeblich in Freiheit leben. 197 A hingegen hegt die Hoffnung, in den Rat von Schirkoa aufgenommen zu werden – ein Amt mit großem Einfluss. Aber dann wird ihm die Tüte vom Kopf genommen – und 197 A muss mit Schrecken feststellen, dass auf seinem Kopf kleine Hörner wachsen…

    197 A liebt zwar 242 B, aber Schirkoa will er mit ihr eigentlich trotzdem nicht verlassen. Rapid Eye Movies
    197 A liebt zwar 242 B, aber Schirkoa will er mit ihr eigentlich trotzdem nicht verlassen.

    Gesprochen wird Englisch, Italienisch, Chinesisch, Indisch, Tagalog und noch manch anderes. Neben weniger bekannten Sprecher*innen sind in Gastauftritten auch Kult-Filmemacher*innen wie Asia Argento („Scarlet Diva“), Lav Diaz („A Lullaby To The Sorrowful Mystery“) und Gaspar Noé („Irreversible“) zu hören. Dementsprechend eklektisch ist auch der Mythenkosmos, den Ishan Shukla in „Schirkoa: In Lies We Trust“ anreißt: Solche eine dystopische Welt, in der ein anfangs noch unscheinbarer Normale vor sich hinlebt, um schließlich doch noch zum Helden zu werden, kennt man aus zahllosen Romanen und Filmen. Besonders interessant werden solche Geschichten oft dann, wenn die versprochene heile Welt erreicht ist, sich diese dann aber als nur vermeintliches Heilsversprechen herausstellt.

    Stilistisch bewegt sich „Schirkoa“ zwischen West und Ost. Wirkt Schirkoa noch wie eine klassisch westliche Metropole, voller Beton, Glas und Stahl, dominiert von dunklen Farben und kaltem Licht, tritt auf der Fahrt in Richtung Konthaqa immer deutlicher der Kontrast hervor: In einem bunten Bus voller Bilder von Heiligen, ausstaffiert mit Leuchtreklamen und Discokugeln, geht es in eine überbordend-psychedelische Freiheit. Aber der ständige Exzess kann aber ebenfalls schnell zu viel werden, wie auch 197 A, der mit seinen stetig weiterwachsenden Hörnern zu einem Anführer der Revolte aufsteigt, irgendwann einsehen muss. Die Revolution führt erst zu Chaos, dann zu Sättigung und Stagnation – und dann geht es wieder von vorne los, mit einem erneut wachsenden Wunsch nach etwas Neuem, einer weiteren, anderen Utopie.

    Auch Konthaqa entpuppt sich als nur vermeintliches Paradies. Rapid Eye Movies
    Auch Konthaqa entpuppt sich als nur vermeintliches Paradies.

    Man mag hier an „Matrix“ denken, den Shukla direkt zu zitieren scheint: Auch dort war Neo (Keanu Reeves) schließlich nichts anderes als eine Anomalie im System, die schließlich zu einem Reboot geführt hat. Oder an die Zirkularität der Existenz, wie sie im östlichen Glaubenskosmos zu finden ist. Auch A 197 scheint in diesem Kreislauf festzustecken: Er wechselt zwar die Seiten zwischen Schirkoa und Konthaqa, wird jedoch hier wie da von einem sich am Ende vor allem in Details unterscheidenden Exzess überwältigt. Der pure Überschwang zeigt sich auch in den oft überbordenden Bildern, mit denen Ishan Shukla die Zuschauenden regelrecht bombardiert. Etwas gewöhnungsbedürftig mutet der Look schon an, seltsam eckig bewegen sich die Figuren, deren klobige Form sich auf der großen Leinwand natürlich umso offensichtlicher offenbart.

    Andererseits hat dem Regisseur die vergleichsweise günstige Technik überhaupt erst ermöglicht, einen abendfüllenden Animationsfilm zu drehen, schließlich kosten durchschnittliche Pixar-Filme wie der Mega-Hit „Alles steht Kopf 2“ inzwischen über 200 Millionen Dollar. Die Freiheit einer vergleichsweise kleinen Produktion nutzte Shukla zu einem wilden, exzessiven Ritt, vollgestopft mit Ideen und Verweisen an westliche und östliche Kunst und Mythologie. Auch wenn nicht immer alles ganz stimmig sein mag: Sowas hat man in dieser Form im Kino selten (oder womöglich noch gar nicht) gesehen!

    Fazit: Der indische Regisseur Ishan Shukla verarbeitet in seinem Debütfilm „Schirkoa: In Lies We Trust“ die unterschiedlichsten Einflüsse zu einer visuell überbordenden und inhaltlich ambitionierten Mischung, die speziell Fans von asiatischen Animationsfilmen mit Lust auf Experimente unbedingt im Kino sehen sollten.

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