Ein Pferdefilm mit angenehm vielen Grautönen
Von Jochen Werner„Zoé & Sturm“ von Christian Duguay beginnt mit einer Doppelgeburt: Zeitgleich mit einer fohlenden Stute im Gestüt ihres Mannes Philippe (Pio Marmaï) wird die schwangere Marie (Mélanie Laurent) vom Eintreten der Wehen überrascht – und nebeneinander im Stall erblicken das Menschenkind Zoé und das Fohlen Belle Enivrante erstmals das Licht der Welt. Wie Zwillinge, so heißt es später einmal im Film. Und tatsächlich, die besondere Verbindung Zoés zu den Pferden wird schnell deutlich, wenn die Präsenz der Tiere das einzige ist, was das ununterbrochen weinende Schreibaby zu andächtigem Schweigen zu bringen vermag.
Wir leben ohne Zweifel in einer künstlerischen Blütezeit des Pferdemädchenfilms. Am kreativsten und freudvollsten drückt sich diese sicher in Detlev Bucks bereits auf fünf Teile (plus eine Streaming-Miniserie) angewachsener „Bibi & Tina“-Reihe aus, die das beliebte Hörspiel-Franchise in Form von knallbunten, fantasievollen Deutschpop-Musicals für die Kinoleinwand adaptieren. Aber dann gibt es da auch noch die von Katja von Garnier ins Leben gerufene „Ostwind“-Filmreihe oder das bis dato zweiteilige Reboot der altehrwürdigen „Immenhof“-Filme. All das brachte zuletzt einigen frischen – und mitunter auch ganz schön weirden – Wind in das plötzlich gar nicht mehr so auserzählt wirkende Genre.
Zoé (Charlie Paulet) gibt zunächst auch ihrem Pferd eine (Mit-)Schuld an ihrer Querschnittslähmung …
Mit „Zoé & Sturm“ kommt nun eine französische Produktion in die deutschen Kinos, deren Regisseur seine Karriere einst in ganz anderen Filmgenres begann. Der Frankokanadier Christian Duguay machte seine ersten Schritte als Filmemacher 1991 mit den beiden DTV-Sequels zu David Cronenbergs Klassiker „Scanners“, legte Mitte der Neunziger mit „Screamers“ einen unterschätzten Science-Fiction-Film nach und versuchte sich zwischendurch an niedrig bis mittel budgetierten B-Actionern, unter anderem mit Pierce Brosnan vor seiner 007-Phase oder mit Wesley Snipes am Zenit seiner Actionkarriere. Seit einigen Jahren hat sich Duguay nun aber ganz auf den Jugendfilm spezialisiert und sich somit, spät in seiner Karriere, noch einmal eine ganz neue Form erschlossen.
Mit „Zoé & Sturm“ greift er nach dem auf einer wahren Geschichte basierenden Pferdesportfilm „Jappeloup“ (2013) schon zum zweiten Mal eine lebenslange persönliche Leidenschaft auf, war Duguay doch vor seiner Kinokarriere nicht nur Pferdenarr, sondern sogar kanadischer Juniormeister im Springreiten. Dieses Verständnis für den Reitsport ist „Zoé & Sturm“ durchaus eingeschrieben, denn anders etwa als in den „Immenhof“-Filmen, wo der habsüchtige Rennstallbesitzer Mallinckroth (Heiner Lauterbach) lediglich als schurkischer Antagonist dient, der jegliches tierethische Prinzip dem schnellen Euro beim nächsten Rennen opfert, kommt hier nicht nur der seinen Tieren innig zugetane Züchter, Trainer und Jockey Philippe gut weg, sondern sogar der amerikanische Investor Cooper (Danny Huston).
Denn der ist zwar auch ein Businessman und erwartet, dass seine Investition irgendwann den entsprechenden Gewinn abwirft. Aber er denkt doch auch in längeren Zeiträumen, hält Philippe jahrelang trotz mäßigem Erfolg die Treue, und wirft auch, wenn er schließlich doch die Zügel selbst in die Hand nimmt, Mitarbeiter*innen entlässt und neue an Bord holt, niemals alle Skrupel über Bord. Überhaupt sind hier viele Figuren in erfreulich zahlreichen Grautönen gezeichnet und nicht einfach nur, wie im Kinder- und Jugendfilm leider allzu oft, lediglich in Schwarz und Weiß unterteilt. Auch daran mag es liegen, dass „Zoé & Sturm“ mit Robert Redfords „Der Pferdeflüsterer“ über weite Strecken eher an einen der erwachseneren Pferdefilme der Kinogeschichte erinnert als an die eingangs genannten, klarer auf ein junges, pferdebegeistertes Publikum zugeschnittenen Filme der letzten Jahre.
Mit diesem teilt er überdies auch einen zentralen Handlungsstrang: Nach einem Unfall ist die zwölfjährige Zoé (Charlie Paulet) querschnittsgelähmt und versinkt zunächst in Depressionen und Welthass. Emotional verkompliziert wird ihre Situation weiterhin dadurch, dass sie den Tieren die Schuld an ihrem Zustand gibt und sich ihrer einstigen Pferdeleidenschaft gegenüber zunächst komplett verschließt. Lediglich der neurodiverse Pferdetrainer Seb (Kacey Mottet Klein) glaubt fest daran, dass Zoé Vergebung in sich selbst finden muss – und auch daran, dass sie ihrer Behinderung zum Trotz erneut im Sattel sitzen kann. Und so vergehen noch einmal mehrere Jahre – die Erzählung des Films erstreckt sich einigermaßen episch über 18 Jahre –, bis schließlich das letzte große Rennen mit dem titelgebenden Sturm ansteht, das über die Zukunft des Gestüts entscheidet…
… doch dann raufen sich die Seelenverwandten doch noch einmal zusammen.
„Zoé & Sturm“ ist ein sehr klassisch inszenierter, ruhig erzählter Hybrid aus Pferdemädchenfilm, Sportfilm und Drama, der nicht mit einer ungemein originellen Story, aber dafür mit einer spürbaren Liebe zu vielen kleinen Details überzeugt. Viel Überraschendes wird man nicht darin entdecken, und doch sieht man mit Freude zu, wie Regisseur Duguay die erwartbaren Wendungen der Erzählung mit ruhiger Hand und völlig unaufgeregt durchinszeniert, seinen Figuren dabei immer ein bisschen mehr Luft zur Entfaltung gibt, als es für den Plot zwingend nötig wäre – und dem Filmganzen dabei ausreichend Pathos mitgibt, um zu rühren, aber auch nie so viel, dass es in allzu große Sentimentalität abkippen würde. Das macht „Zoé & Sturm“ zu einem wenn schon nicht originellen, so doch schönen und handwerklich grundsoliden Jugendfilm.
Fazit: Überraschend ist hier wenig, aber überzeugend ist „Zoé & Sturm“ doch – als ein gut inszenierter, schöner und durchaus rührender Pferdemädchenfilm vom bereits in etlichen Genres erprobten Kinohandwerker Christian Duguay. Empfehlenswert!