Eine unbekannte Seite der französischen Militärgeschichte
Von Jörg BrandesDas Ansehen Frankreichs in seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien hat zuletzt schwer gelitten. Das haben etwa die Militärputsche in Mali und im Niger, bei denen antifranzösische Ressentiments verstärkt aufbrachen, deutlich gezeigt. Nun kommt mit „Mein Sohn, der Soldat“ ein Film in unsere Kinos, der ein kriegerisches Kapitel der französischen Kolonialzeit näher beleuchtet, das lange in Vergessenheit zu geraten drohte. Die Rede ist von den Tirailleurs sénégalaisy, jenen westafrikanischen Schützenverbänden, von denen das erste Bataillon 1857 aufgestellt wurde. Sie verrichteten nicht nur in den damaligen Kolonialgebieten ihren Dienst, die Franzosen setzten sie unter anderem auch im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 sowie im Ersten und Zweiten Weltkrieg ein.
Die Idee zu seinem Film kam Mathieu Vadepied („Learn By Heart“) nach dem Tod des senegalesischen Tirailleurs Abdoulaye Ndiaye, der bereits im Ersten Weltkrieg kämpfte, aber erst 1998 im Alter von 104 Jahren starb – einen Tag, bevor er ihm der Orden der Ehrenlegion verliehen werden sollte. „Mein Sohn, der Soldat“ orientiert sich allerdings nicht an der Biografie von Abdoulaye Ndiaye. Story und Figuren sind rein fiktiv. So entwickelt sich inmitten der Schrecken des Krieges ein intensives Vater-Sohn-Drama, während der Regisseur und Co-Autor andere interessante Aspekte des historischen Stoffs etwas vernachlässigt.
Bakary (Omar Sy) hat sich freiwillig für den Kriegseinsatz gemeldet – und tut nun alles, um das Überleben seines Sohnes zu sichern…
1917 braucht die französische Armee dringend menschlichen Nachschub für den verlustreichen Stellungskrieg an der Front. Im Senegal gerät der 17-jährige Rinderhirte Thierno Diallo (Alassane Diong) vom Stamm der Fulbe in die Fänge der Zwangsrekrutierer. Mit dem Ziel, seinen Sohn zu befreien, meldet sich Bakary (Omar Sy) freiwillig zum Dienst. Doch der Plan geht schief – und so landen schließlich beide in den Schützengräben im Osten Frankreichs. Während sein Vater versucht, ihn vor dem Schlimmsten zu bewahren, gerät Thierno unter den Einfluss des französischen Leutnants Chambreau (Jonas Bloquet), der zunächst nichts von den verwandtschaftlichen Verhältnissen ahnt. Als Thierno zum Korporal befördert wird und damit seinem eigenen Vater Befehle erteilen muss, kommt es zunehmend zu Konflikten…
Die Schrecken des Ersten Weltkriegs hat gerade erst Edward Berger mit „Im Westen nichts Neues“ bildgewaltig heraufbeschworen. Mit dem Oscar-Abräumer kann sich „Mein Sohn, der Soldat“ in dieser Hinsicht sicher nicht messen. Aber ein Schlachtengemälde hatte Mathieu Vadepied ohnehin nicht im Sinn. Gleichwohl gelingt es dem Regisseur und Co-Autor, das Grauen in den Schützengräben auch mit geringeren Mitteln rüberzubringen. Ihm geht es in erster Linie um die Beziehung zwischen Vater und Sohn, die sich unter den Bedingungen des Stellungskriegs mehr und mehr zu einem existenziellen Drama entwickelt.
Nach Thiernos Beförderung ist das traditionelle Autoritätsverhältnis plötzlich umgekrempelt. Beiden fällt es schwer, damit umzugehen. Während Bakary jedoch nie sein Ziel aus den Augen verliert, gerät der junge Thierno zunehmend in einen Gewissenskonflikt zwischen militärischem Ehrgeiz und Respekt gegenüber seinem Vater. Dabei lassen uns Alassane Diong und Omar Sy, der den Film mitproduzierte und den damals noch als Kameramann tätigen Vadepied bereits seit der gemeinsamen Arbeit an „Ziemlich beste Freunde“ kennt, intensiv am dramatischen Innenleben ihrer Figuren teilhaben.
Auch sonst verwehrt sich der Film einfacher Zuschreibungen. Weder sehen alle französischen Soldaten ihre afrikanischen Kollegen nur als Kanonenfutter, noch erscheinen sämtliche Tirailleurs (so auch der Originaltitel) bloß als Opfer der kolonialen Verhältnisse. Eine besonders zwiespältige Figur ist der Leutnant Chambreau, der die Absurditäten des grausigen Stellungskriegs in einer kurzen Ansprache exakt auf den Punkt bringt. Einerseits behandelt er seine Untergebenen ohne Ansehen ihrer Herkunft gleich, andererseits hat er keine Scheu, sie für möglichen militärischen Ruhm für ein Himmelfahrtskommando zu missbrauchen.
Die Schrecken der Grabenkämpfe im Ersten Weltkrieg.
Vadepied ist es auch ein Anliegen, den Tirailleurs sénégalais Anerkennung und Respekt zukommen zu lassen. Das spiegelt sich beispielsweise darin wider, dass Omar Sy, selbst Sohn eines Senegalesen, konsequent in der Sprache der Fulbe spricht. In der Rahmenhandlung wird gar darüber spekuliert, ob möglicherweise ein westafrikanischer Tirailleur im Grab des unbekannten Soldaten unter dem Pariser Arc de Triomphe liegt. Könnte zwar sein, trotzdem wirkt die Sequenz, als sei sie dem Film etwas mühsam aufgepfropft worden.
Fazit: Mathieu Vadepied rückt in seinem Film einen zumindest bei uns relativ unbekannten Aspekt des Ersten Weltkriegs in den Blickpunkt. Dabei konzentriert er sich vielleicht etwas zu stark auf das zentrale Vater-Sohn-Gespann, das von den beiden Hauptdarstellern gleichwohl überzeugend und intensiv verkörpert wird.