Mal ein ganz anderer Provinz-Krimi
Von Tobias MayerEine mysteriöse Leiche im Moor und eine Ermittlerin, die von einem Trauma aus ihrem Afghanistan-Einsatz geplagt wird: Auf den ersten Blick könnte „Echo“ auch eine Folge der in Deutschland nach wie vor immens erfolgreichen TV-Reihe „Tatort“ sein, in der die Krimi-Handlung vor allem als Rahmen für ein Psychogramm und ein zeitgeistiges Thema dient. Doch Regisseurin Mareike Wegener hegt bei ihrem Spielfilmdebüt ganz andere Ambitionen: „Echo“ ist kein Themen-Krimi mit klar umrissener Botschaft, sondern eine faszinierende, immer überraschende, mal surreale, mal klamaukige Meditation über jüngere und ältere (deutsche) Geschichte. Die Offenheit des Films lädt zum Nachdenken und der lakonische Humor zum Lachen ein...
Die deutsche Polizistin Saskia Harder (Valery Tscheplanowa) arbeitet als Ausbilderin für afghanische Sicherheitskräfte, bis ein Bombenanschlag den Auslandseinsatz jäh beendet. Sie hat in der Folge zwar keine körperlichen Einschränkungen, zurück in Deutschland wird ihr aber trotzdem ein „Einsatz mit leichtem Belastungsfaktor“ verordnet – sprich sie soll im Dorf Friedland in Niedersachsen herausfinden, was es mit einer dort gefundenen, längst mumifizierten Moorleiche auf sich hat. Aber das bleibt nicht der einzige problematische Fund im sonst so verschlafenen Friedland: Im Wassergraben des örtlichen Adels-Anwesens wird eine nicht detonierte Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt, die nun aufwändig entschärft werden muss…
Im Moor von Friedland wird eine mumifizierte Moorleiche gefunden ...
„Echo“ irritiert unsere modernen Sehgewohnheiten gleich in der ersten Szene: Der Einsatz und die Explosion in Afghanistan werden in einer starren Kameraeinstellung gezeigt. Während die heutige Kriegsfilmästhetik mit wackelnder Kamera und an Videospiele erinnernder Egoshooter-Perspektive eine möglichst starke Immersion erzeugen soll, wirkt das Geschehen in „Echo“ durch die starre Sicht fast schon theaterhaft. Mareike Wegener behält diese auf Distanz bedachte Inszenierung auch im weiteren Verlauf des Films bei: Ab und an wird mal die Kamera geschwenkt, meistens aber ergibt sich die Bewegung im Bild nur aus dem Spiel der Darsteller*innen.
Diese Entscheidung zur auffälligen Ästhetik wirkt in „Echo“ jedoch nicht streng, beengend oder gar erzwungen. Sie bringt stattdessen eine Ruhe in den Film, in dem die kriegerische Vergangenheit des ach so friedlichen Friedlands immer wieder nach oben blubbert wie eine Luftblase im ansonsten stetig ruhenden Moor. Es geht um deutsche Kriegshistorie, die von den alliierten Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs bis zur längsten Mission in der Geschichte der Bundeswehr reicht – nämlich der Mission in Afghanistan, deren Nachwirkungen als nur für Saskia sichtbarer, lilafarbener Explosionsnebel immer wieder durchs Bild wabern.
„Echo“ ist eine Einladung, sich mit deutscher Kriegsgeschichte zu beschäftigen, die in Mitteleuropa nach und nach in Vergessenheit gerät, weil hier seit 1945 Frieden herrscht und Krieg meist „weit weg“ passiert. Aber Regisseurin Wegener schaut zugleich auch noch viel weiter in die Vergangenheit, nämlich bis zurück zur griechischen Mythologie: Der adelige Sammler Lorenz von Hüning (Felix Römer), in dessen Graben die Bombe aus dem Weltkrieg gefunden wird, zeigt der Polizistin ein altes Gemälde, das eine Nymphe namens Echo darstellt.
Der Sage nach wurde Echo von der Göttin Hera ihrer Sprache beraubt, weshalb die Nymphe anschließend nur noch die jeweils zuletzt an sie gerichteten Wörter wiederholen konnte. Mag sein, dass die titelgebende Sagengestalt einfach nur für das Echo der Vergangenheit steht, das in Friedland in Form von Blindgängern und Moorleichen zu vernehmen ist. In einem Film wie „Echo“ aber fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, dass die Nymphe selbst irgendwann zur Moorleiche geworden sein könnte – oder vielleicht noch irgendwo da draußen rastlos durchs Unterholz streift.
... und mit dem Leichenfund wird die halbe Stadt in hellem Aufruhr versetzt.
Ohne uns eine Deutung aufzuzwingen, macht Mareike Wegener aus Friedland einen mit Geschichte und Mythologie aufgeladenen Ort. Dabei verwebt sie das Sagenhafte so faszinierend beiläufig mit dem Realistischen, wie es zuletzt auch Christian Petzold in „Undine“, in dem ein weiblicher Wassergeist ganz selbstverständlich im gegenwärtigen Berlin lebt, gelungen ist.
Die ebenso mysteriöse wie anregende Atmosphäre von „Echo“ verträgt sich dabei bestens mit dem lakonischen, unaufdringlichen Humor rund um die leicht schrägen Dorfbewohner*innen von Friedland. Der lokale Polizist Alfons Tenhagen (Andreas Döhler) etwa will einfach nur seine Ruhe haben, wird aber gefordert wie seit Jahren nicht mehr und scheitert dann ausgerechnet an einer resoluten Seniorin, die ihr Haus für die Bombenentschärfung erst nach einer Raucherpause verlassen will (und auch dann nur vielleicht). Und der Gutsbesitzer Lorenz von Hüning scheitert in einem an Loriot erinnernden Sprach-Duell am Versicherungsvertreter Bölting (Christian Hockenbrink), der ihm erklärt und mit dem Kleingedruckten seines Vertrages belegt, dass seine Police zwar fast alles abgedeckt, aber ganz sicher keine Weltkriegsbomben.
Fazit: Mal ein ganz anderer Provinz-Krimi, als man ihn im Programm der Öffentlich-Rechtlichen andauernd serviert bekommt – außergewöhnlich, anregend und lakonisch-lustig! „Echo“ schlägt gänzlich unverkrampft einen sehr großen historischen Bogen und gehört damit zu den Entdeckungen der Sektion Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale 2022.
Wir haben „Echo“ im Rahmen der Berlinale 2022 gesehen, wo er in der Sektion Perspektive Deutsches Kino gezeigt wurde.