"Tropic Thunder" in Zeiten von Corona
Von Sidney ScheringDas Corona-Jahr 2020: Die Filmindustrie schiebt Panik. Zwar werden zunächst sämtliche Dreharbeiten gestoppt, doch schnell zeichnet sich ab, dass Nichtstun nicht die Lösung ist. Schließlich wollen die Multi-Milliarden-Konzerne ihre Studiomaschinerie nicht zu lange anhalten. Wo sollen denn sonst die sicheren Einnahmen herkommen, die Franchises versprechen? So kommt es, wie es kommen muss: Big-Budget-Sequels gehen in Produktion, lange bevor flächendeckend geimpft wird. Eine Handvoll Sicherheitsprotokolle inklusive Selbstquarantäne von Cast und Crew sowie deren Abschottung von der Außenwelt dürften wohl genügen, um das Virus zu überlisten...
So weit die Theorie. Die Praxis sah bekanntlich anders aus: Ob „Mission: Impossible 7“, „Jurassic World 3“, „The Batman“ oder „Doctor Strange In The Multiverse Of Madness“, sämtliche Hollywood-Produktionen, die sich in ihren (oft britischen) Pandemie-Bubbles sicher fühlten, wurden aufgrund ständiger Corona-Fälle zu Stop-and-Go-Projekten mit geradezu mörderisch langer Drehdauer und explodierenden Kosten. Warum tut man sowas? Und wie fühlen sich die in solch ausufernden Projekten festsitzenden Menschen? Genau diesen Fragen geht „Beim ersten Mal“-Macher Judd Apatow in seinem eigenen Corona-Projekt nach – der in einer eigenen COVID-19-Bubble entstandenen Komödie „The Bubble“.
Carol Cobb muss doch wieder im Dino-Franchise vor der Kamera stehen.
Nach vier Filmen hatte Carol Cobb (Karen Gillan) die Schnauze voll vom „Cliff Beasts“-Franchise. Der erhoffte Erfolg blieb außerhalb der Reihe für sie jedoch aus, weshalb sie zähneknirschend für „Cliff Beasts 6 – Battle For Everest: Memories Of A Requiem“ unterschreibt. Da das Sequel eines der ersten Corona-Projekte ist, wird das Filmteam sicherheitshalber in einem englischen Hotel von der Außenwelt abgeschottet. Es ist ein luxuriöses, aber kein freundliches Umfeld, in das Carol da einkehrt: Sean Knox (Keegan-Michael Key), das Ex-Schauspielpaar Lauren Van Chance (Leslie Mann) und Dustin Mulray (David Duchovny) sowie Howie Frangopolous (Guz Khan) nehmen der Rückkehrerin nämlich übel, dass sie bei Teil fünf nicht mitgemacht hat. Franchise-Neuzugang Dieter Bravo (Pedro Pascal) hadert derweil mit seinen Süchten. Und Influencerin/Schauspiel-Newcomerin Krystal Kris (Iris Apatow) denkt nur an ihre Follower. Die Moral liegt am Boden, noch bevor die erste Klappe fällt...
„The Bubble“ ist ein Pandemie-Zeitdokument: Apatow, der das Drehbuch gemeinsam mit „Team America: World Police“-Autorin Pam Brady geschrieben hat, streut in das Geschehen ständig kleine Beobachtungen über Ärgernisse im Pandemie-Alltag ein. Carol scheut davor zurück, ihren Agenten zu umarmen, nimmt aber im Auto zum Telefonieren ihre Maske ab. Die Lebensmittel werden nach der Lieferung ins Hotel zur Vorsicht komplett abgewischt, aber am Filmset werden Assistentinnen losgeschickt, um Coffee-to-Go zu besorgen. Und ständig ändern sich Masken-Standards, sodass am Filmset rangniedrige Crew-Mitglieder mit FFP2-Maske herumstehen, während der Regisseur sich unter anderem an einem Kinnvisier probiert – dem wohl unsinnigsten aller Pandemie-Accessoires, da es die Viren nicht etwa im Zaum hält, sondern kräftig in die Luft schleudert...
Apatow stößt sein Publikum nicht mit der Nase auf die zahlreichen Corona-Alltagsbeobachtungen, sondern lässt sie meistens als Skurrilitäten und allgegenwärtige Ärgernisse im Raum stehen – was wohl die derzeit beste Herangehensweise ist. Denn wer hätte aktuell schon den Nerv auf eine filmgewordene Stand-up-Routine über gebrochene Pandemie-Etikette? Als trockenkomisches Hintergrundrauschen funktioniert dieses Element dagegen mit höherer Trefferquote als der eigentliche Mittelpunkt von „The Bubble“:
Die über zwei Stunden lange Komödie zeigt eine entgleisende Filmproduktion, bei der die Egos des Casts, die Gier der Studios und widrige Umstände zu einem gewaltigen Clash führen. Sie ist also gewissermaßen Judd Apatows Antwort auf Ben Stillers „Tropic Thunder“, nur dass der vietnamesische Dschungel gegen eine Corona-Bubble in England ausgetauscht wird – und Apatows fiktive Filmstars nicht derart explosive Knallchargen sind wie die im Oscar-nominierten Hit von 2008. Während Stiller in „Tropic Thunder“ denkwürdige Figuren erschafft, die auf schrille und dennoch treffende Weise den Hollywood-Zirkus persiflieren, ist „The Bubble“ deutlich gedämpfter.
Vorbild: Laura Dern und Jeff Goldblum! Leslie Mann und David Duchovny als Ex-Paar, das einen Film zusammendrehen muss.
Keegan-Michael Keys Figur etwa wird als Narzisst eingeführt, der einen eigenen Kult, pardon, eine quasi-religiöse Lifestyle-Brand gegründet hat. Die meisten Pointen rund um ihn haben aber nichts mit diesen satirischen Steilvorlagen gen Jared Leto und Gwyneth Paltrow zu tun, sondern sind beliebige Oneliner. Auch die Dynamik zwischen Lauren und Dustin, die einst ein Paar waren und nun gezwungen sind, sich für den Dreh eines Dinosaurier-Films in Isolation zu vertragen, lässt Zunder missen. Apatow und Brady scheinen sich allein darauf zu verlassen, dass ihr Publikum die Parallele zu den „Jurassic Park“-Urgesteinen Laura Dern und Jeff Goldblum und deren „Jurassic World 3“-Dreh erkennt und amüsant findet.
Nicht, dass Apatow und Brady gar nichts mit ihren Figuren anzufangen wüsste. Wenn das Ex-Paar über sein im Alter von 16 Jahren (!) adoptiertes Kind streitet, oder Lauren ständig ihre Meinung ändert, ob sie ihren Ex als Ghostwriter von „Cliff Beasts 6“ haben will, ist das aus den Mündern von Leslie Mann und David Duchovny durchaus amüsant – es ist aber auch ziemlich austauschbar. So zieht es sich durch den ganzen Film: Was geschieht, hat Witz, doch es hätte noch mehr Witz, wäre es nicht derart beliebig, was wem geschieht. Apatow holt so auch keine Punchline aus dem Set-up heraus, dass Comic-Relief-Darsteller Howie der größte Hitzkopf im „Cliff Beasts“-Cast ist. Dennoch kitzelt Guz Khans natürliches komödiantisches Timing verlässlich Schmunzler aus diesem Part.
Auch Pedro Pascals Rolle des mit einer Hotelangestellten (charmant, aber zu kurz kommend: Maria Bakalova) flirtenden Stars Dieter Bravo mangelt es an Profil. Dennoch ist er Mittelpunkt einer der mit Abstand lustigsten Szenen des Films, wenn er nach einem TikTok-Tanz zusammenbricht und prompt für tot erklärt wird, denn der Cast weiß abzuliefern. Vor allem, wenn er frei drehend interagieren darf (bekanntlich wird bei Apatow-Filmen sehr viel beim Dreh improvisiert). Trotzdem zeugt es von Drehbuchschwächen und liegen gelassenem Comedy-Potential, wenn fast jedes Szenario auch fast jeder Figur auf identische Weise widerfahren könnte. Oder dass andauernd in Vergessenheit gerät, dass der Rest des „Cliff Beasts“-Casts die dem „The Bubble“-Publikum gegenüber als Sympathieträgerin positionierte Carol hasst.
Die größte Schwäche von „The Bubble“ ist aber die Länge: Apatow war nie gut darin, sich kurz zu fassen, doch in diesem Fall ist es besonders eklatant. Viele der sketchhaften Eskapaden am „Cliff Beasts 6“-Set oder im großräumigen Hotel plätschern aus. Apatow verpasst es mit seinen Editoren Dan Schalk und James Thomas, den Rhythmus des Films dadurch zu verbessern, dass sie diese immer wieder improvisierten Momente auch mal auf einen Knall enden lassen.
Der starke Cast hatte sicher Spaß...
Dabei verstecken sich in den 126 Filmminuten genug herrlich-alberne und manchmal auch bissige Kommentare auf den Irrsinn, mitten in einer Pandemie einen Big-Budget-Film zu drehen. Und es gibt auch einige gut sitzende, allgemeingültige Seitenhiebe auf das aktuelle Filmgeschäft. Vom Sundance-Regisseur, dem direkt nach seinem Indie-Erfolg ein Franchise in die Hand gedrückt wird, bis hin zur Dauerausrede „Ach, das retten wir in der Postproduktion“. Nur die Selbsterkenntnis „In der Kürze liegt die Würze“ fehlt bezeichnenderweise.
Fazit: „The Bubble“ fehlt der nötige letzte Schuss Wahnsinn und etwas Feinschliff, um so richtig aufzugehen. Dessen ungeachtet ist dieses episodenhafte Sammelsurium an schnippischen Corona-, Filmgeschäft- und Filmgeschäft-während-Corona-Beobachtungen dank des Casts kurzweilig genug, um zumindest einen Großteil seiner Laufzeit zu tragen.