Nur ein schwacher Trost fürs lange Warten auf das "Stranger Things"-Finale
Von Lutz GranertAnfang 2024 haben zwar die Dreharbeiten begonnen, aber wann die letzten Folgen von „Stranger Things“ genau bei Netflix an den Start gehen, ist bislang trotzdem noch nicht bekannt. Fakt ist jedoch, dass weltweit eine gewaltige Fangemeinde sehnsüchtig auf das große Finale wartet. Nicht nur US-Sängerin Kate Bush profitierte von dem riesigen Erfolg, der ihrem aus dem Jahr 1985 stammenden Song „Run Up That Hill“ einen Wiedereinstieg in die Charts verschaffte. Dank der komplexen Charakterzeichnung nahmen auch die Karrieren der vielen jungen Darsteller*innen rasant an Fahrt auf. Das prominenteste Beispiel ist Millie Bobby Brown, die als ebenso geschundene wie wehrhafte Elfie eine der einprägsamsten Figuren der Retro-Sci-Fi-Serie verkörpert.
Kein Wunder also, dass Netflix auch im Filmfach auf seinen Nachwuchsstar setzt: Nach dem Hit „Enola Holmes“ verkündete der Streaming-Service im November 2020 die Besetzung der damals 16-Jährigen für eine weitere prestigeträchtige Eigenproduktion, die nun die Wartezeit auf das „Stranger Things“-Finale zumindest etwas verkürzt. Millie Bobby Brown spielt in „Damsel“ erneut eine starke junge Frau, die sich dieses Mal jedoch nicht gegen Militärs, Wissenschaftler*innen oder Bedrohungen aus der Schattenwelt, sondern einen weiblichen Drachen zur Wehr setzen muss. Die von Juan Carlos Fresnadillo („28 Weeks Later“) inszenierte Fantasy-Action lebt tatsächlich am meisten von der starken Performance der gebürtigen Spanierin – denn der Plot selbst ist doch arg flach geraten.
Um das Überleben ihres verarmten und hungernden Volks zu sichern, soll Prinzessin Elodie (Millie Bobby Brown) den Prinzen Henry (Nick Robinson) aus dem benachbarten, ungleich reicheren Königreich Aurea heiraten. Kurz nach der arrangierten Hochzeit führt Königin Isabelle (Robin Wright) das frisch vermählte Paar für ein Blutritual ins nahe Gebirge. Aber kaum ist die Ehe auf diese Weise endgültig besiegelt, wird Elodie in eine Grube gestoßen. Sie erwacht in einer Höhle, die von einem mordlüsternen weiblichen Drachen bewohnt wird. Für Elodie beginnt ein nicht enden wollender Kampf ums Überleben…
„Damsel“ wurde von März bis Juni 2022 an verschiedenen Schauplätzen in Portugal gedreht – von denen zumindest in der ersten Filmhälfte kaum etwas zu sehen ist. Die üppigen Felder, das altehrwürdige Schloss von Aurea und die steil in den Himmel ragenden Gebirgszacken stammen mit ihren weichen Überblendungen sichtlich aus dem Computer. Die durchwachsene CGI-Qualität fällt bei einer deutlich hochgedrehten Farbsättigung zur Betonung saftiger Gärten, opulenter Kostüme und einiger vergoldeter Gimmicks vom Bett bis zur Kutsche umso mehr ins Auge. Bei einem Budget von 60 bis 70 Millionen Dollar musste nach der tatsächlich hervorragenden und mit vielen schuppigen Details aufwartenden Animation der Drachen-Lady an anderer Stelle offenbar gespart werden.
Neben dem feuerspeienden Fabelwesen ist vor allem das mit einigen tollen visuellen Ideen aufwartende Höhlensystem ein echter Hingucker. Hier konnte sich der „Justice League“-Produktionsdesigner Patrick Tatopoulos ordentlich austoben: Hellblau erstrahlende Glühwürmchen, die als Lichtquelle dienen oder Blessuren heilen, sind ebenso beeindruckende Schauwerte wie eine riesige schmelzende Eiskugel oder eine mit funkelnden Kristallen übersäte Felswand, die Elodie bei einem ihrer Fluchtversuche mühsam emporklettert.
Nach ihren Auftritten in „Stranger Things“ und den beiden „Enola Holmes“-Filmen kann es nicht überraschen, dass die hier nahezu omnipräsente Millie Bobby Brown in den zahlreichen Actionszenen erneut vollen körperlichen Einsatz zeigt. Wenn sie sich ihre unpraktische Hochzeitsrobe zu einem Survival-Outfit ummodelliert, kann man das als feministisches Statement an die junge Generation verstehen – unsinnig perfekt sitzender Mascara und akkurater roter Lippenstift auch nach tagelangem Überlebenskampf hätte es dafür aber sicher nicht gebraucht.
Ohnehin funktioniert „Damsel“ am besten als düsterer (und durchaus spannender) Survival-Thriller à la „The Descent“. Das drumherum gestrickte mittelalterliche Fantasy-Szenario mit Anleihen an die „Hobbit“-Filme (zumindest was Schauplätze und die Drachenoptik angeht) wird von Juan Carlos Fresnadillo hingegen eher pflichtschuldig und ideenlos herunterinszeniert. Das ist sicherlich auch dem arg simpel gestrickten Skript von „Fast & Furious 10“-Autor Dan Mazeau geschuldet. Abgesehen von der Auflösung, warum genau die rachsüchtige Drachendame einen Groll aufs Aurea-Königshaus und deren frisch angeheiratete Prinzessinnen hegt, ist der Plot arg simpel, generisch und vorhersehbar geraten.
„Damsel“ ist stattdessen ganz auf die Präsenz Millie Bobby Brown zugeschnitten, weshalb das hochkarätige Ensemble um sie herum kaum schauspielerische Akzente setzen kann. Robin Wright („Wonder Woman“) darf in einer undankbar flachen Rolle als Königin einfach nur böse sein, Angela Bassett („Black Panther“) kommt als Elodies an der Hochzeit zweifelnden Stiefmutter Lady Bayford nur wenig Screentime zu. Einzig Haudegen Ray Winstone („Departed: Unter Feinden“), der als Lord Bayford bei einer Rettungsaktion seiner Tochter in der Drachenhöhle einen hohen Preis zahlen muss, ist einer der wenigen wirklich emotionalen Momente vergönnt.
Fazit: Die Verfolgung durch die Drachenhöhle ist düster, optisch einfallsreich und spannend. Doch bei Tageslicht entpuppt sich „Damsel“ trotz der starken Performance von Millie Bobby Brown als (Möchtegern-)Epos von der Stange.