Ein Animationsfilm wie kein anderer
Von Michael MeynsIn Deutschland galt lange Zeit Thomas Manns „Die Buddenbrooks“ als der Nationalroman schlechthin. In Polen wurde wiederum Władysław Reymonts „Die Bauern“ mit diesem Titel geadelt. Das Anfang des 20. Jahrhunderts erschienene Epos wurde schon mehrfach verfilmt und der deutsche Verleihtitel „Das Flüstern der Felder“ lässt dabei schon erahnen, dass das Regie-Duo DK Welchman & Hugh Welchman hinter der neusten Kinoadaption einen gewissen Hang zum Kitsch hat. Um den ausufernden, impressionistischen Roman auf Spielfilmlänge zu kürzen, konzentriert sich die Handlung auf eine Dreiecksbeziehung, die ebenso archaisch wie schlicht wirkt. Aber die eigentlichen erzählerischen Qualitäten des vor allem stilistisch herausstechenden Animationsfilms liegen vor allem im präzisen Blick auf polnische Riten und Traditionen.
Die junge Jagna (Kamila Urzedowska) lebt Ende des 19. Jahrhunderts mit ihrer Mutter Jagustynka (Dorota Stalinska) in eher ärmlichen Verhältnissen, in der Gegend der heutigen polnischen Stadt Łódź. Das Leben ist hart und voller Entbehrungen, doch Jagna genießt die Schönheit der Natur, hat ein künstlerisches Gemüt – und ist den Männern zugetan. Ihr Ruf im Dorf ist schlecht, ihre Affäre mit dem verheirateten Antek (Robert Gulaczyk) ist allgemein bekannt. Antek ist der Sohn von Boryna (Miroslaw Baka), dem reichsten Bauern des Dorfes, der gerade Witwer geworden ist und eine neue Frau sucht. Die umtriebige Jagustynka wittert ein gutes Geschäft und vermählt Jagna mit Boryna, denn dieser überschreibt seiner neuen Frau den besten Teil seiner Felder. Sehr zum Unwillen seiner Kinder aus erster Ehe, die ihr Erbe schrumpfen sehen und sich zunehmend in einen manischen Hass auf Jagna hineinsteigern…
Normalerweise wird der Literaturnobelpreis für ein Lebenswerk verliehen, ganz selten würdigen die Juroren in ihrer Laudatio ganz explizit ein Werk. So geschah es aber im Fall des polnischen Autors Władysław Reymont, der den Preis 1924 für sein monumentales Werk „Die Bauern“ erhielt. Als der Roman in den Nullerjahren des 20. Jahrhunderts als vierteilige Fortsetzung erschien, existierte Polen noch nicht als selbstständiger Staat, sondern war unter dem Namen Weichselland bzw. Russisch-Polen Teil des russischen Kaiserreiches. „Die Bauern“ beschreibt anhand einer Dorfgemeinschaft den Konflikt zwischen polnischen Bauern und russischen Großgrundbesitzern, was ihn schon bald zu einem der polnischen Nationalepen machte, die auch heute noch Schullektüre ist.
Schon mehrfach wurde der Roman für Kino und Fernsehen adaptiert, pünktlich zum hundertsten Jahrestag der Auszeichnung Reymonts mit dem Nobelpreis entstand nun „Das Flüstern der Felder“, der auf einen ganz besonderen visuellen Stil setzt: Wie schon in seinem Debütfilm „Loving Vincent“ filmten das Regie-Duo zunächst Schauspieler*innen in realen Sets, um anschließend die Bilder in aufwändiger, jahrelanger Arbeit zu übermalen und so in einen Animationsfilm zu verwandeln. Was bei dem vom Stile van Goghs inspirierten „Loving Vincent“ allerdings organisch wirkte, mutet hier lange Zeit wie eine etwas bemühte Stilübung an. Auf oberflächliche Weise schön muten die Bilder oft an, banal „malerisch“ mitunter sogar. Was auch daran liegt, dass DK & Hugh Welchman den epischen Roman notgedrungen auf einen zentralen Plot einstampfen mussten.
Die Dreiecksbeziehung zwischen Jagna, Antek und Boryna mag man zwar als archaisch oder klassisch beschreiben, gerade zu Beginn wirkt sie aber, auch verstärkt durch die bunten Bilder, oft vor allem kitschig. „Ich wünschte, ich könnte mich an den Wolken festhalten und einfach fortfliegen“, schmachtet Jagda einmal zu ihrem Antek, als das Paar auf einer sonnigen Wiese liegt. Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer. Gott sei Dank, muss man sagen, denn mit der zunehmenden Niedertracht der Dorfbewohner*innen beginnt auch „Das Flüstern der Felder“ an Schärfe zu gewinnen.
Mit dem Vergehen der Jahreszeiten werden nicht nur die Bilder düsterer, sondern auch der Tonfall. Der Streit zwischen den Dorfbewohner*innen, aber auch mit den Großgrundbesitzern werden zunehmend blutig ausgetragen. Die Konflikte werden archaisch, was sich auch in den geschilderten Riten widerspiegelt. Besonders hier, in fast dokumentarisch anmutenden Szenen von Beerdigungen und Hochzeiten, Maskenumzügen und Winterfesten, entwickelt der Film seine größten Qualitäten.
Unterlegt mit modern interpretierten traditionellen polnischen Liedern, gelingen DK & Hugh Welchman mitreißende Szenen, in denen dann auch die animierten Bilder Sinn ergeben: surreale, alptraumhafte Szenen, direkte Zitate von berühmten Gemälden von polnischen Künstlern der Zeit, flirrende, zerfließende Farben, ein visueller Rausch, der auch die etwas dünne, oft plakative Geschichte übertüncht. Für einen Deutschen erschließt sich die Bedeutung dieser Romanverfilmung zwar nicht auf den ersten Blick, viele Details der Geschichte müssen einem Nicht-Kenner der polnischen Geschichte zwangsläufig fremd bleiben. Aber gerade die Möglichkeit, einen Einblick in Traditionen und Psyche unserer östlichen Nachbar*innen zu erhalten, macht „Das Flüstern der Felder“ sehenswert.
Fazit: Das polnische Nationalepos „Die Bauern“ dient als Vorlage für einen Animationsfilm, der seine Vorlage zwar zu einer inhaltlich eher dünnen Dreiecksgeschichte einstampft, stattdessen aber mit eindrucksvollen Bildern sowie einem spannenden Einblick in polnische Riten und Traditionen überzeugt.