"John Wick" trifft "The Raid" im Märchenschloss
Von Julius VietzenHandgemachte Action, nur so viele Schnitte wie nötig – und Stars, die ihre Stunts (wieder) selbst machen: „John Wick“ hat das Hollywood-Actionkino geprägt wie kein anderer Film der letzten zehn Jahre. Wie bedeutend der Erfolg des Keanu-Reeves-Reißers ist, merkt man nicht nur daran, dass am 23. März 2023 bereits das vierte Kapitel der „John Wick“-Reihe in die deutschen Kinos kommt, sondern vor allem auch an den zahlreichen Filmen, die den Stil zu kopieren versuchen – von „Atomic Blonde“ über „Tyler Rake: Extraction“ bis hin zu „Nobody“.
Auch das in Deutschland direkt bei Disney+ veröffentlichte HULU-Original „The Princess“ fügt sich nun in diese Reihe ein – und das, obwohl Regisseur Le-Van Kiet („Furie“) und seine Drehbuchautoren die Handlung in ein märchenhaftes Mittelalter-Setting verlegen und keinen professionellen Killer, sondern eine schlagkräftige Prinzessin in den Mittelpunkt stellen. Viel wichtiger ist nämlich: „The Princess“ kommt in puncto Action beinahe an das große Vorbild „John Wick“ heran und macht deshalb auch richtig Laune, selbst wenn die Handlung zwischendrin immer mal wieder an Schwung verliert.
Joey King teilt als schlagkräftige Prinzessin ordentlich aus.
Eigentlich sollte die Prinzessin (Joey King) den ruchlosen Lord Julius (Dominic Cooper) heiraten. Doch weil sie ihn vor dem Traualtar stehen lässt, greift dieser kurzerhand das Schloss ihres Vater (Ed Stoppard) an, nimmt den König und den gesamten Hofstaat gefangen und sperrt die Prinzessin in den höchsten Turm. So will er den Thron doch noch erobern.
Kurze Zeit später kommt die junge Frau zu sich. Nachdem sie die Wachen überwältigt hat, muss sie vom Turm aus mitansehen, wie der König, die Königin (Alex Reid) und ihre jüngere Schwester Violet (Katelyn Rose Downey) abgeführt werden. Notgedrungen beginnt sie, sich Stockwerk für Stockwerk nach unten zu kämpfen, um ihre Familie zu befreien und Julius und dessen peitschenschwingender Handlangerin Moira (Olga Kurylenko) das Handwerk zu legen...
„The Princess“ beginnt wie ein klassischer (Disney-)Märchenfilm mit einer Kamerafahrt über einen See zu einem einsamen Turm, der genauso gut aus „Rapunzel“ stammen könnte. Weiter geht es durch das Fenster in der Turmspitze bis zum Bett, auf dem die Prinzessin gleich einer Dornröschen scheinbar friedlich schläft. Doch die Illusion hält nur kurz bis die Schlafende aufwacht, einen ihrer Wärter per Kopfnuss ausknockt und sich selbst den Daumen ausrenkt, um sich von ihren Ketten zu befreien.
Von hier an reiht der vietnamesische Regisseur Le-Van Kiet eine von Kameramann Lorenzo Senatore („Hellboy - Call Of Darkness“) in langen Einstellungen eingefangene und von Komponistin Natalie Holt („Loki“) mit rockigen E-Gitarrenklängen unterlegte Actionszene an die nächste. Trotz des begrenzten Settings – nämlich der Turm und das umliegende Schlossgelände – kommt dabei aber schon alleine deswegen keine Langeweile auf, weil die Kämpfe so ungemein abwechslungsreich geraten sind:
Die Prinzessin tötet ihre Gegner mit einer Haarnadel, einem Vorschlaghammer oder einer Repetierarmbrust, sie setzt sie in Flammen, kickt sie aus dem Fenster oder bringt sie mit den Perlen ihrer Halskette zu Fall. Sie nimmt es mal mit einer ganzen Horde Handlanger und mal nur mit einem besonders harten Brocken (frühes Highlight: ein muskelbepackter Hüne mit gehörntem Helm, der wie ein Minotaurus auf sie zustürmt) auf.
Dominic Cooper als ruchloser Lord Julius.
Die bislang vor allem aus der „The Kissing Booth“-Trilogie auf Netflix bekannte Joey King hat dabei einen Großteil ihrer Stunts selbst absolviert – und das sieht man auch! Aber nicht nur bei den Actionszenen macht sie eine gute Figur, sondern auch in den wenigen dramatischen Momenten oder wenn sie dem von Dominic Cooper routiniert heruntergespielten Fiesling Julius droht, nicht aufzugeben, bis sie sein noch schlagendes Herz in den Händen hält. Trotzdem ist die Titelfigur keine auf jede Situation vorbereitete und quasi unbesiegbare Killermaschine. Die Prinzessin gerät regelmäßig an ihre Grenzen, ist nach den Kämpfen ordentlich am Keuchen und leidet bei jedem Treffer, den sie einsteckt, sichtbar Schmerzen.
Und auch dass die Prinzessin anfangs in einem zum Kämpfen sehr ungeeigneten Hochzeitskleid steckt, wird nicht einfach übergangen. Stattdessen stolpert sie immer wieder über ihre Röcke und reißt ihr Kleid nach und nach kaputt, während sie ihre unpraktischen Schühchen gegen Stiefel eintauscht und sich einen Schwertgurt umlegt. Im Zentrum des Films steht so eine Figur, die an ihren Aufgaben wächst und aus jeder Situation irgendwie das Beste machen muss – und keine fast schon mythologisch überhöhte Legende wie John Wick oder Tyler Rake.
Während die Action und die Hauptfigur so bis zum Schluss höchst unterhaltsam bleiben, ist die Handlung von „The Princess“ nur ein hauchdünnes Konstrukt, dessen Ablauf wenig Überraschendes bietet. Das wäre alles nicht so schlimm und war etwa beim Martial-Arts-Highlight „The Raid“, an dem sich „The Princess“ mit dem Etage-für-Etage-Setting ein gutes Stück orientiert, schließlich auch nicht anders.
Allerdings finden Le-Van Kiet und seine Autoren häufig keinen Weg, das wenige an Plot elegant zu erzählen, sondern nutzen stattdessen einfach die Verschnaufpausen der Hauptfigur für ständige Rückblenden. Die kommen wegen übertriebenem Weichzeichner-Einsatz allerdings sehr billig daher und – noch viel schlimmer – bremsen „The Princess“ immer wieder aus. Hier wäre weniger definitiv mehr gewesen.
Fazit: Diese Prinzessin braucht sich vor John Wick und Co. nicht zu verstecken!