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    One Life
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    One Life

    Die Geschichte des britischen Oskar Schindler – und eines der großartigsten TV-Momente aller Zeiten!

    Von Oliver Kube

    Von 1973 bis 1994 zeigte die BBC wöchentlich eine enorm erfolgreiche Magazin-Sendung mit dem Titel „That‘s Life“. In einer Episode aus dem Jahr 1988 saß der 78-jährige Nicholas Winton im Studiopublikum, während die Moderatorin über einen Mann berichtete, der fünf Dekaden zuvor 669 jüdische Kinder aus Prag nach England geschafft und sie so vor dem nahezu sicheren Tod in Nazi-Konzentrationslagern gerettet hatte. Winton, der über seine Heldentaten immer geschwiegen hatte und deshalb auch gar nicht wusste, dass es in der Sendung um ihn gehen würde, saß unwissend neben einem der geretteten Mädchen von damals, inzwischen selbst eine Großmutter, die sich bei ihm bedanken wollte. Es war ein herzzerreißender, realer Moment, der ganz Großbritannien die Tränen in die Augen trieb und seitdem millionenfach auf den diversen Online-Video-Plattformen immer wieder angeschaut wurde und wird. Übertroffen nur von einem weiteren „That’s Life“-Moment mit Winton eine Woche später, den wir an dieser Stelle aber nicht spoilern wollen.

    Der bisher vor allem als Serien-Regisseur tätige James Hawes („Slow Horses“, „Black Mirror“) hat die beiden TV-Auftritte nun verfilmt, und sich dabei sehr nah an das Original gehalten – so bilden sie nun das Herzstück seines Kinodebüts „One Life“. Sicherlich sind die Szenen ganz schön schmalzig, aber dennoch (oder gerade deshalb?) ist es nahezu unmöglich, nicht von ihnen berührt zu werden. Mehr Taschentücher wird man dieses Jahr vermutlich in keinem anderen Film brauchen. Das wahnsinnig effektive Finale kann aber trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass vieles andere in dem Biopic-Drama längst nicht so gut funktioniert, das Publikum gar seltsam kaltlässt oder wie Füllmaterial wirkt. Obwohl der reale Nicholas Winton zu Recht als der britische Oskar Schindler gefeiert wird, kommt „One Life“ so nicht mal in die Nähe eines Meisterwerks wie „Schindlers Liste“.

    Einer der großartigsten Momente der TV-Geschichte – da werden auch im Kino die allermeisten unweigerlich losheulen! SquareOne
    Einer der großartigsten Momente der TV-Geschichte – da werden auch im Kino die allermeisten unweigerlich losheulen!

    London, 1938: Trotz der Bedenken seiner aus einer deutsch-jüdischen Immigrantenfamilie stammenden Mutter Babi (Helena Bonham Carter) beschließt der Börsenmakler Nicholas Winton (Johnny Flynn), seine ehemalige Kollegin Doreen Warriner (Romola Garai) zu besuchen, die mittlerweile in Prag für eine Flüchtlingshilfeorganisation arbeitet. Dort eingetroffen, ist er schockiert von den Bedingungen, unter denen hier Tausende von Menschen aus Deutschland und Österreich – die meisten von ihnen Juden – in provisorischen Unterkünften oder direkt auf der Straße leben müssen. Winton ist klar, dass der Einmarsch der Nazis in die Tschechoslowakei unmittelbar bevorsteht und sich die Situation dieser Menschen dadurch nur noch einmal drastisch verschlimmern wird.

    Unter extremem Zeitdruck beginnt er gemeinsam mit seinen wenigen Mitstreiter*innen, eine Evakuierung zumindest der Kinder nach Großbritannien auf die Beine zu stellen. Trotz immenser bürokratischer und finanzieller Hindernisse gelingt es so, zumindest 669 Kinder bei britischen Pflegefamilien unterzubringen. Dennoch zerfrisst Winton (jetzt: Anthony Hopkins) auch Jahrzehnte später noch immer der Gedanke daran, wie viele er nicht retten konnte. Deshalb schweigt er auch über seine Handlungen, die schnell in Vergessenheit geraten sind. Aber Ende der 1980er verlangt seine Ehefrau Grete (Lena Olin), dass Winton endlich mal sein Arbeitszimmer entrümpelt. So gelangt die Liste mit den geretteten Kindern schließlich auch an die Holocaust-Forscherin Elisabeth Maxwell (Marthe Keller) – und die ist zufälligerweise mit einem einflussreichen BBC-Produzenten liiert…

    Anthony Hopkins räumt auf

    Im Umfeld der Weltpremiere beim renommierten Toronto International Film Festival wurde „One Life“ direkt mit einem möglichen dritten Academy Award für Anthony Hopkins (nach „Das Schweigen der Lämmer“ und „The Father“) in Verbindung gebracht. Natürlich verleiht der Waliser dem Film mit seiner wie gewohnt präzisen Performance zusätzliche Tiefe und Klasse. Um ernsthaft für einen Oscar infrage zu kommen, hat Hopkins in „One Life“ aber einfach zu wenig zu tun. Neben ein paar kurzweiligen Dialogszenen mit seiner Filmgattin Lena Olin („Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“) ist eigentlich nur das emotionale Herzstück des Dramas, die eingangs genannte TV-Show, erwähnenswert. Bei der musste der Edelmime streng genommen allerdings auch nur dasitzen und konsterniert dreinschauen.

    Ansonsten sehen wir Hopkins hauptsächlich dabei zu, wie seine Figur in ihrem Home-Office alte Akten von links nach rechts stapelt, um sie dann später im Garten zu verbrennen. Fast könnte man auf den Gedanken kommen, diese Szenen sind nur deshalb so zahlreich und ausführlich vorhanden, um die Screentime des größten Stars zu erhöhen und den Produzenten so eine Entschuldigung dafür zu geben, seinen Namen ganz oben auf ihrem Plakat zu platzieren – viel zur Story beitragen tun sie jedenfalls nicht.

    Der junge Winton (Johnny Flynn) lässt seinen Job als Börsenmakler in London hinter sich, um sich ganz auf die Rettung der Kinder aus Prag zu konzentrieren. SquareOne Entertainment
    Der junge Winton (Johnny Flynn) lässt seinen Job als Börsenmakler in London hinter sich, um sich ganz auf die Rettung der Kinder aus Prag zu konzentrieren.

    Die anspruchsvollere Aufgabe fällt Johnny Flynn zu, der die junge Version des Charakters verkörpert. Der „Emma.“-Star tut sein Bestes, bekommt von seinem Regisseur beziehungsweise den Drehbuchautor*innen Lucinda Coxon („The Danish Girl“) und Nick Drake („Unter der Sonne Australiens“) aber nicht allzu viel an die Hand. Schließlich waren die meisten der vom realen Winton verrichteten Aktionen doch organisatorischer Natur. Aber Aufnahmen eines Mannes am Telefon, beim Sortieren von Formularen oder beim Checken von Listen sind nun mal nur begrenzt aufregend ins Bild zu setzen. Die Dringlichkeit dieser Arbeit kommt dann auch allenfalls streckenweise rüber. Was dabei hilft, sind die Intensität von Flynns Mimik und der wirkungsvolle, aber unaufdringliche Score von Volker Bertelmann (Oscar für „Im Westen nichts Neues“).

    Etwas Schwung kommt zudem rein, wenn wir zwischendurch dabei sind, wie die von Helena Bonham Carter („Fight Club“) herrlich resolut gespielte Mutter des Protagonisten daheim in London den Bürokraten der britischen Einwanderungsbehörde Dampf macht und ein „Nein“ einfach nicht akzeptiert. Dagegen wirken die unregelmäßig eingeschobenen, in den 1980ern spielenden Szenen mit Hopkins, als würde man immer mal wieder zu einem ganz anderen Film umschalten. Da der alte Winton viel allein ist, geht das Tempo drastisch runter, es wird kaum geredet und passieren tut ohnehin wenig. Vielleicht hätte es geholfen, dem Publikum zumindest anhand einiger Beispiele zu zeigen, was aus den von ihm und seinen Helfer*innen geretteten Kindern geworden ist. Aber über die erfahren wir so gut wie nichts. So dürfte dieser Film über Nicholas Winton längst nicht so lange in Erinnerung bleiben, wie es das Wirken des Mannes eigentlich verlangt.

    Fazit: Ein Film auf zwei Zeitebenen, die sich anfühlen wie zwei unterschiedliche Werke. Die fähigen Schauspieler*innen tun, was sie können. Doch abgesehen vom heulkrampfgarantierenden Finale (das man sich aber eben auch in echt auf YouTube ansehen kann) fehlt es ihnen bisweilen einfach an substanziellem Material, um das Publikum durchgehend fesseln zu können. Schade, ein echter Held wie Nicholas Winton hätte mehr als ein nur gelegentlich mitreißendes, ansonsten allenfalls routiniertes Biopic verdient.

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