Die Pointen zünden seltener. Aber sie zünden.
Von Björn BecherEine Szene aus „Borat 2“ alias „Borat Anschluss Moviefilm“ sorgte bereits kurz vor der Premiere des Films auf Streamingdienst Amazon Prime Video für Aufsehen: Zu sehen ist auf der kurzen Aufnahme mit versteckter Kamera der ehemalige New Yorker Bürgermeister und heutige Trump-Vertraute Rudolph Giuliani, der auf einem Bett liegt und sich in Anwesenheit einer jungen Frau, die er für eine Reporterin hält, kurz in die Hose fasst. Seine schnell auf Twitter gegebene Verteidigung: Er habe nur sein Hemd richten wollen! Wie absurd diese Ausrede wirklich ist, wird klar, wenn man den ganzen Ausschnitt, der zu den Höhepunkten des Amazon-Sequels zählt, zu sehen bekommt:
Denn schon vor dem Hosengriff agiert Giuliani beim offiziellen Teil des Interviews gegenüber der jungen Reporterin unglaublich schmierig und übergriffig. Sacha Baron Cohens Konzept, seine Gegenüber in falscher Sicherheit zu wiegen, um sie zu unüberlegten, aber ehrlichen Handlungen und Aussagen zu verleiten, geht auch 14 Jahre nach dem oscarnominierten „Borat“ noch auf – wenn auch deutlich seltener, weshalb die Fortsetzung im Gegensatz zum Vorgänger häufiger wie ein durchinszenierter Spielfilm und nicht wie eine entlarvende Versteckte-Kamera-Mockumentary wirkt.
Juhu, Borat ist wieder in den USA!
14 Jahre ist es nun schon her, dass der kasachische Reporter Borat (Sacha Baron Cohen) mit einer USA-Reise samt zugehörigem Film Schande über sein Land gebracht hat. Seitdem sitzt er im Gulag. Nach seiner überraschenden Entlassung erfährt er nicht nur, dass er eine 15 Jahre alte Tochter Tutar (Maria Bakalova) hat – er soll auch einen geheimen Auftrag ausführen: Der kasachische Präsident will Donald Trumps Freund werden – und deshalb soll Borat einen kostbaren Affen als Geschenk in die USA bringen.
Da eine Audienz beim US-Präsident aber nicht so leicht zu bekommen ist (schließlich kackte Borat einst vor dessen Tower), ist Vize-Präsident Mike Pence das Ziel. Doch in den USA steht der Journalist gleich vor zwei Problemen: Er wird immer wieder erkannt und auf offener Straße um Autogramme und Selfies gebeten - sehr schlecht für eine Geheimoperation. Vor allem aber hat sich seine Tochter in die Frachtkiste geschmuggelt und den Affen gegessen. Um in seiner Heimat nicht hingerichtet zu werden, greift Borat zu einem Notplan: Statt den Affen will er nun seine Tochter im Namen Kasachstans an einen mächtigen Mann verschenken...
Nach der Ankündigung einer „Borat“-Fortsetzung hatten viele Fans wohl denselben Gedanken: Wie will Sacha Baron Cohen ein weiteres Mal so viele Menschen, egal ob mächtige Lenker oder einfache Leute von der Straße, für seine Mockumentary aufs Glatteis führen? Die meisten dürften ihn und seine Kunstfigur ja mittlerweile kennen. Doch er findet einen Weg – und es sind weniger die absurden Kostüme samt Fat-Suit, schlechten Perücken und angeklebten Zottelbärten, mit denen sich Borat selbst tarnt: Es ist seine Mitstreiterin!
Einige der besten Momente von „Borat 2“ gehören der bisher international noch weitgehend unbekannten bulgarischen Schauspielerin Maria Bakalova, die viel mehr ist als einfach nur ein Ersatz für den ganzkörperbeharrten Produzenten Azamat (Ken Davitian). Tutar wirft sich ohne jede Scheu vor irgendwelchen Peinlichkeiten voll ins Geschehen: Ihr gegenüber hat eine Influencerin keinerlei Scheu zu erklären, wie man sich einen möglichst reichen und möglichst alten Sugar-Daddy krallt. Ein Schönheitschirurg bestätigt ihr unterdessen, dass sie natürlich keine Juden-Nase habe und auf einem Debütantinnen-Ball schockiert sie die anwesenden Väter und deren Töchter mit einer verstörend-entblößenden Tanzeinlage.
Auch Borat trägt Maske
Kurz zuvor gibt es eine Sequenz, die mit ihrer entlarvenden Komik so auch aus dem Vorgänger stammen könnte: Sacha Baron Cohen schafft es, einen der anwesenden Väter dazu zu bringen, Tutar mit einer Geldsumme zu bewerten, was dessen eigene Tochter wiederum ziemlich angewidert kommentiert. Immer wieder öffnet der Komiker so den freien Blick in die Abgründe Amerikas – etwa als Quarantäne-Mitbewohner von zwei „starken, weißen Männern“, die freimütig den allergrößten QAnon-Verschwörungs-Bullshit (wie Hillary Clinton trinkt Blut kleiner Kinder) verzapfen, oder mit der Bestellung bei einer Bäckerin, die eine Torte – ohne mit der Wimper zu zucken - mit einem offensichtlich antisemitischen Spruch verziert.
Solche Übertölpelungs-Begegnungen mit Menschen von der Straße sind allerdings seltener als noch in „Borat“. Stattdessen sind sie diesmal nur noch eine Ergänzung zur deutlich stärker ins Zentrum rückenden Filmhandlung. Über weite Strecken inszenieren Sacha Baron Cohen und sein Regisseur Jason Woliner („The Last Man On Earth“) fast schon einen konventionellen Spielfilm über einen Vater und eine Tochter, die zueinanderfinden, während sie entdeckt, dass Frauen in den USA anders als in ihrer Heimat Rechte haben. Viele Szenen, in denen nur Sacha Baron Cohen und Maria Bakalova miteinander in ihrer angeblichen Landessprache agieren, um die „Story“ voranzubringen, ziehen sich allerdings doch beträchtlich.
Dass der durchinszenierte Spielfilmanteil so ausführlich gerät, mag ein Stück weit auch der Corona-Pandemie samt Kontaktbeschränkungen geschuldet sein. Abseits der vergleichsweise lahmen Füllszenen wurden die aktuellen Entwicklungen aber sehr geschickt von Sacha Baron Cohen und seinem achtköpfigen Schreibteam um seinen Stammautor Dan Mazer sowie Stand-Up-Komikerin und Jon-Stewart-Kollegin Jena Friedman in die Geschichte eingewoben – inklusive einer wirklich gelungenen, amüsanten Schlusswendung mit Anspielung auf den Kino-Klassiker „Die üblichen Verdächtigen“ und Mini-Cameo eines waschechten Hollywood-Stars.
Am Ende sind auch jenseits der Vater-Tochter-Momente mehr Szenen als beim Vorgänger offensichtlich inszeniert. Dazu gehört etwa die gesamte Handlung um eine „Babysitterin“, die auf Tutar aufpasst und ihr Selbstbewusstsein stärkt (und die einige „Borat“-Fans sofort erkennen dürften). Allerdings entwickeln diese Szenen ebenso wie das Zusammentreffen des antisemitischen Kasachen mit einer Holocaust-Überlebenden zwischen all den Auftritten von Sexisten und Rassisten eine unerwartet positive Strahlkraft, die „Borat 2“ einen überraschend optimistischen Ton verleihen.
Fazit: „Borat 2“ wird sicherlich längst nicht den Kult-Status des Vorgängers erreichen. Aber er hat zwischen vielen inszenierten Füllszenen vor allem dank Sacha Baron Cohens Mitstreiterin Maria Bakalova trotzdem genügend starke Momente, um Fans erneut zu begeistern – und dass es ausgerechnet Borat ist, der einem mit seiner entlarvenden Satire die Hoffnung zumindest in Teile der Menschheit wiedergibt, hätte man nun im Vorfeld auch nicht gerade erwartet.