Martial-Arts-Filme haben seit je her ihre eigenen Regeln und ihre eigenen Motive: Einer der beliebtesten Topoi ist der vom Clash der Kulturen, wenn ein (zumeist asiatischer) Kampfsportmeister in eine für ihn völlig fremde (und meistens westliche) Umgebung versetzt wird und sich dort mit Hilfe seiner Fähigkeiten gegen eine (ebenso oft zahlenmäßig gewaltige) Übermacht von Gegnern behaupten muss (die dann ob der unbekannten Schlag- und Tritttechniken häufig recht verdutzt und ratlos agieren). Schon Bruce Lee, bis heute unumstritten der beste und populärste Martial-Arts-Darsteller aller Zeiten, wurde anno 1972 in "Way Of The Dragon" aus Hongkong nach Rom gerufen, um sich mit einer Horde von Schutzgelderpressern herumzuschlagen, und lieferte damit für eine unendliche Zahl filmischer Abziehbilder die meisterliche Vorlage.
Am häufigsten kolportierte Jackie Chan das Motiv in seinen Filmen (zuletzt auf sehr humorvolle Weise in "Shanghai Noon"). Chinas Superstar Jet Li, der sein furioses Hollywood-Debut als Bösewicht im letzten "Leathel Weapon"-Sequel gab und für den Kinobesucher in Hongkong nach wie vor viele Stunden Schlange stehen, variiert in "Kiss Of The Dragon" das Thema vom Outsider, der in einer feindlichen Umgebung auf sich allein gestellt ist, nur geringfügig gegenüber seinem letzten Film "Romeo Must Die": Als chinesischer Elitepolizist Jian gerät er in Paris, wo er den französischen Behörden bei den Ermittlungen gegen die örtlichen Triaden helfen soll, in die Falle des korrupten Inspektors Richard (Tcheky Karyo) und wird vom Jäger zum Gejagten. Was seine peitschenschnellen Fäuste und Drehfußtritte alsbald massenhafte Anwendung finden lässt.
Einem markanten Imagewechsel hat sich Chinas Superstar Jet Li seit seinem Wechsel in den Westen unterworfen: Verkörperte er zu seinen Hongkongzeiten entweder den strahlenden, jugendlichen Held ("Once Upon A Time In China", "Tai Chi Master") oder - genau wie Kollege Jackie Chan - den einfältigen, aber liebenswerten und gutherzigen Tor ("Die
Schriftrolle des Todes"), so stilisierte ihn das westliche Kino in "Romeo Must Die" zum düsteren, wortkargen Rächer, zur Kampfmaschine, die Clint-Eastwood-like ungerührt und unaufhaltsam einen Durchmarsch durch das Spalier der Gegner unternimmt. So auch in "Kiss of the Dragon", wo sich scheinbar die gesamte Polizei der französischen Hauptstadt verschworen hat, ihn aus dem Weg zu räumen. Als Gegenspieler wird ihm der inzwischen auf den Typus des finsteren, intriganten Dauerbösewichts abonnierte Tcheky Karyo gegenüber gestellt, der hier praktisch die Figur des korrupten Detective Netah aus Christophe Gans' hervorragendem "Crying Freeman" wieder aufgreift.
Es bedarf schon viel guten Willens, die wenigen zusammengestückelt wirkenden Handlungssequenzen zwischen den eindrucksvoll, teilweise bestechend in Szene gesetzten Kampfszenen als Plot zu bezeichnen. Die Frontlinien sind gezogen: Gut gegen Böse, Weiß gegen Schwarz, was bedarf es da schon irgend eines auch nur annähernd einfallsreich zu nennenden Handlungskonstrukts? Auch an Darstellern findet sich neben den Antagonisten Li und Karyo wenig Erinnernswertes: Bridget Fonda gibt als hysterische Bordsteinschwalbe mit Muttergefühlen eine der unterdurchschnittlichsten Leistungen ihrer Karriere. Alle übrigen Darsteller dienen entweder als Staffage oder als Sparringspartner Lis. Ein sympathisches Cameo liefert allein Burt Kwouk, der "Cato" aus den "Rosarote Panther"-Filmen mit Peter
Sellers.
"Kiss of the dragon" ist Martial Arts reduziert auf die Basics, ohne jeglichen Anspruch auf eine für westliche Standards entsprechende Storyline, aber auch ohne all jenen der chinesischen Denkweise entstammenden mystischen, oftmals schwermütigen oder märchenhaften Überbau, der Jet Lis frühere Arbeiten auszeichnete und zuletzt so phänomenal in Ang Lees "Tiger and Dragon" zum Ausdruck kam. Dem Charisma des Hauptdarstellers tut dies keinen Abbruch: Jet Li tut das, was er am besten kann: Stoisch gucken und gnadenlos zuschlagen. Die kalte und mechanische Aneinanderreihung von Kämpfen ist auf Jet Li ebenso maßgeschnitten wie das seelenlose Pistolen- und Maschinengewehr-Dauerfeuer in Antoine Fuquas "Replacement Killers", der damit 1998 eine Steilvorlage für seinen Hauptdarsteller Chow Yun Fat lieferte.
Obwohl "Kiss of the dragon" ein durch und durch westliches Action-Movie ist, lassen es sich Jet Li und sein Produzent Luc Besson nicht nehmen, auf die großen Klassiker des Genres zu referenzieren, wobei beide aus ihrer Verehrung für den Meister aller Klassen keinen Hehl machen. Der einsame fernöstliche Kämpfer Jet Li muss sich hier ebenso vor malerisch europäischer Großstadtkulisse behaupten wie Bruce Lee einst in dem in Rom spielenden "Way Of The Dragon". Der Showdown, bei dem sich Jet Li videospielartig durch ein Gebäude voller Gefahren von Stockwerk zu Stockwerk und von einem Gegner zum nächsten bis zum Oberbösewicht hindurcharbeiten muss, erinnert an "Game of death", jenen Abschiedsfilm, der erst nach Lees Tod zu Ende gedreht wurde. Auch das "Heranwinken" des Gegners mit der vorgestreckten Hand aus kampfbereiter Stellung haben sich Li und Besson bei ihrem Idol abgeguckt. Und die skurrile Massenkeilerei, die Jet Li mit den Teilnehmern eines Polizei-Karatekurses veranstaltet, ist eine melancholische Reminiszenz an "Todesgrüße aus Shanghai", Bruce Lees grandios-düsteres Racheepos von 1972.
Und "Kiss Of The Dragon" könnte als Martial-Arts-Vergnügen reinsten Wassers durchgehen, hätte da nicht in der deutschen Fassung wieder einmal die Schere des Verleihs zugeschlagen und am Schluss einige der markantesten Kampfszenen, in denen Jet Li gekonnt effektiv seinen Gegenspielern den Garaus macht, verstümmelt. Es kann einem mittlerweile Tränen der Wut in die Augen treiben, dass selbst im 21. Jahrhundert Verleihfirmen um der scheinbar kommerzträchtigen FSK-Freigabe von 16 Jahren gewillt sind, die Kinozuschauer der Willkür ihrer Zensur auszusetzen.