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    Kill Bill Vol.1
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Kill Bill Vol.1
    Von Carsten Baumgardt

    Knapp sechs Jahre sind seit Quentin Tarantinos letztem Film „Jackie Brown" ins Land gezogen. Für einige stellte dieses oft unterschätzte Meisterstück gar eine Enttäuschung dar. Der Druck, den der innovativste Regisseur der Gegenwart aufgebaut hatte, war enorm. Die spannende Frage: Was setzt uns der Meister mit seinem actiongeladenen, zweiteiligen Rache-Epos „Kill Bill“ vor? Hat Tarantino noch die künstlerische Kraft, die „Pulp Fiction" zu einem der besten Filme aller Zeiten machte? Die Antwort fällt sehr erfreulich aus. Mit „Kill Bill Vol. 1” versetzt Tarantino all jenen Zweiflern und Nörglern einen fulminanten Tritt in den Allerwertesten. Der Film ist ein visionäres, ultrabrutales Todesballett, das sich konsequent und bewusst gegen jegliche Sehgewohnheiten des Mainstreambesuchers stellt und ihm stattdessen ein stilistisch perfekt inszeniertes Blutbad serviert.

    Ihr Codename: Die Braut (Uma Thurman). Ihr Schicksal: der Tod. Doch ganz so einfach will es die professionelle Killerin ihren Schlächtern nicht machen. Nachdem ihre ehemaligen Kollegen O-Ren Ishi (Lucy Liu), Vernita Green (Vivica A. Fox), Budd (Michael Madsen) und Elle Driver (Daryl Hannah) ihre Hochzeitsgesellschaft in einem Massaker enden ließen, sie geschändet und blutüberströmt am Boden liegt, jagt ihr Gangster-Boss Bill (David Carradine), von dem sie schwanger ist, noch eine Kugel in den Kopf. Wie durch ein Wunder bleibt die Braut am Leben, fällt aber ins Koma. Für lange Zeit. Nach vier Jahren wacht sie unerwartet wieder auf und hat nur noch ein Ziel: Rache nehmen. Rache an dem Todeskommando, das sie liquidieren sollte. Rache an Bill, der den Auftrag dazu gegeben hatte. Nachdem die Braut sich von ihren Lähmungserscheinungen erholt hat, und einen widerwärtigen Krankenhauspfleger seinem gerechten Schicksal zuführt, kann ihr Rachefeldzug beginnen...

    1992 ließ der ehemalige Videotheksangestellte und fanatische Filmfreak Tarantino mit dem knallharten Gangster-Drama „Reservoir Dogs" die Filmszene aufhorchen. Der Low-Budget-Film präsentierte eine Coolness, wie sie seit langem nicht mehr auf den Leinwänden zu sehen war. Zwei Jahre später revolutionierte der Exzentriker das Genre mit seinem bis heute unerreichten Meisterwerk „Pulp Fiction" und verhalf ganz nebenbei dem abgehalfterten John Travolta zu einem Sensationscomeback. Dass der zurückhaltende „Jackie Brown" (1998) die Erwartungen der Masse nicht erfüllen konnte, erhöhte die Spannung bis zu seinem aktuellen Werk „Kill Bill Vol. 1“ noch zusätzlich. Wer Tarantino, der sich eine lange Schaffenspause gönnte, abgeschrieben hatte, muss jetzt einsehen, wie sehr er sich doch getäuscht hatte.

    Mit unnachahmlicher Konsequenz setzt Tarantino dem staunenden Publikum wieder einen echten, schwer verdaulichen Brocken vor. Das Rache-Drama ignoriert sämtliche Trends dieser Zeit und lädt vielmehr ein, zu einem Trip in das Universum des Quentin Tarantino. Eines vorweg: Der Hauch von Story ist eher ein schlechter Witz und die Dialoge haben nichts mit ihren Vorgängern gemein. Aber es war auch nicht die Absicht, eine Kopie seiner bisherigen Werke zu schaffen. Ein Action-Massaker reinster Prägung – durchzogen mit Tarantinos visionärem Inszenierungsstil - hatte er im Sinn. „Kill Bill Vol. 1” ist ein furioser Stilmix aus Tarantinos Lieblingsgenres. Eastern, Spaghetti-Western, Martial-Arts, Samurai-Movie, Blaxpoitation: „Kill Bill” ist alles in einem. Dass bei dieser Art von Film Blut fließt, ist klar. Aber Kompromisse macht der US-Amerikaner sowieso nie. Und so ist diese Action-Reinform derart brutal und blutrünstig geraten, dass selbst dem nicht zimperlichen Besucher das ein oder andere Mal flau im Magen wird. Im Splatter-Stil fliegen abgetrennte Gliedmaßen durch die Luft, der Verbrauch von (Kunst)Blut wird in astronomische Dimensionen geschraubt.

    Was ist daran so aufregend? Natürlich der Stil, mit dem Tarantino seine Bilder kreiert. Ein perfekt ausgewählter Soundtrack aus unterschiedlichsten Musikgenres passt messerscharf zu jedem Bild, das auf der Leinwand zu sehen ist. Zu Beginn führt er mit einem bedrückenden Schwarz-Weiß-Prolog in die Handlung ein, später mischt er mühelos eine Manga-Comic-Sequenz in die Story als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Die dünne Geschichte kommt nicht linear daher, sondern wird in verschiedenen Zeitformen voran- und manchmal zurückgetrieben – ähnlich wie bei „Pulp Fiction“. Diese Technik ist seitdem beliebt, aber keiner beherrscht sie so wie Tarantino. Stilistisch bietet er alles auf, was möglich ist. Virtuose Kamerafahrten, Farb- und Lichtwechsel, Kämpfe mit genial unterlegter Musik, dann wieder komplette Stille beim Niedermetzeln. Das alles fügt sich zu einem furiosen Ganzen zusammen, dass den Betrachter entweder in seinen Bann zieht oder ihn schaudernd und Kopf schüttelnd aus dem Kino rennen lässt.

    Schauspielerisch ist „Kill Bill Vol. 1“ im Kern auf Hauptdarstellerin und Tarantinos Lieblingsschauspielerin Uma Thurman („Pulp Fiction", „Gattaca") zugeschnitten. Sie gibt den gnadenlosen Racheengel in physischer Hochform. Hier gibt es keine digitalen Tricks und Spielereien. Unterhaltung in Reinform, mit offenen Karten präsentiert. Neben Thurman geben sich die Gaststars quasi die Klinke in die Hand. Besonders Lucy Liu begeistert dabei. Als Hauptkontrahentin von Thurmans Braut kann sie eine enorme Präsenz und Aura vorweisen. Zu den zahllosen Anspielungen und Zitaten quer durch die moderne Filmgeschichte passt die Tatsache, dass Stars wie Sonny Chiba (als Schwertikone Hattori Hanzo) und David Carradine (ist als Bill in Teil 1 nur schemenhaft zu erkennen) Gastauftritte haben.

    Inhaltlich funktioniert der Notbehelf, aus dem 247 Minuten langen Stück zwei Teile zu machen, besser als bei „Matrix Reloaded". Nach dem gut 20-minütigen, eruptiven Showdown findet der Film einen gewissen Zwischenabschluss. Über drei Stunden Laufzeit hätte das Kampfgetümmel wahrscheinlich ermüdend gewirkt. Das hatte Tarantino erkannt und zu dieser ungewöhnlichen Maßnahme gegriffen. „Vol. 2" kommt am 22. April 2004 in die Kinos. Ein ausdrücklicher Warnhinweis sei am Ende noch erlaubt. Zartbesaitete Gemüter oder Filmfans, die bisher mit Tarantinos Werken nichts anfangen konnten, sollten „Kill Bill Vol. 1“ meiden. Die Gewaltszenen sind ausufernd und von ungeheurer Brutalität. Aber weil klar ist, dass es sich hier um Film handelt, der nicht im Ansatz einen Realitätsanspruch erhebt, diesen sogar bewusst von sich weist, ist das Gesehene dennoch verarbeitbar. Das ist zwar nicht leicht, aber es lohnt sich. Denn „Kill Bill Vol. 1“ ist der unmoralische Faustschlag gegen das Mainstreamkino, den sich viele von leb- und seelenlosen Action-Blockbustern Enttäuschte seit langem wünschen. Dass einem Tarantino ein gewisses Maß an Krankhaftigkeit zugestanden werden muss, versteht sich bei diesem Film von selbst. Hate it or love it...

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