Die Stars aus "Tenet" und "Euphoria" streiten sich in bestechendem Schwarz-Weiß
Von Sidney ScheringNoch bevor das Schwarz-Weiß-Drama „Malcolm & Marie“ seinen limitierten US-Kinostart feierte, schlug die Rezeption des Films, an dem sich schließlich Netflix in einem Bieterwettstreit die weltweiten Rechte sicherte, gleich mehrere Haken: Zunächst beschrieb ihn die Fachpresse als „ersten Covid-19-Film“, weil er vollständig während der Pandemie erdacht und geschrieben wurde – also zu einem Zeitpunkt, als der Rest Hollywoods noch damit haderte, wie er auf Corona reagieren sollte. Dann galt er kurzzeitig als „der Film, der den Ex-Disney-Star Zendaya bestimmt eine Oscar-Nominierung einbringt“, weil die allerersten Pressemitglieder, die das Drama sehen durften, so sehr von ihrer Performance begeistert waren, dass sie sich nicht vorstellen konnten, dass es den Academy-Wählern anders ergehen könnte.
Der allgemeine Hype hielt jedoch nicht lange an. Denn schon kurze Zeit später brach eine regelrechte Flut negativer Pressereaktionen auf „Malcolm & Marie“ hernieder. Ein in den Verrissen oft genannter Kritikpunkt: Der Autor und Regisseur Sam Levinson („Assassination Nation“) würde mit seinem Film auf lächerliche, aggressive Art einfach nur ein Hühnchen mit Kritiker*innen rupfen. Das US-Magazin Vulture hat sich deshalb sogar schon die Frage gestellt, ob es etwas mit dieser im Streit zwischen Malcolm und Marie zum Teil harsch vorgetragenen Kritik an Filmkritiker*innen zu tun hat, dass der Film plötzlich so viel schlechter besprochen wird. Dabei hat das Beziehungsdrama über einen Regisseur und seine von ihm enttäuschte Freundin allerdings ganz andere, bedeutendere Themen im Sinn.
Malcolm (John David Washington) und Marie (Zendaya) sind schon länger ein Paar ...
Der Autorenfilmer Malcolm (John David Washington) und seine Freundin Marie (Zendaya) kommen frisch von der Premiere seines neuen Films nach Hause. Malcolm ist angesichts der Publikumsreaktion völlig euphorisch und überzeugt davon, dass sein neuer Film ein Hit wird. Nicht nur das: Er rechnet auch fest mit einem Erfolg bei der Filmkritik – einer Profession, von der er bisher wenig gehalten hat.
Marie bremst allerdings Malcoms Ekstase: Mit stoischer Miene macht sie ihm einen kleinen Abendsnack und verpasst ihm währenddessen kleine Sticheleien. Malcolm lässt sich von Maries Mangel an Freude provozieren und so kommt es zum Streit – über Malcolms Verhalten auf der Premiere, über Maries Art zu streiten und über die Inspiration zu seinem Film. Immer neue, tiefergehende Konfliktthemen werden angeschnitten. Schon bald geht es nicht mehr darum, wann die vermuteten Kritiker-Lobeshymnen online gehen, sondern darum, ob die Beziehung des Paars diese Nacht überleben kann…
Initiiert wurde das Projekt „Malcolm & Marie“ letztendlich, weil der „Euphoria“-Schöpfer Sam Levinson und seine Hauptdarstellerin Zendaya („Spider-Man: Far From Home“) während der coronabedingten Zwangs-Drehpause ihrer umjubelten HBO-Serie nicht länger untätig bleiben wollten. Das Saatkorn der Inspiration reicht jedoch weiter zurück: Bei der Suche nach einem unter strengen Corona-Arbeitsbestimmungen umsetzbaren Stoff erinnerte sich Levinson plötzlich daran, wie er bei der Premiere zu „Assassination Nation“ vergaß, seiner Partnerin zu danken. Von diesem persönlichen Fauxpas ausgehend, erarbeitete Levinson das Skript zu einem Streitdrama, bei dem eine unvollständige Dankesliste lediglich ein frühes Symptom einer scheiternden Beziehung darstellt.
Der von John David Washington („Tenet“) mit gewinnendem Selbstbewusstsein, charismatischem Zähnelächeln und faszinierendem Sturkopf verkörperte Malcolm ist ein Autor und Regisseur, der seinen Lebensunterhalt mit betont einfühlsamen Geschichten verdient. Sein neuestes Werk ist ein Drogendrama über eine Süchtige, die sich aus einem beängstigenden Tief herauskämpft. Aber als wir Malcolm im Film zum ersten Mal begegnen, befindet er sich in seiner ganz eigenen Welt, wenn er sich Zuhause praktisch seine eigene Aftershow-Party schmeißt: Er dreht die Musik voll auf, macht sich einen Drink, tänzelt und ruft Fetzen eines Selbstgesprächs in den Raum – all das, während seine Freundin sichtbar unglücklich durchs Haus latscht. Kein „Was hast du denn?“ kommt ihm über die Lippen – er wird erst stutzig, sobald Marie ihm ihre schlechte Laune derart ins Gesicht reibt, dass es seinen Groove ruiniert.
... aber in dieser Nacht ziehen sie sich solange an ...
Wenn im nachfolgenden Streitgespräch klar wird, dass Marie sich daran stört, keine Danksagung erhalten zu haben, wirkt das zunächst so, als sei durch eine Kleinigkeit ihr Ego gekränkt – vergleichbar mit Malcolms abfälligem Monolog über die Filmpresse, der zunächst ebenfalls nach schierer abgehobener Arroganz klingt. Dabei gehen Malcolms und Maries jeweiligen Ärgernisse tiefer – und sie finden im Laufe des von Sam Levinson fesselnd geschriebenen Zanks stimmig argumentativ zusammen:
Malcolm dreht Filme über Schicksale, Persönlichkeiten und Themen, die er beobachtet und von denen er sich in Form eines Leinwand-Narratives ein eigenes Bild verschafft. Seine Filme sind sowohl ein Kommentar auf das von ihm Beobachtete als auch Ausdruck seiner Selbst – worauf er sehr stolz ist. Das Metier der Filmkritik, das Malcolm so sehr verachtet und dessen Urteil ihm dennoch so viel bedeutet, geht ähnlich vor: Werke werden beobachtet und daraufhin mit persönlicher Färbung kommentiert. Und so, wie sich Malcolm an Filmkritik stößt (und in aufgebrachter Stimmung die positiven Ausführungen einfach überliest), stößt sich Marie an Malcolms Verhalten auf der Premiere, an Teilen seines Films und daran, dass er offensichtliche Parallelen nicht erkennt. Der Unterschied ist nur, dass Marie die Gründe ihrer Verärgerung nur schubweise zu erkennen gibt, während Malcolm alles sofort heraus posaunt, was ihm in den Sinn kommt.
Je weiter der Streit eskaliert, ganz gleich, wie zärtlich Malcolm und Marie während kurzer Ruheinseln zueinander sind, desto deutlicher wird, dass es Malcolm an Reflexionsvermögen mangelt. Weder erkennt der Sohn wohlhabender Eltern, wie heuchlerisch er ist, wenn er sich als unterdrückter Künstler darstellt, noch wird ihm bewusst, dass seine Schimpftiraden über Filmkritik voller Widersprüche sind. Geschweige denn, dass er selbst ganz ähnliche Sünden begeht wie die, die er der „weißen Dame von der L.A. Times“ vorwirft – und das nicht nur im Hinblick auf seinen Film, sondern auch im Hinblick auf seine Beziehung zu Marie. Er hinterfragt sich selbst viel zu selten – und betrachtet sich erst recht nicht aus Maries Perspektive.
„Malcolm & Marie“ wäre aber wahrscheinlich einfach nur sehr mühselig ausgefallen, würde Sam Levinson seine stilvoll-zurückhaltende 35mm-Schwarz-Weiß-Fotografie, die sich reizvoll mit dem unerbittlichen Wortgefecht der Titelfiguren beißt, ausschließlich dazu nutzen, um einen einseitigen Zwist zu zeigen. Stattdessen präsentiert er uns zusätzlich zu einem sinnbildlich Scheuklappen tragenden Regisseur eine Muse, die unfähig ist, geradeheraus zu sagen, was sie bedrückt. Die (anders als die konstruktiven Kritiken, an denen sich Malcolm dennoch reibt) diebische Freude daran hat, wenn eine Meinungsverschiedenheit drastisch ausartet. Und die im Gegenzug zu Malcolm, der zu ichbezogen ist, eine lange Vergangenheit damit hat, sich selbst von anderen und anderem abhängig zu machen.
... und stoßen sich wieder ab, bis ihre Beziehung endgültig zu zerbrechen droht.
Zendaya stiehlt ihrem Spielpartner in dieser streitfreudigen Rolle, die wiederholt mit strahlenden Augen sehr gute Argumente liefert, nur um dann mit schneidender Stimme oder linkischem Verhalten von ihnen abzulenken, immer wieder die Schau. Der Ex-Disney-Channel-Star macht Marie, die minutenlang Mitgefühl erzeugen und dann in Sekundenbruchteilen Antipathie entfachen kann, zu einer sehr komplexen Figur. Es ist Zendayas tatsächlich preisverdächtiges, glaubwürdig-rasant von sinnlich zu widerborstig und von vernunftbetont zu ungehalten springendes Spiel, das die hitzige Romanze in „Malcolm & Marie“ plausibel macht:
Dieses Filmpaar strahlt aus, dass es vor Filmbeginn wirklich mal gut zusammengepasst hat – aber auch, dass es im Laufe des Films unrettbar zerfallen könnte. Das erzeugt eine Spannung, die es gestattet, über die filmisch-gekünstelte Eloquenz der Figuren und das Pathos dieses Streits hinwegzusehen, der so im echten Leben wohl kaum passieren würde. Es wäre ein Jammer, wenn Malcolms zum Teil sicherlich berechtigte, von Marie zum Teil auch sofort wieder zerpflückte Attacke auf Filmkritiker*innen dazu führen würde, dass dem Film von Vorneherein nicht das Maß an Offenheit und Auseinandersetzungslust zuteilwird, das er – trotz seiner erwähnten Schwächen – unbedingt verdient hat.
Fazit: Ein filmischer Zwist, der es in sich hat: In „Malcolm & Marie“ führen John David Washington und Zendaya mit ihren schneidenden Streitgesprächen eindrücklich vor, weshalb konstruktive Argumentation, regelmäßige Selbstreflexion und ein gesunder Umgang mit Fremdreflexion so wichtig sind.