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    Kein Wort
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Kein Wort

    "Tár" auf der Insel

    Von Patrick Fey

    Es lassen sich leicht Gründe dafür finden, weshalb der Dirigentenberuf in den vergangenen Jahren plötzlich so präsent auf der Kinoleinwand gewesen ist. In wenigen anderen Arbeitsfeldern tritt der Drang nach – aber auch die Notwendigkeit für – absolute(r) Kontrolle so offenkundig zutage wie in der Dirigentenschaft. Wenn Filmschaffende ihren Protagonist*innen also einen Baton in die Hand geben, passiert dies oft, um deren berufliche Professionalität privater Hilflosigkeit und Idiosynkrasie gegenüberzustellen. Am eindrucksvollsten war ein solches Auseinanderklaffen zwischen der Beherrschbarkeit des privaten Umfelds auf der einen und des öffentlichen Raumes auf der anderen Seite zuletzt Todd Field mit „Tár“ gelungen. In diesem bringt sich die von Cate Blanchett gespielte Orchesterleiterin der Berliner Philharmoniker durch Machtmissbrauch zunehmend selbst in die Bredouille.

    Dann war da noch Bradley Coopers Leonard-Bernstein-Biopic „Maestro“, das den Schwerpunkt noch weit weniger auf die Musik legt und den emotionalen Kern seiner Geschichte im Eheleben der Beinsteins verortet. Und schließlich erklärte auch Matthias Glasner in „Sterben“ sein von Lars Eidinger gespieltes Alter Ego zum Dirigenten, der sich inmitten familiärer Krisen über die Laufzeit des Filmes daran abmüht, für das zum Scheitern verurteilte titelgebende Stück seines Komponistenfreundes den Takt vorzugeben.

    Grandfilm
    Dirigent*innen auf der Leinwand sind gerade schwer angesagt: Jetzt zieht auch „Ich bin dein Mensch“-Star Maren Eggert nach.

    Der Umstand, dass Hanna Slaks nunmehr vierter Spielfilm „Kein Wort“, der seine Weltpremiere 2023 in Toronto feierte, ebenfalls eine Dirigentin in das Zentrum ihrer Geschichte rückt, ruft einem die eben genannten Werke fast zwangsläufig in Erinnerung. Es steht allerdings zu bezweifeln, dass sich Slaks wortkarges Mutter-Sohn-Drama auf ähnliche Weise seinen Weg in das kollektive Gedächtnis bahnen wird wie „Tár“ oder „Sterben“. Nicht zuletzt deshalb, weil eine Vielzahl der Szenen in „Kein Wort“ auf durchschaubare Weise funktionalistisch gerät und der Prämisse — ein entfremdetes Mutter-Sohn-Gespann, das sich auf einer entlegenen Insel der französischen Bretagne allmählich annähert — zuwiderläuft.

    Dorthin, auf die Insel Belle-Île-en-Mer im nordöstlichen Golf von Biskaya, verschlägt es die von Maren Eggert gespielte Mutter Nina und ihren Sohn Lars (Jona Levin Nicolai) nach einem guten Drittel des Filmes. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, ist es doch augenscheinlich, dass Lars mitgenommen ist vom nicht näher aufgeklärten Todesfall einer Schulkameradin. Scheinbar darum bemüht, ihrem Sohn nahezukommen, begibt sich Nina auf den Wunsch ihres Sohnes hin an die französische Westküste, wo die beiden eine Fähre hin zu jenem Ort besteigen, wo die Familie in der Vergangenheit ihre Sommerferien verbrachte. Nur „scheinbar“ indes, weil während all dessen pausenlos das Telefon klingelt — vornehmlich immer dann, wenn der Moment günstig scheint, ein echtes Gespräch zu führen. Manchmal ist es ihr Ex-Mann, Lars‘ Vater, meist sind es aber die Leute des Orchesters, schließlich steht doch ein bedeutendes Konzert ins Haus: Mahlers Fünfte.

    Die Bilder können der Musik nicht das Wasser reichen

    Folgerichtig wird Mahlers Komposition auch leitmotivisch eingesetzt, während die beiden auf der Fähre gen Insel übersetzen. Auf dieser Fahrt allein deutet sich allerdings bereits das an, was sich in der Folge Szene um Szene bestätigt: Die Bilder sind der Musik zu keinem Zeitpunkt gewachsen. Und das müssten sie doch gerade angesichts eines solch dialogarmen Drehbuchs. Kaum lässt sich des Eindrucks erwehren, dass die szenischen Küsten allein all das zu stemmen haben, was der bildlichen Gestaltung abgeht. Ohne Sinn für herausfordernde oder auch nur schöne Bildkompositionen wechseln sich hier Totale und seltsam nüchterne Detail-Einstellungen miteinander ab, die in der Gegenüberstellung mit Mahlers komplexem Arrangements allem voran Unbeholfenheit offenlegen, statt sie in psychologische Vielschichtigkeit zu überführen.

    Allerdings geraten auch die Dialoge zumeist so mechanisch, dass sie uns mehr vom Gezeigten abstoßen als uns in dessen Bann zu ziehen. Schmerzhaft durchschaubar gerät dies insbesondere in jenen Szenen, in denen Nina Anrufe aus München erhält, die sie und uns daran erinnern sollen, dass sie durch den Versuch, die Beziehung zu ihrem Sohn zu retten, ihre Karriere aufs Spiel setzt. Gleichwohl, die Anrufe, die sie entgegennimmt, klingen alle wie aus der Konserve; so beliebig, leblos und steif, dass es schwerfällt, an diese Welt im Breitbildformat zu glauben.

    Grandfilm
    Schroffe Klippen bebildern eine schroffe Mutter-Sohn-Beziehung.

    Selbst jene Szenen, die auf dem Papier stimmig erschienen haben mochten (Slak zeichnet neben der Regie auch für das Drehbuch verantwortlich), verlieren durch die weitgehend uninspirierte Regie an Dringlichkeit. Der erste Kontakt zwischen Mutter und Sohn etwa ist durch seine Indirektheit gekennzeichnet, indem Nina zur Drohne spricht, die Lars soeben ins heimische Wohnzimmer steuert, wo seine Mutter am Piano zugegen ist. In dieser Szene kristallisiert sich all das, was in den kommenden knapp 90 Minuten verhandelt wird: sowohl die Sprachbarriere als auch die mütterliche Abwesenheit (unterstrichen noch von den aufgesetzten Kopfhörern).

    Doch nicht nur ist dieser willkommene Moment der Verdichtung in seiner Inszenierung nicht weiter als durch das triste Grau auffällig, der weite Strecken der ersten Filmhälfte dominiert. Er ist überdies eine absolute Seltenheit in einem Film, der einiges daran setzt, uns bezüglich der Figuren immer wieder auf falsche Fährten zu locken. Dramaturgisch erweist sich dies jedoch als nicht weiter ergiebig, da Hanna Slak weder darum bemüht ist, bestimmten im Raum stehenden Fragen nachzugehen, noch diese überhaupt erst einmal zu formulieren. Bei all dem bleibt ihr Protagonist*innen-Gespann trotz des permanenten Fokus‘ über die gesamte Spieldauer unwahrscheinlich blass und der Versuch, die Katharsis im Takt von Ebbe und Flut herbeizuführen, gerät zu kaum mehr als genau das: einem Versuch.

    Fazit: Von Beginn an in seiner Konzeption durchschaubar und überdies nur selten von hinreichend inszenatorischer Vision gelingt es Hanna Slaks zu selten, ihre filmische Welt mit Leben zu füllen. Angesichts eines scheinbar gelösten Konflikts, dessen Dringlichkeit sich zu keinem Zeitpunkt einstellt, lässt uns „Kein Wort“ allen voran mit Fragezeichen zurück.

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