Wenn Frauen zusammenhalten
Von Christoph PetersenEs ist nun auch schon wieder 22 Jahre her, dass das Meisterwerk „Alles über meine Mutter“ in die Kinos kam – und da ist es kein Wunder, dass Pedro Almodóvar nun offenbar doch noch etwas zu dem Thema zu sagen hat: Nachdem er sich und seine Sucht zuletzt in dem autobiographisch angehauchten „Leid und Herrlichkeit“ schonungslos analysiert hat, entpuppt sich „Parallele Mütter“ nun – ganz in der Tradition von „Alles über meine Mutter“ – als ein zutiefst berührendes Melodrama, das trotz des Titels im Kern weniger über Mutterschaft, aber dafür ganz viel über weibliche Solidarität zu erzählen hat.
In der Hauptrolle – natürlich (!) – Penélope Cruz („Vicky Cristina Barcelona“), die schon in „Leid und Herrlichkeit“ Almodóvars Mutter verkörpert hat und nun als alleinerziehende Fotografin vor einem herzzerreißenden Dilemma steht. Dabei haben die überraschenden Enthüllungen und plötzlichen Wendungen – für Almodóvars Melodramen gewiss nicht unüblich – einen gewissen Seifenoper-Charakter. Nur sind es in „Parallele Mütter“ wohlmeinende, zutiefst empathische Frauen, die mit diesen zum Teil unmenschlichen Herausforderungen umzugehen versuchen – eine erfrischend erwachsene und trotz aller Tragik ansteckend-hoffnungsvolle Erfahrung.
Janis (Penélope Cruz) und Ana (Milena Smit) lernen sich kurz vor der Geburt ihrer Töchter im Krankenhaus kennen …
Die erfolgreiche Fotografin Janis (Penélope Cruz) ist nach einer Affäre mit dem forensischen Historiker Arturo (Israel Elejalde) ungeplant schwanger. Trotzdem steht für sie fest, dass sie das Kind unbedingt bekommen will. Im Krankenhaus lernt sie die minderjährige Ana (Milena Smit) kennen, die ebenfalls ungewollt schwanger, im Gegensatz zu Janis damit aber so gar nicht glücklich ist – auch weil ihrer Mutter Teresa (Aitana Sánchez-Gijón) mehr an ihrer späten Schauspielkarriere als am Wohl ihrer eigenen Tochter gelegen zu sein scheint.
Die beiden Frauen stehen sich in den letzten Tagen ihrer Schwangerschaft und an den ersten Tagen nach der Geburt ihrer Töchter bei. Man will in Kontakt bleiben, verspricht man sich in der Klinik. Doch natürlich passiert das nicht. Erst als Arturo den Verdacht äußert, dass das Baby nicht von ihm ist, kommen auch Janis langsam erste Zweifel. Sie stellt Nachforschungen an, deren Ergebnisse das Leben aller Beteiligten vor gewaltige Herausforderungen stellen werden…
Dass Pedro Almodovar Mütter und Mutterschaft verehrt, dürfte wohl niemanden mehr überraschen, der zumindest ein paar Filme des Spaniers gesehen hat. Allerdings führt das auch zu einer gewissen Idealisierung, an der man sich durchaus reiben kann: Die Babys in „Parallele Mütter“ machen kaum Stress und noch weniger Dreck – und von Babymöbeln, die das bis ins kleinste Detail perfekte Design von Janis‘ Appartement stören könnten, fehlt auch jede Spur. Da kann Almodóvar eben einfach nicht aus seiner Haut – beim Entwerfen der wie immer makellosen Sets und Kostüme funkt ihm keiner dazwischen, auch kein Baby.
Trotzdem werden die parallelen Mütter vor unmenschliche Herausforderungen gestellt – und da man weiß, dass Almodóvar durchaus auch schon sehr, sehr böse, geradezu ätzende Filme gedreht hat, sitzt das Publikum angesichts der wiederholten Enthüllungen die meiste Zeit über gebannt im Kinosessel, weil man sich ganz einfach nie sicher sein kann, wo genau die Reise wohl hingehen wird. In einer Szene meint man sogar kurz, dass eine der Figuren bestimmt gleich von hinten eine Schaufel über den Kopf gezogen bekommt. Aber „Parallele Mütter“ kippt nicht in die durchaus denkbare Richtung eines schwarzhumorigen Thrillers …
… eine nur vermeintlich flüchtige Begegnung, die ihr Leben auch viele Monate später noch ganz maßgeblich prägen wird.
… sondern überrascht mit Frauen, die sich – und das sieht man im Kino nun wirklich nur sehr, sehr selten – voller Empathie und nach allen Kräften bemühen, für alle die beste Lösung in einer vermeintlich unauflösbaren Situation zu finden. Almodóvar lässt all unsere über Jahrzehnte antrainierten Genreerwartungen ins Leere laufen und setzt stattdessen der weiblichen Solidarität ein Denkmal, was sich übrigens auch in einer für das Thema des Films ganz zentralen Nebenhandlung widerspiegelt.
Es geht dabei um ein Massengrab in der Nähe von Janis‘ Heimatdorf, in dem damals in den ersten Tagen des spanischen Bürgerkrieges etliche Männer von den Faschisten verscharrt wurden. Aber die spanische Regierung setzt auf die Taktik des Totschweigens – und so wurde vor einigen Jahren das Budget für die Aufarbeitung der eigenen Historie ganz bewusst auf null Euro gekürzt. Die Leidtragenden sind dabei weniger die Toten – sondern vor allem die zurückgebliebenen Frauen, die seit Jahrzehnten dafür kämpfen, sich angemessen von ihren Ehemännern, Vätern und Großvätern verabschieden zu können. Bis hin zum aufrüttelnden Zitat im Abspann hatte man in den vergangenen 40 Jahren seiner Karriere selten das Gefühl, dass Almodóvar ein Thema so sehr am Herzen liegt wie dieses.
Fazit: Ein von Penélope Cruz und Newcomerin Milena Smit herausragend gespieltes, von Pedro Almodóvar natürlich wieder todschick inszeniertes Melodrama, das die (abgründigen) Erwartungen des Publikums immer wieder unterläuft und stattdessen Frauen präsentiert, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten und trotz all ihrer Fehler mit einem Höchstmaß an Empathie umeinander kümmern.
Wir haben „Parallele Mütter“ beim Filmfest in Venedig gesehen, wo er als Eröffnungsfilm und offizieller Beitrag des Wettbewerbs gezeigt wurde.