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    Die Rettung der uns bekannten Welt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Die Rettung der uns bekannten Welt

    Til Schweiger fliegt übers Kuckucksnest

    Von Jochen Werner

    Am Ende seines bis dato jüngsten Films „Die Hochzeit“ konnte man fast den Eindruck gewinnen, Til Schweiger sei ein wenig altersmilde geworden. Wo der direkte Vorgänger „Klassentreffen 1.0 – Die unglaubliche Reise der Silberrücken“ noch als hasszerfressenes Manifest dreier alternder weißer Männer daherkam, die ihre Verachtung gegen alle, die jünger, weiblicher oder weniger heterosexuell sind, ohne jede Hemmung in die Welt schrien, spuckten und auch aus allen anderen Körperöffnungen ausschieden, bemühte sich Schweiger im Sequel tatsächlich um etwas mehr Versöhnlichkeit inmitten der üblichen Lustspielwirrungen.

    Ob sich hier also tatsächlich so etwas wie ein nach schweigerschen Maßstäben würdevolles Alterswerk ankündigte, konnte man sich da durchaus fragen. Fast zwei Jahre später kommt nun nach diversen Corona-bedingten Verzögerungen mit „Die Rettung der uns bekannten Welt“ eine neue Arbeit vom erneut als Regisseur, Produzent, Autor, Cutter und Hauptdarsteller in Personalunion fungierenden Til Schweiger („Keinohrhasen“) in die Kinos. Und die Antwort auf die Frage nach der Altersweisheit lautet: Ja und nein. Aber vor allem nein.

    Im Film werden die psychischen Erkrankungen so übertrieben, dass es tatsächlich der pure Wahnsinn ist.

    Aber der Reihe nach. „Die Rettung der uns bekannten Welt“ ist der neueste einer ganzen Reihe von Filmen in Schweigers Schaffen, die sich mit verschiedenen Formen psychischer Erkrankung auseinandersetzen. In „Barfuss“ (2005) erlöste er noch als klassischer Kinoheld eine schwersttraumatisierte junge Frau durch die Kraft der romantischen Liebe aus den Krallen der institutionalisierten Psychiatrie – und im Megahit „Honig im Kopf“ führte die Kraft der familiären Liebe zur Erkenntnis, dass Alzheimer eigentlich auch ganz lustig sein kann, solang die Familie nur zusammenhält (und die Mutter ihre Karriere an den Nagel hängt, um den kranken Schwiegervater zu pflegen). In Schweigers neuester filmischer Abhandlung zum Thema geht es nun um eine bipolare Störung – an der leidet nämlich der 17-jährige Paul („Bibi & Tina“-Schwarm Emilio Sakraya), der älteste Sohn des alleinerziehenden Architekten Hardy (Schweiger selbst).

    Diese Störung äußert sich auf verschiedenste Art: In der Schule steht der unruhige und unkontrollierbare Junge kurz vorm endgültigen Rausschmiss, während es ihn nachts immer wieder zu gefährlichen Mutproben zieht, die er dann filmt und auf seinem YouTube-Channel streamt. Die ohnehin fragile Situation eskaliert endgültig, als sich Paul abends aus dem Haus schleicht, statt auf seine jüngeren Geschwister aufzupassen – die daraufhin gleich das halbe Haus in die Luft sprengen. Der verzweifelte Hardy schlägt wütend auf Paul ein – und nach einem im letzten Augenblick abgebrochenen Suizidversuch wird der Teenager schließlich in eine psychiatrische Klinik eingewiesen…

    Hochglanz bis in den letzten Winkel der Psychiatrie

    Bis zu diesem Punkt lässt sich die These mit dem würdevollen Alterswerk jedenfalls noch ansatzweise aufrechterhalten, denn tatsächlich erlaubt sich Schweiger hier so ziemlich erstmals in seinem Regiewerk, nicht die ganze Zeit den ganz tollen Hecht zu spielen. Sein Hardy ist traurig, ratlos, und die Insignien verzweifelter Jugendlichkeit, die Schweiger in „Klassentreffen 1.0“ noch in Gestalt eines wirklich bizarren Hütchens auftrug, sind abgelegt und schaffen einer inzwischen doch sichtlich zerknitterten Physiognomie Raum. In den folgenden knapp zwei Stunden galoppiert dann allerdings doch wieder der Wahnsinn. Die Klinik entpuppt sich als eine schlossartige Villa irgendwo auf dem Land, wo gerade mal ein halbes Dutzend Patient*innen mit exakt einer Ärztin und einem Pfleger quasi rund um die Uhr zusammenleben. Von einem derart luxuriösen Verhältnis zwischen Behandelnden und Behandelten träumen wohl nicht nur zigtausend haarscharf am Burnout entlangschrammende Pfleger*innen in überlasteten deutschen Kliniken, es wäre wohl selbst Doktor Brinkmann in der Schwarzwaldklinik utopisch erschienen.

    Die Grenze zur wirklich atemberaubend geschmacksunsicheren Freakshow überschreitet „Die Rettung der uns bekannten Welt“ dann allerdings in der Zeichnung der dort behandelten jugendlichen Patient*innen. In deren kleinem Grüppchen ist vom Asperger-Autismus über Zwangsstörungen bis hin zum Tourette-Syndrom jede psychische Störung vertreten, von der Til Schweiger schon einmal gehört hat und die für eine Handvoll schrullige Pointen gut ist. Gegen die autistische Caro (Charlotte Krause) wirkt Sheldon Cooper wie eine nüchterne klinische Fallstudie – und mit dem zwangsgestörten Tien (Sebastian Schneider) und der auf betont charmante Weise unkontrolliert Schimpfworte ausstoßenden Toni (Tijan Marei) dürfen gleich zwei Protagonist*innen – einmal homo-, einmal heterosexuell – Liebesbeziehungen mit bipolaren Partnern eingehen, deren mitreißend manische Energie den in ihren jeweils eigenen Zwängen Gefangenen unwiderstehlich scheint.

    Zumindest in ein, zwei Szenen ist Til Schweiger diesmal nicht der rundherum perfekte Typ – und die ambivalente, verletzliche Seite steht ihm sogar ziemlich gut.

    Hierin liegt auch eigentlich der größte Sündenfall von „Die Rettung der uns bekannten Welt“, mit dem Schweiger eben doch nahtlos insbesondere an den 16 Jahre älteren „Barfuss“ anknüpft. Das Konzept von Romantik ist in Schweigers Filmen ja ohnehin oft problematisch: Liebe ist für ihn offenbar, wenn Menschen völlig verantwortungslose und gemeingefährliche Dinge tun, um sich gegenseitig ihre Zuneigung zu beweisen. Aber diese Weltsicht wird regelrecht toxisch, wenn sie mit dem Thema der psychischen Krankheit zusammengedacht wird. Dann steht ein Erlösungsversprechen durch die Liebe im Raum, das, wie unzählige Angehörige oder Hinterbliebene psychisch kranker Menschen schmerzlich erfahren, nie und nimmer genügt, sondern die Krankheit durch die Erschaffung von Co-Abhängigkeiten gar verschlimmern kann.

    Einen kleinen Schritt nach vorn im Umgang mit dem Thema hat Schweiger seit „Barfuss“ gleichwohl getan, hat er doch zumindest die dort noch zutiefst unbehagliche und auch problematische Institutionenskepsis abgelegt, die diesen noch prägte. Die institutionelle Psychiatrie war in „Barfuss“ noch ein unmenschliches Höllenloch, betrieben von korrupten und abgehobenen Ärzt*innen, aus deren Krallen die traumatisierte Leila (Johanna Wokalek) notfalls mit Gewalt befreit werden muss, um einen Heilungsprozess durch Til Schweigers romantischen Helden als Stellvertreter eines durch und durch anti-intellektuellen „gesunden Menschenverstandes“ überhaupt erst möglich zu machen. Diese Skepsis ist nun einer ebenso konsequenten Verklärung der Umstände und Möglichkeiten des psychotherapeutischen Gesundheitssystems gewichen, aber immerhin: Til Schweiger erkennt den Berufsstand inzwischen als valide an – und nicht all seine Vertreter*innen sind menschenhassende, ignorante Bürokrat*innen.

    Toilettenwitze á la Kokowääh

    Leider hat „Die Rettung der uns bekannten Welt“ aber auch noch einen zweiten Handlungsstrang, der sich so nervig wie überflüssig durch die einmal mehr absurd überlangen 136 Minuten zieht. Darin wird der alleinstehende Hardy von seinen zwei jüngeren, abstoßend niedlichen Kindern mit seiner ohnehin längst heimlich in ihn verliebten Arbeitskollegin Anni verkuppelt – und wie so viele weibliche Hauptdarstellerinnen in Schweigers Filmen kann einem auch Bettina Lamprecht hier ob ihrer undankbaren Rolle nur leidtun. Anni ist das penetrant dauergrinsende Abziehbild einer „besten Freundin“ aus einer der ganz schlimmen Frauenzeitschriften – und gegen Ende muss sie auch noch für den obligatorischen, in einem Til-Schweiger-Film egal zu welchem Thema wohl wirklich völlig unvermeidlichen Furz- und Kackwitz herhalten. In diesen Passagen könnte der Film auch durchaus als „Kokowääh 3“ durchgehen.

    Immerhin aber fällt auf, dass Schweiger sich anscheinend ein paar der seit vielen Jahren vehement vorgetragenen Kritikpunkte zu seinem Regiewerk durchaus zu Herzen genommen hat. So kommt „Die Rettung der uns bekannten Welt“ nun tatsächlich auffällig diverser daher als eigentlich jeder vorherige Schweigerfilm. Es gibt ein schwangeres lesbisches Paar, ein schwules Coming Out – und als kleines heimliches Highlight des Films eine kurz dahingeworfene Szene um ein Blind Date des einsamen Witwers Hardy: Bereits in der Vorbereitung dieser Szene ist da von Tinder-Fotos der besagten Dame die Rede, die wir aber nicht sehen. Und als dann beim Date die afrodeutsche Schauspielerin Thelma Buabeng durch die Tür kommt und sich ein kurzer Schlagabtausch über irreführende Fotos entspinnt, denken wir kritischen Zuschauer*innen schon automatisch: Ach nein, Til, jetzt nicht echt auch noch dieser billige Gag?! Aber dann wird die Szene doch ganz anders aufgelöst – und man kommt nicht umhin, sich ertappt zu fühlen und neidlos einzuräumen, dass Schweiger hier gedanklich einen Schritt voraus war und seine Kritiker*innen hier ausnahmsweise einmal in ihrem eigenen voreiligen Urteil vorgeführt hat. Chapeau, Til.

    Fazit: Einigen guten Ansätzen zum Trotz übernimmt in Til Schweigers neuester filmischer Abhandlung zu seinem Lieblingsthema „psychische Krankheit“ schnell wieder der Wahnsinn das Steuer. „Die Rettung der uns bekannten Welt“ ist inhaltlich problematisch, immer wieder komplett durchgeknallt und streckenweise wahnsinnig nervig – also am Ende dann doch einmal mehr Til Schweiger pur.

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