WER ZU SPÄT KOMMT, DEN STRAFT DER ADEL
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als Lady Diana ihren tödlichen Unfall erlitten hat. Es war Sommer, genauer gesagt Ende August, und das erste, was mich damals an diesem Ferientag geweckt hat, war der Anruf eines Freundes in aller Herrgottsfrüh. Die Princess of Wales sei tot – wie bitte, was?
Von da an wurde der Star der Gossips und Klatschzeitungen zum Mythos, der Presse und Paparazzi in ihrer Gier nach Sensation auf traurigem Posten zurückließ – und nicht nur die. Auch den ganzen britischen Adel, all die Königshäuser und das traditionelle Gemurks an Hofzeremoniell und stocksteifen Tagesriten. Lady Diana Spencer bekam Elton Johns Lied für Marylin Monroe und die Ewigkeitskarte in den Erinnerungen der Menschen. Damit können die übrigen Windsors nicht mithalten. So sehr in die Geschichte wird wohl niemand von ihnen eingehen. Naja, vielleicht die Queen herself, aber zumindest auf Platz 2. Da wird sie not amused sein, weil sie ja schließlich gewusst hat, was sich als Queen gehört – Lady Di wusste das anscheinend nicht. Oder wollte es nicht wissen. Lady Di war anders. So wie Kaiserin Sisi. Nonkonformistin und Rebellin, offen fürs Volk und willig, sich schmutzig zu machen. Diese Bodenhaftung, der gewaltsame Tod und generell ihre Ausstrahlung ergeben, überspitzt gesagt, einen Engel auf Erden. Allerdings bleibt dieser unglücklich, wie der von Wim Wenders in Himmel über Berlin.
Pablo Larrain hat diese Exorbitanz fasziniert. So, wie ihn auch Jackie Kennedy fasziniert hat und dafür Natalie Portman durch die Gänge des Weißen Hauses hat schreiten lassen. Jetzt, im Film Spencer, läuft, spukt und tanzt die hochgeschossene Blondine durch die Gänge von Sandringham House, an den Weihnachtstagen des Jahres 1991. Diana war da längst das Problemkind der Familie, die Ehe mit Prinz Charles nur noch am Papier, Kontrahentin Camilla, wenn auch nicht physisch präsent, immer allgegenwärtig. Die Familie: stocksteif und repräsentativ, gefangen in ihren königlichen Pflichten und traktiert durch die Tradition, gerade zur schönsten Zeit des Jahres. Einziger Lichtblick: Dianas Kinder. Und die Kammerzofe Maggie. Was geht da in Diana vor, wollen Larrain und Drehbuchautor Steven Knight wissen. Was treibt sie an, was macht ihr Angst und womit hadert sie? Was bringt sie zum Lächeln und was lässt sie rebellieren?
Wer glaubt, dass Diana schon genug in den Medien durchseziert und beleuchtet wurde, hat so etwas wie Spencer noch nicht gesehen. Larrains Film ist anders, unorthodox und assoziativ. Und daher wohl einer der erstaunlichsten Filme der letzten Zeit. Larrain und Steven Knight (u. a. No Turning Back) dürften sich im Vorfeld komplett aufeinander eingestimmt haben. Und nicht nur das. Jonny Greenwoods jazziger Score zum Film und Claire Mathons impressionistische Kamera sind die anderen beiden Komponenten, die das Psychogramm einer ausgegrenzten Frau zur Vollendung bringen. Dabei bildet der Film keineswegs nur Fakten ab, sondern wagt den Schritt in die freie Interpretation einer inneren Regung. Die Königsfamilie selbst: weder gut noch böse, in der eigenen kalten Einsamkeit einer ewigen Agenda einzementiert, wie Skulpturen im Schlosspark. Dazwischen windet sich Kristen Stewart als phänomenale Inkarnation einer Legende und scheint ihr Vorbild bis ins kleinste mimische Detail studiert zu haben. Spätestens jetzt wird die ehemalige Twilight-Bella wohl niemals mehr unterschätzt werden. Ihr Spiel ist offen und dem Publikum zugänglich, und zwar so sehr einladend, dass man selbst fast schon aus Anstand einen Schritt zurücktreten möchte. Doch bei Diana wäre das nicht notwendig, Diana alias Stewart (und umgekehrt) legt den Arm um den Betrachter und will ihm alles zeigen. All das Innere und das falsche Äußere, geschmückt mit Kostümen zu jeder Tages- und Nachtzeit, die sie zwar als stilvolle Modeikone ins ausgewaschene Licht des Tages setzen, die Diana aber so zeigen, wie sie nicht ist.
Diese Diskrepanz macht den Film spannend und aufwühlend. Von den ersten Minuten an, wenn Stewart sich auf dem Weg ins Schloss verfährt, nachdem dort das Militär seine Feiertagspflicht erfüllt hat, wird klar, dass dieser kunstvoll bebilderte Film etwas ganz Besonderes darstellt: eine innige Komposition aus majestätischen Zwängen und wilder Katharsis.
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