Eine Prinzessin, die nur ein Wunder retten kann
Von Björn BecherNachdem Natalie Portman für ihn in „Jackie“ die amerikanische First Lady Jackie Kennedy verkörpert hat, wendet sich Pablo Larraín nun der britischen Prinzessin Diana zu. In beiden Fällen wirft der chilenische Regisseur von außen einen Blick in ein streng reglementiertes System und die darin gefangenen, gleichermaßen überlebensgroßen wie tragischen Frauenfiguren, die neben ihrem Status als Medienikonen noch eine weitere Gemeinsamkeit haben: Jackie und Diana waren es irgendwann einfach leid, sich alles von den – ach so traditionellen – Institutionen um sich herum vorschreiben zu lassen, weshalb sie ihre öffentliche Erscheinung schließlich selbst in die Hand nahmen.
In „Jackie“ erleben wir, wie die Titelfigur kurz nach der Ermordung ihres Mannes einem Reporter den Text in den Block diktiert, der die Wahrnehmung ihrer Person für immer verändern sollte. In „Spencer“ wiederum schwebt dieser kalkulierte Ausbruch nur leise mit. Das große Enthüllungsbuch, das Diana den Journalisten Andrew Morton schreiben ließ, ist an den drei Weihnachtstagen, an denen die Filmhandlung spielt, zwar bereits in der Mache, wird aber mit keiner einzigen Silbe erwähnt. Aber der Regisseur und seine überragende Hauptdarstellerin Kristen Stewart liefern mit „Spencer“ ja auch keine biographisch akkurate Erzählung, sondern eine „Fabel, die auf einer wahren Tragödie basiert“.
Diana sehnt sich nach einem anderen Leben.
Es war einmal eine sehr unglückliche Prinzessin namens Diana (Kristen Stewart), die an Weihnachten 1991 zur jährlichen Zusammenkunft der königlichen Familie muss. Es sind drei Tage, an denen sie nur wenig Freude haben wird. Alles ist geregelt, selbst die Auswahl der Kleider ist streng vorgegeben. Mit ihrem Mann Charles (Jack Farthing) spricht sie kaum ein Wort. Sie weiß schließlich, dass er eine langjährige Geliebte hat, dem er sogar dieselbe Perlenhalskette wie ihr geschenkt hat.
Der Sicherheitschef Alistair Gregory (Timothy Spall) scheint jeden ihrer Schritte zu überwachen. Es gibt nur wenige Momente, in denen die konstante Anspannung zumindest ein wenig von ihr abfällt – zum Beispiel beim Spielen mit ihren Söhnen William (Jack Nielen) und Harry (Freddie Spry). Zumindest etwas Verständnis findet sie zudem bei ihrer Garderobiere Maggie (Sally Hawkins) und Küchenchef Darren (Sean Harris). Sie alle appellieren auf unterschiedliche Art, die Tage doch einfach über sich ergehen zu lassen. Aber dazu sieht sich Diana einfach nicht länger imstande...
Was sich an jenen Weihnachtstagen 1991 genau abspielte, ist kaum bekannt. Das britische Königshaus ist außerhalb öffentlicher Auftritte schließlich auf größtmögliche Diskretion bedacht. Pablo Larraín („Ema“) und sein Drehbuchautor Steven Knight („Tödliche Versprechen“) wollen aber eben auch gar kein Doku-Drama erzählen – und das wird vor allem im großen Märchen-Finale deutlich, in dem zu den Klängen des 80er-Hits „All I Need Is A Miracle“ endgültig jeder Realitätsbezug hinter sich gelassen wird.
Das Finale dürfte eine der Szenen sein, die im Nachhinein noch für reichlich Diskussionen sorgen werden. Aber solch einen optimistischen Ausbruch braucht zu diesem Zeitpunkt eben nicht nur die Prinzessin, sondern auch das Publikum: Absolut meisterhaft erschaffen Pablo Larraín und Kamerafrau Claire Mathon („Porträt einer jungen Frau in Flammen“) aus dem herrschaftlichen Landhaus der Royals mit seinen vor Köstlichkeiten überquellenden Buffets und der geschmackvollen historischen Einrichtung eine oppressive Albtraumwelt. Das Anwesen ist absolut furchteinflößend und in jeder Hinsicht kalt. Überall scheint sie beobachtet zu werden und die Königsfamilie sitzt mit starren, abweisenden Fratzen am Tisch, wenn Diana entgegen der Etikette mal wieder als Letzte zum Essen erscheint.
Diana widersetzt sich sogar der Kostüm-Etikette.
Auch der meisterhafte Score, der Jonny Greenwood für seine zweite Oscarnominierung nach „Der seidene Faden“ in Stellung bringt, trägt maßgeblich dazu bei, dass sich „Spencer“ oft wie ein Horrorfilm anfühlt –Märchen sind halt auch oft düster. Immer wieder schwelt die Musik an, verbreitet Unbehagen und geht an die Nieren. Das Gefühl, eingesperrt zu sein, transportiert der Score auch in den Zuschauersaal, wobei Larraín lange offenlässt, was Paranoia und was Wirklichkeit ist. Woher kommt zum Beispiel plötzlich das Buch über Anne Boleyn auf Dianas Kopfkissen? Vergleich sie sich selbst mit der von ihrem untreuen Ehemann ermordeten Königsgattin? Oder sendet ihr jemand eine versteckte Botschaft?
Es ist vielleicht die größte Schwäche von „Spencer“, dass dann doch (zu) früh klar wird, was als Wirklichkeit und was als Einbildung zu lesen ist. Aber Pablo Larraín ist eben auch ganz eindeutig auf der Seite von Diana, was sich schon daran zeigt, dass die königliche Familie fast nicht zu Wort kommt. Stattdessen zeigt er gleich zu Beginn, wie Soldaten das Essen für die Feiertage ausgerechnet in MG-Kisten anliefern und das ähnlich militärisch-straffe Küchenpersonal zum Dienst aufmarschiert, während Diana mit ihrem Porsche herumirrt und die letzten Minuten Freiheit genießt. Als Künstler drückt Larraín natürlich dem Freigeist die Daumen …
… und vor diesem Hintergrund spielt Superstar Kristen Stewart („3 Engel für Charlie“) die am 31. August 1997 bei einem Autounfall ums Leben gekommene Lady Di als Frau, der von dieser Familie so sehr die Luft abgeschnürt wird, dass man ihr trotz allem erratischen Verhalten unbedingt ein Happy-End wünscht. Nicht nur der hervorragenden Arbeit von Kostüm und Make-up, sondern vor allem auch ihrer herausragenden Performance ist es zu verdanken, dass Stewart alle vorgebrachten Bedenken gegen ihre Besetzung fast augenblicklich beiseite wischt. Die Amerikanerin ist kein Abbild der realen Diana, sie ist aber eine absolut fantastische Märchen-Wiedergängerin.
Fazit: Wer hätte gedacht, dass man die tragische Geschichte von Diana auch als düsteres, fast schon horrorhaftes, aber im selben Moment trotzdem auch ansteckend-optimistisches Märchen erzählen kann? Pablo Larraín setzt mit „Spencer“ der nächsten weiblichen Ikone des 20. Jahrhunderts ein würdiges Leinwanddenkmal – selbst wenn es ganz anders geworden ist, als es wohl die meisten erwartet hätten.
Wir haben „Spencer“ auf dem Filmfestival in Venedig gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.