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    2046
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    2046
    Von Stefan Ludwig

    Filme wie „2046“ lassen sich leicht zerreißen und ebenso einfach ist es, sie mit ein paar intelligent klingenden Formulierungen in den Himmel zu loben. Fangen wir damit an, was der Film nicht hat: Es gibt keine klare Handlungsstruktur oder Erklärungen der Figuren, die auch nicht richtig eingeführt werden. Wer auf der Suche nach Erklärungen des Grundthemas Liebe ist, befindet sich ebenfalls im falschen Film. Stattdessen lässt sich das Drama von Wong Kar-wai am ehesten als Darstellung der Liebe bezeichnen. Nichts wird endgültig geklärt, alles läuft ein wenig durcheinander, kommt und geht, wann und wie es will. Der eine wird das Ergebnis genial und beeindruckend finden, der andere während des Films einschlafen. Dazwischen gibt es wahrscheinlich wenig.

    Da es sich um einen fragmentartigen Film handelt, lassen sich die Bruchstücke nur bedingt zu einer tatsächlichen Story zusammenfügen. Chow Mo-wan ist Schriftsteller und lebt im Hongkong der 60er Jahre. Er schreibt an seinem Roman über das Jahr „2046“, in dem alles unverändert bleiben soll. Der Protagonist des Buches will nun aus diesem Jahr reisen, das besser als Ort verstanden werden sollte. Das hat noch keiner vor ihm gemacht und der Zug, der ihn wegbringen soll, braucht nun Ewigkeiten. Auf der Reise verliebt er sich in eine Androidin. Viel mehr dreht sich der Film aber um die Gegenwart, da Chow Mo-wan beim Schreiben an die drei wichtigen Frauen seines Lebens erinnert und die Liebesgeschichten im Buch verarbeitet.

    Zugegeben: Die Mischung aus Erzählungen aus dem Leben und dem Buch ist mitunter etwas anstrengend. Überhaupt erfordert der Film viel Aufmerksamkeit und gibt sich sehr anspruchsvoll. Wer bloß unterhalten werden will, mag sein Ticket für einen anderen Film lösen. Dennoch handelt es sich bei „2046“ nicht um ein Lehrstück, es ist lediglich ein völlig anderer Film, als ihn die meisten erwarten würden. Regisseur Wong Kar-wai arbeitet viel mit Symbolik und zeichnet seine Figuren erst gar nicht und dann bloß durch Szenen, deren Entstehung ebenfalls oft nicht richtig oder zum Teil erst später erklärt werden. Dazu ertönt immer wieder die Stimme des Protagonisten, der seine Geschichte erzählt. Er verliert jedoch nur wenig erzählte Gedanken daran, was er für die drei Frauen empfindet. Ganz offenbar genießt er das Leben nach dem Erfolg seines Romans in vollen Zügen und scheint an einer richtigen Beziehung mit herkömmlichen Werten wie Treue nicht interessiert zu sein. Dem Zuschauer wird bis zum Ende jedoch nicht gesagt, ob es tatsächlich nur der Sex ist, der ihn interessiert oder ob für ihn - wie bei den Frauen - auch starke Gefühle im Spiel sind.

    Wie erwähnt, bietet der Film keine endgültigen Lösungen oder ein tatsächlich abschließendes Ende. Es ist ein wenig wie im richtigen Leben, alles passiert irgendwie, warum, ist nicht immer zu klären. Warum sich Chow Mo-wan nicht für eine Frau entscheidet, bleibt ungewiss. Zwar gibt er selbst Hinweise auf seine Lebenseinstellung, es bleibt aber bei etwas rätselhaften Aussprüchen. „In The Mood For Love“, Wong Kar-wais letzter Film, hatte den gleichen Protagonisten und Darsteller, „2046“ lässt sich jetzt aber vielleicht als eine Art Gegendarstellung verstehen. Interessant zu wissen ist noch, dass 2046 das Jahr ist, bis zu dem die chinesische Regierung das 1996 von Briten „zurückerhaltene“ Hongkong „unverändert“ lassen will.

    Das Nicht-Beachten der „Film-Normen“ bewirkt ein ungewöhnliches Ergebnis. Der Zuschauer muss sich allein durch das Verhalten der Figuren ein Bild machen. Alle sind nur ganz normale Menschen mit Fehlern, aber nicht auf einen bestimmten Charaktertyp festzulegen. So sind die Motive oft nicht erkennbar, was aber letztlich nur realistisch ist und nie völlig unlogisch wirkt. Durch das teilweise etwas bunte Durcheinanderwürfeln der einzelnen Geschichten, ist es fast nicht möglich, die ganzen Eindrücke beim ersten Mal ansehen zu erfassen. Die drei Liebesgeschichten vermischen sich außerdem mit dem sehr abstrakten Romaninhalt. Die ewige Zugreise aus dem Jahr 2046 ist jedoch schon bildtechnisch derart interessant gestaltet, dass es hier nicht langweilig wird. Die Farbenspiele und die sehr fremdartig aufgemachte Zukunft sehr wohl am ehesten als Kunst zu bezeichnen. Ob das der gesamte Film ist, muss jeder selbst entscheiden.

    Was „2046“ auszeichnet, ist die äußerst starke Aussage über die Liebe, die durch ausgezeichnete Szenen transportiert wird. In den Monologen von Chow Mo-wan wird sich der ein oder andere wiederfinden und wenn diese im Hintergrund einer Szene laufen, bewegt der Film ganz einfach. Er schafft es, Mitgefühl für die Menschen auf der Leinwand zu erzeugen, ohne diese dafür entsprechend angelegt zu haben. Leiden und Liebe wird durch die Gesichter der glänzenden Darstellerriege gezeigt und wirkt in keiner Sekunde lächerlich und überzogen. Die clever aufgebauten Dialoge bringen den Konkurrenzkampf zwischen Mann und Frau zur Geltung. Es gäbe bei diesem Film etliche solche Dinge, über die sich schwärmen ließe, am besten ist aber, sich einfach dem Bilderrausch und der langsamen Art des Kunstwerks hinzugeben. Doch Vorsicht ist geboten angesichts der komplexen Verarbeitung, die teilweise schon fast zu komplex geraten ist.

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