Tolle Hexe, aber wenig dahinter
Von Thorsten HanischNicht jede Kurzfilm-Idee, so sehr sie über eine beschränkte Laufzeit von 15 Minuten auch zündet, ist dazu geeignet, einen kompletten Langfilm zu tragen – „Baghead“ ist der beste Beleg dafür: 2017 wurde der gleichnamige Kurzfilm, in dem eine Hexe den titelgebenden Sack über dem Kopf trägt, noch mit Preisen überhäuft. Aber nun hat Regisseur Albero Corredor das Konzept selbst zu seinem Langfilmdebüt ausgebaut – und das wird kaum einen vergleichbaren Eindruck hinterlassen. Statt die Idee stimmig zu erweitern, erschöpft sich die 80 Minuten längere Version nun allzu schnell in zwar besonders laut dröhnenden, aber trotzdem schnell langweilenden Jump-Scares.
Erschwerend kommt hinzu, dass man 15 Minuten auch mit einer bloßen Gruselidee übersteht – man bei eineinhalb Stunden aber schon jemanden bräuchte, mit dem man mitfiebert. Aber die Figuren bleiben konsequent leblos – was hier gleich doppelt schwer wiegt, weil „Baghead“ im Endeffekt ein Kammerspiel mit nur drei Protagonist*innen ist. Auch das Mysterium um die sacktragende Hexe wird bereits in der ersten halben Stunde weitestgehend entzaubert – und so bleibt in den weiteren zwei Dritteln wirklich nicht viel mehr als die ständigen Jump-Scares, die ohne atmosphärische Vorbereitung zunehmend immer wirkungsärmer verpuffen.
Iris (Freya Allan) ist gerade erst von ihrem Freund aus der Wohnung geschmissen worden – und nun erfährt sie auch noch, dass ihr Vater, zu dem sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte, gestorben ist. Seine Hinterlassenschaft: Ein jahrhundertealter Pub in Berlin! Aber es gibt einen Haken an der Sache: Wie sie von einem jungen Mann namens Kevin (Jeremy Irvine) erfährt, der um seine bei einem Autounfall verstorbene Lebensgefährtin trauert und plötzlich nachts im Pub auftaucht, haust im Keller eine Hexe, mit deren Hilfe Hinterbliebene mit Verstorbenen reden können.
Allerdings nur für zwei Minuten, sonst gewinnt das Wesen an Macht und es drohen fürchterliche Konsequenzen. Iris’ Freundin Katie (Ruby Barker) ist wenig begeistert von der ganzen Sache, aber Iris sieht eine Möglichkeit, ihre desolate finanzielle Situation aufzubessern. Eine Entscheidung mit fatalen Auswirkungen, da nicht nur von der Hexe Gefahr ausgeht – auch im eigentlich nicht unsympathisch wirkenden Kevin schlummern ungeahnte Abgründe….
Die Hexe ist toll gestaltet, keine Frage. Ist ja auch kein Wunder, schließlich nennt Regisseur Alberto Corredor niemand Geringeren als Guillermo del Toro als großes Vorbild für seine Arbeit – was man eben vor allem auch am Kreaturen-Design erkennen würde. Aber vielleicht hätte er sich sogar noch mehr vom mexikanischen Großmeister der Phantastik abschauen sollen: Del Toros Filme sind schließlich nicht nur wegen ihrer prächtigen Designs so populär, sondern eben auch wegen seines Händchens für unvergessliche Charaktere. So herausragend Filme wie „Hellboy“, „Pans Labyrinth“ oder „Shape Of Water“ handwerklich auch gemacht sind – am Ende sind es doch der Sprücheklopfer Hellboy, die gutherzige Ofelia oder die stumme Putzkraft Elisa, mit denen man mitlacht, -bangt und –leidet. Es sind Figuren, die man sofort ins Herz schließt.
In „Baghead“ dagegen bleibt Iris ein völlig platter, austauschbarer und zudem wenig schlüssiger Charakter – und damit ist noch nicht mal der Umstand gemeint, dass sie verblüffend schnell akzeptiert, dass im Keller ihres geerbten Pubs (!) eine Hexe haust. Wenn Iris erläutert, wieso sie die Grusel-Kneipe trotz allem behalten möchte, ist das zentrale Argument, dass sie ja sonst nichts habe und sich außerdem davor fürchte, wieder in ihr normales Leben zurückzukehren. Aber das bleibt pure Behauptung – denn man weiß ja nicht, wie ihr Leben zuvor genau aussah. Man erfährt lediglich, dass sie rausgeschmissen wurde und dass das Verhältnis zu ihrem Vater offenbar problematisch war. Und sowieso: Mit einem Verkauf hätte sie ja das nötige Geld, um neu anzufangen – und an den mit dem Pub verbundenen Erinnerungen an ihren Vater kann ihr auch nicht soviel liegen, denn die Zeit mit ihm war ja offenbar nicht gerade das Gelbe vom Ei.
Von ihrer Freundin Katie erfährt man sogar gleich gar nichts, während Kevin reich ist und im Finale noch eben schnell mit einem hingeworfenen Satz ein Mutterproblem angedichtet bekommt, um seine sich längst angekündigte Wandlung in Richtung Psychopath zumindest ein klein wenig zu erklären. Aber der von einem wahnsinnig penetranten Soundtrack unterlegte, in steriler Studiokulisse gedrehte Film kann nicht nur mit seinem menschlichen Personal wenig anfangen, er entzaubert dazu auch noch überflüssigerweise seine Hauptattraktion: Mittels einer halbanimierten Erklärbär-Montage aus Zeichnungen wird – viel zu früh (!) – genau erläutert, was es mit dem Wesen im Keller auf sich hat. Damit haben sich Spannung und Schrecken erledigt – und es bleiben nur noch die Jump-Scares, bei denen das Publikum von Mal zu Mal aber auch immer weniger zuckt.
Fazit: „Baghead“ ist wahrscheinlich der einzige Horrorfilm, in dem eine (zugegeben gut gestaltete) Hexe ein Smartphone frisst. Aber ansonsten wird hier kaum was geboten: Die Protagonist*innen sind aus löchriger Pappe, der Soundtrack ist penetrant, der „Horror“ besteht vornehmlich aus ohrenbetäubenden Jump-Scares – und zudem spielt sich nahezu das ganze Geschehen in derselben öden Studiokulisse ab.