Wenn sich der lärmende Nachbar als die große Liebe entpuppt
Von Lars-Christian Daniels„Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist – das ist alles, was sie hört“, sang Herbert Grönemeyer schon 1983: Der Deutsch-Pop-Rocker erzählt in seinem Kulthit von einer gehörlosen Frau, die die Musik zwar nicht mit ihren Ohren wahrnehmen, aber dafür am ganzen Körper spüren kann. „Der Lärm aus ihrem Zimmer macht alle Nachbarn krank“, heißt es in dem Song weiter – und genau diese Situation ist es auch, die in Pascal Elbés Komödie „Schmetterlinge im Ohr“ den Stein für alle weitere (romantischen) Ereignisse ins Rollen bringt.
Der französische Filmemacher, der auch selbst die Hauptrolle übernimmt, widmet sich in seiner Wohlfühl-Komödie der Welt eines Lehrers, der seinen Gehörsinn fast vollständig eingebüßt hat – und dessen Gefühlswelt gehörig durcheinandergewirbelt wird, als eines Tages seine genervte Nachbarin vor der Tür steht. Es folgen ein handfester Streit, eine Vielzahl an Missverständnissen und jede Menge heitere Momente, die irgendwann in Zuneigung umschlagen: „Schmetterlinge im Ohr“ ist eine romantische Komödie aus dem Bilderbuch, punktet trotz ihrer Formelhaftigkeit aber mit einem originellen Thema, überzeugenden Darstellern und sympathischen Figuren.
Es dauert eine Zeit, bis der inzwischen fast gehörlose Antoine einsieht, dass er ein Problem hat.
Der alleinstehende Lehrer Antoine (Pascal Elbé) wirkt auf seine Mitmenschen zunehmend geistesabwesend: Falschen Antworten seiner Schüler schenkt er kaum noch Aufmerksamkeit, bei Besprechungen kann er der Diskussion oft nicht folgen und auch seine Ex-Frau spürt kein Verlangen danach, zu ihm zurückzukehren. Seine vermeintliche gedankliche Abwesenheit hat allerdings einen einfachen Grund: Antoine ist nicht desinteressiert, sondern trotz seines jungen Alters nahezu gehörlos. Das hat er allerdings noch nicht bemerkt – und staunt nicht schlecht, als sich seine Nachbarin Claire (Sandrine Kiberlain) eines Morgens darüber beschwert, dass sie im Stockwerk unter ihm von dem ohrenbetäubend lauten Wecker wach wird, den er selbst überhört…
In den sozialen Medien gingen in den vergangenen Jahren zahlreiche Kurzvideos viral, in denen gehörlose Menschen dank moderner Technik erstmalig ihre Umwelt auch akustisch wahrnehmen können – eine sehr rührende Erfahrung, die Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Pascal Elbé in ähnlicher Form nun auch in seinem dritten Langfilm verarbeitet. Bis zu dem magischen Moment, in dem Antoine zum ersten Mal sein neues Hörgerät eingesetzt hat und realisiert, was er da in den letzten Jahren alles verpasst hat, dauert es allerdings eine ganze Weile: Antoine ist noch nicht vollständig taub und muss erst einmal einsehen, wie schlecht es mittlerweile um seine akustische Sinneswahrnehmung bestellt ist.
Wer vorher keine Inhaltsangabe zum Film gelesen hat, wird ein paar Minuten brauchen, um sich zurechtzufinden und zu begreifen, wo hier eigentlich der Hase im Pfeffer liegt: Antoine scheint anfangs immer nur das zu verstehen, was sich mit Blick auf die Dramaturgie und eine möglichst hohe Pointendichte aufdrängt. Das wirkt zunächst konstruiert und wenig stringent: Das Streitgespräch mit seiner aufbrausenden Nachbarin Claire etwa läuft ebenso problemlos ab wie der Buddy-Talk mit seinem Kollegen Francis (François Berléand). Kaum vorstellbar, dass solche Alltagsdialoge in normaler Lautstärke möglich sein sollen, während Antoine andere Dinge im bilateralen Gespräch komplett überhört und ihn wohl nicht mal eine startende Passagiermaschine direkt neben seinem Bett aus seinem Schlaf reißen könnte.
Mit dem Besuch beim Hörakustiker seines Vertrauens entfaltet die Komödie nach einer guten Viertelstunde aber ihre größte Stärke, denn aus der – förmlich zelebrierten – Tonspur in Kombination mit Pascal Elbés herrlichem, unaufdringlichen Mienenspiel generiert sich eine lange Reihe gelungener Gags. Allein die grandiose Szene, in der sich der Lehrer im Beisein seiner argwöhnischen Kollegin Juanita (Claudia Tagbo) sein Hörgerät ins Ohr setzt und erstmalig krachend in einen Apfel beißt, ist das Kinoticket schon wert (im Kinosaal kracht’s schließlich doppelt so schön). Die Tücken der Technik sorgen ebenfalls für amüsante Szenen: Mal lassen sich unliebsame Geräusche nicht herausfiltern, mal versagt im entscheidenden Moment der Akku des Geräts – was denkbar ungünstig ist, wenn Antoine und Claire miteinander geschlafen haben und sie nach dem Sex von ihm unbemerkt das Thema gewechselt hat.
Zur Abwechslung endet ein Nachbarschaftsstreit mal nicht in Mord und Totschlag - sondern in der großen Liebe.
Diese heiteren Momente in trauter Zweisamkeit sind typisch für den Film, denn „Schmetterlinge im Ohr“ funktioniert über weite Strecken nach dem Erfolgsrezept klassischer Rom-Coms – der einleitende Streit auf der Türschwelle ist bald vergessen und weicht im starken Mittelteil humorvollen Reibereien, die nach einem verpatzten Dinner-Date (etwas schnell) in Zuneigung münden. Unterm Strich wirkt der Film, der erst in den Schlussminuten in Richtung Kitsch abbiegt, aber weniger durchgeplant als andere Genrevertreter: Auch dank Claires Tochter Violette (Manon Lemoine), die sich in hartnäckiges Schweigen hüllt und an Antoine einen Narren gefressen hat, kommt willkommene Abwechslung ins Figurenensemble. Er ist taub und sie stumm – und wir schließen sie beide schnell ins Herz.
Fazit: Flugzeuge im Bauch und „Schmetterlinge im Ohr“ – Pascal Elbés romantische Komödie liefert größtenteils gelungene Wohlfühl-Unterhaltung und holt aus einer unverbrauchten Grundidee trotz ihrer Formelhaftigkeit eine Menge heraus.
Wir haben „Schmetterlinge im Ohr“ bei den 38. Französischen Filmtagen Tübingen-Stuttgart gesehen.