Liam Neeson ist auch auf dem Eis in seinem Element
Von Oliver KubeDass nordamerikanische Trucker zumindest im Kino harte Typen sind, wissen wir spätestens seit dem kultigen „Convoy“ von Regie-Legende Sam Peckinpah mit Kris Kristofferson am Lenkrad. Sie haben aber nicht nur vor rein gar nichts Angst, sondern sie hören auch von morgens bis in die Nacht traurige Country-Songs, sind passionierte CB-Funker und haben allesamt Wackelkopf-Figuren auf dem Armaturenbrett stehen. Doch warum sind es ausgerechnet diese drei Elemente, die fest zum Trucker-Leben im Kino gehören?
Okay, beim Funkgerät stellt sich diese Frage nicht wirklich. Wie hilfreich das sein kann, wenn man auf bis zu 600 Pferdestärken sitzend ein paar Dutzend Tonnen Fracht auf dem Anhänger durch die Walachei zieht, leuchtet sofort ein. Warum ausgerechnet Country-Musik verhindert, am Steuer einzunicken, wissen wir auch weiterhin nicht - was es mit den albern anmutenden kleinen Püppchen auf sich hat nun dagegen schon. Den der mit etwas Kapitalismus- und Gesellschaftskritik sowie ein paar trockenen One-Linern gewürzte Action-Thriller „The Ice Road“ von Jonathan Hensleigh („The Punisher“) beantwortet ganz nebenbei diese Frage. Vor allem liefert er aber trotz mauem Plot dank toller Bilder ordentliche Unterhaltung.
Liam Neeson ist auch auf dem Eis in Bestform.
Im von einer dicken Schnee- und Eisschicht überzogenen hohen Norden Kanadas kommt es zu einer Gas-Explosion in einer Diamantenmine. Vorarbeiter Lampard (Holt McCallany) und 25 seiner Bergmänner werden dabei lebend verschüttet. Ihr Sauerstoff reicht nur noch für etwa 30 Stunden; das haben ihre Kameraden an der Oberfläche flugs ausgerechnet. Um die armen Kerle aus ihrer misslichen Lage zu befreien, wird eine ganz spezielle, gigantische Bohrvorrichtung benötigt, die natürlich nicht vor Ort ist. Aufgrund des Wetters und der Abgeschiedenheit der Mine am Rande des Polarkreises kann man diese aber nicht eben mal einfliegen, sondern muss sie per Lkw-Schwertransport heranschaffen. So machen sich drei der besten Trucker des Landes auf den Weg, das Leben der Eingeschlossenen zu retten...
Doch weil für die erfahrenen Veteranen Mike McCann (Liam Neeson) und Jim Goldenrod (Laurence Fishburne) sowie die noch junge, aber offenbar extramotivierte Tantoo vom Stamme der Cree (Amber Midthunder) die Zeit drängt, müssen sie eine besonders gefährliche Route wählen. Statt über Highways geht es über den riesigen Lake Manitoba. Im Winter kann der zugefrorene See auf den sogenannten Ice Roads auch überquert werden, doch wir haben Ende April. Die Sonne hat das Eis bereits dünner und brüchiger gemacht, weswegen die Fahrt einem Himmelfahrtskommando gleicht. Zudem kommt langsam der Verdacht auf, dass das Unglück vielleicht gar nicht so zufällig passiert ist, wie Minen-Manager Sickle (Matt McCoy) die Öffentlichkeit glauben lassen will…
Wer sich selbst als Fan der nun schon eine ganze Weile anhaltenden Charles-Bronson-Phase der Karriere von Liam Neeson bezeichnet, ist bei „The Ice Road“ richtig. Der Nordire spielt mal wieder den knurrig-grüblerischen, im Notfall schnell und effizient zuschlagenden, dazu einen kernigen Spruch auf den Lippen habenden Helden. Sein Lastwagenfahrer hat so nahezu identische Eigenschaften wie die verschiedenen und sich doch so ähnelnden Neeson-Figuren in der „96 Hours“-Reihe, in „Non-Stop“, „The Commuter“ oder zuletzt „Honest Thief“. Doch was sollen wir sagen. Der einst für „Schindlers Liste“ oscarnominierte Star spielt diesen Charakter so routiniert und doch so absolut überzeugend, dass man gar nicht anders kann, als ihm die Daumen zu drücken – egal, gegen wen oder was er dieses Mal antritt.
Mit „The Ice Road“ meldet sich zudem Jonathan Hensleigh zurück. Der galt in den 90er-Jahren als der Drehbuch-Spezialist für große Over-The-Top-Hollywood-Action und war (teilweise ungenannt) an oft auch wahnwitzig-überdrehten Werken wie „Stirb langsam 3“, „Con Air“, „The Rock“ oder „Armageddon“ beteiligt. Mit „The Punisher“ gab er dann sein Debüt auf dem Regie-Stuhl, bevor er sich nach seinem dritten Film „Bulletproof Gangster“ für zehn Jahre aus dem Geschäft zurückzog. Die Pause scheint ihm gutgetan zu haben. Denn in Sachen Inszenierung ist sein Comeback „The Ice Road“ seine bislang beste Regie-Arbeit.
Nicht nur vom Eis droht dem Trio um die junge Tantoo Gefahr.
An die Absurdität und den überbordenden Spaß seiner Drehbucharbeiten, zu denen unter anderem auch noch „Jumanji“ zählt, kommt er dagegen nicht heran. Denn er verfranzt sich mehrfach in Nebenhandlungen, durch welche die Hauptgeschichte kräftig Fahrt verliert, die dann erst wieder neu aufgenommen werden muss. Da bekommt McCanns sich mit auf die gefährliche Fahrt begebender Bruder Gurty (Marcus Thomas), der trotz kognitiver Einschränkung ein begnadeter Mechaniker ist, einen kompletten eigenen Handlungsstrang. Der ist zwar durchaus emotional, trägt am Ende aber ähnlich wenig zur Gesamterzählung bei wie das Drama unter der Erde bei den Verschütteten. Es wirkt fast so, als wolle Hensleigh mit diesen Nebenfäden ein wenig davon ablenken, dass das falsche Spiel des Schurken an der Oberfläche dann doch reichlich zahm und überraschungsarm ist – zumal Matt McCoy den wohl langweiligsten Thriller-Bösewicht seit Ewigkeiten gibt.
Es nimmt aber vor allen den Fokus von dem ziemlich kurzweiligen Geschehen auf der titelgebenden Piste aus irgendwann natürlich nicht mehr ganz so massivem Eis. Was dort passiert, mag zwar reichlich überzogen und nur bedingt glaubhaft sein, ist aber spektakulär gefilmt sowie verdammt temporeich aufbereitet. Wenn es dann – nach allerdings viel Vorlauf mit Unglück und Einführung der Protagonisten – aufs Eis geht, steigt die Spannung augenblicklich an. Dazu tragen auch die ästhetischen Bilder von Chef-Kameramann Tom Stern („Mystic River“, „Million Dollar Baby“) bei. Dessen Perspektiven von unter der Eisschicht sind nicht nur unheimlich, sondern illustrieren perfekt, wie fragil und haarsträubend gefährlich das Unternehmen der LKW-Truppe ist.
Brettern die drei Fahrzeuge mit jeweils 18 Rädern und über 30 Tonnen schwerer Bohranlagen-Fracht zu Beginn noch unbehelligt im Konvoi über das gefrorene Wasser, dürften nicht nur Kenner der mittlerweile seit einer gefühlten Ewigkeit laufenden TV-Doku-Soap „Ice Road Truckers“ wissen, dass das nicht ewig so sein wird. Das Eis muss eher früher als später brechen und mindestens eines (vielleicht aber auch zwei oder gar alle drei?) der Mega-Gefährte einfach verschlucken.
Subtil ist „The Ice Road“ nicht. So sicher wie es zur Katastrophe auf dem Eis kommen wird, ist auch früh klar, dass sich ein Showdown zwischen unserem wortkargen Helden und dem das LKW-Trio begleitenden Tom Varnay (Benjamin Walker), einem Mitarbeiter des die Mine betreibenden Konzerns, ereignet. Warum sollte die Figur sonst an Bord sein? Und damit es auch jeder versteht, schwatzt der auch noch viel zu verdächtig vor sich hin. In „The Ice Road“ werden solche Story-Punkte oft einfach abgehakt. Doch es ist der spektakulär bebilderte Weg dazwischen, welcher den Suspense-Reißer auszeichnet.
Fazit: „The Ice Road“ ist immer dann großartig, wenn die Action mit riesigen Lastern auf dem Eis im Mittelpunkt steht. Dass oft überflüssiges Plot-Beiwerk zugemischt wird, ist etwas schade, stört aber auch dank eines überzeugenden Liam Neeson nur bedingt.