Mein Konto
    Emergency Declaration
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Emergency Declaration

    Über den Wolken gibt es kein Entkommen

    Von Oliver Kube

    Virus- und Pandemie-Reißer, in denen Menschen reihenweise sterben beziehungsweise zu Zombies oder Bestien mutieren, hat es gerade seit Ausbruch von COVID-19 wahrlich mehr als genug gegeben. Da muss man sich mittlerweile schon etwas Besonderes einfallen lassen, um in der Masse nicht einfach unterzugehen. Der südkoreanische Regisseur und Drehbuchautor Jae-Rim Han („Deo King“) hatte für seinen bereits vor Pandemie-Beginn ersonnenen Virusalarm-im-Flugzeug-Blockbuster „Emergency Declaration“ gleich einen ganzen Katalog guter Ideen parat. Um diese zu realisieren, stellte ihm das Studio Showbox die kolportierte Summe von stattlichen 26 Milliarden Won (umgerechnet knapp 19 Millionen Euro) an Budget zur Verfügung. Zudem konnte Han mit „Parasite“-Vater Kang-Ho Song, dem mit dem Netflix-Phänomen „Squid Game“ zu Weltruhm gelangten Byung-Hun Lee sowie K-Pop-Sensation Si-Wan Yim ein extrem namhaftes Star-Trio vor der Kamera versammeln.

    In seinem Produktionsland avancierte der stilistisch und auch in Bezug auf die Handlungsentwicklung angenehm an die Hollywood-Katastrophen-Kracher der 1990er erinnernde Titel zum Kassenschlager. Allein innerhalb der ersten zweieinhalb Wochen nach dem Kinostart am 3. August 2022 lösten bereits mehr als zwei Millionen Südkoreaner ein Ticket. Nicht wirklich verwunderlich, denn „Emergency Declaration“ ist ein mitreißender und – gerade im Vergleich zu vielen anderen Versuchen dieser Art – über weite Strecken sogar recht origineller Beitrag zum Sujet geworden. Ein intensiver Bio-Thriller über den Wolken, wobei Comedy-Fans mit Sicherheit auch die eine oder andere Parallele zum Parodie-Klassiker „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“ auffallen wird. Angesichts der ernsten Grundstimmung des Films dürfte Han diese allerdings eher nicht mit Absicht eingebaut haben.

    Jin-Seok Ryu (Si-Wan Yim) plant auf dem Flug von Seoul nach Hawaii ein hochansteckendes und hochgradig tödliches Virus freizusetzen.

    Die Polizei von Seoul erhält einen Hinweis über einen jungen Mann, der in einem Online-Video einen Terroranschlag auf ein Flugzeug ankündigt. Während seine Kollegen die Sache als geschmacklosen Scherz abtun, beschließt der erfahrene Sergeant Koo (Kang-Ho Song), der Sache weiter nachzugehen – und zwar auch deshalb, weil seine Ehefrau genau an diesem Tag mit dem Flugzeug verreisen will. Koo identifiziert den Mann im Video als den von seinem Arbeitgeber gefeuerten Virenforscher Jin-Seok Ryu (Si-Wan Yim). In dessen Wohnung finden sich jede Menge höchst verdächtige Unterlagen sowie eine grausam entstellte Leiche.

    Ryu ist zu diesem Zeitpunkt allerdings schon an Bord des in Richtung Hawaii gestarteten Fluges KI-501. Zunächst in der Bordtoilette setzt er ein tödliches Virus frei, das sich wie ein Lauffeuer unter Reisenden und Besatzung ausbreitet. Bald darauf sterben die ersten Infizierten qualvoll, während der Fall in der Heimat die Medien erreicht. Ein Krisenstab um Ministerin Kim (Do-Yeon Jeon) versucht das entstandene PR-Desaster für die Regierung zu managen. Allein Sergeant Koo scheint bereit, bis zum Äußersten zu gehen, um nicht nur die überlebenden Menschen an Bord zu retten, sondern auch eine möglicherweise großflächige Verbreitung des Virus am Boden zu verhindern…

    Authentische Panik

    Einige Menschen wollen die Welt einfach nur brennen sehen“, sagt Batmans Butler Alfred Pennyworth in „The Dark Knight“ über den Joker. Mit diesen Worten wäre auch der Attentäter in „Emergency Declaration“ gut umschrieben. Denn der verlangt weder Lösegeld noch stellt er irgendwelche politischen Forderungen. Er will lediglich so viele Menschen wie möglich mit sich ins Verderben reißen und dabei zuschauen. Dass er selbst ebenfalls sterben wird, nimmt er für sein irres Vergnügen wissentlich in Kauf. Das Ex-Boyband-Mitglied Si-Wan Yim macht hier als psychopathischer Bio-Terrorist einen wahrhaft furchteinflößenden Job – wohl auch gerade deshalb, weil er so ein Perfekter-Schwiegersohn-Bubi-Gesicht hat.

    Interessanterweise wurde der Film schon vor der COVID-19-Pandemie vorbereitet. Dann verzögerte sich der Dreh allerdings aufgrund des ersten Lockdowns. Erst als dieser gelockert wurde, konnten die Kameras endlich laufen. Nachdem die Infektionszahlen in Südkorea wieder rapide anstiegen, mussten die Arbeiten aber schon bald erneut gestoppt werden. Erst Monate später kam es zur Vollendung. Eine extreme Extra-Belastung für alle Beteiligen. Zugleich könnte es aber auch genau damit zu tun haben, dass sich viele der Szenen so enorm intensiv anfühlen. Die anschwellende Angst, wenn die Menschen an Bord realisieren, dass es in dem geschlossenen Flugzeug kein Entkommen vor dem Virus gibt, wirkt erschreckend authentisch. Clever unterstützt wird das Ganze dabei durch den atmosphärisch dröhnenden und hämmernden Score von Byung-Woo Lee („A Tale Of Two Sisters“).

    Der Polizist Koo (Kang-Ho Song), dessen Frau sich an Bord befindet, tut am Boden sein Möglichstes, um den Plan des Bio-Terroristen doch noch aufzuhalten.

    Die Anspannung auf engstem Raum, die dazu führt, dass die noch nicht Infizierten immer aggressiver gegenüber denen werden, die bereits Symptome zeigen, wird vom Skript noch dadurch verstärkt, dass das Flugzeug in Turbulenzen gerät. Die Set-Designer und Effekt-Spezialisten haben hier ganze Arbeit geleistet – und zum Beispiel eine Flugzeugkabine entwickelt, die wie eine Waschmaschinentrommel immer wieder um 360 Grad gedreht werden konnte. So sind das Chaos und die Panik, als der vom Virus betroffene Pilot das Bewusstsein und damit die Kontrolle über die Maschine verliert, sehr greifbar eingefangen. Getränke, Gepäckstücke und nicht angeschnallte Personen wirbeln durch die Luft, während der Flieger in Tausenden von Metern Höhe steuerlos durch die Wolken trudelt und gen Erde stürzt. Eine exzellent inszenierte Szene, bei der Zuschauer*innen mit Flugangst lieber Augen und Ohren schließen sollten.

    Der Umstand, dass sich ausgerechnet die Ehefrau des am Boden ermittelnden Polizisten an Bord befindet, ist natürlich ein sehr konstruiert wirkendes Plot-Element. Aber es funktioniert, da es den Cop glaubhaft motiviert und so zusätzlich auf persönlichem Level für Spannung sorgt. Es gibt noch weitere solcher – ja durchaus genre-typischen – Verwicklungen. So befindet sich etwa ein inzwischen unter Flugangst leidender Ex-Pilot (Byung-Hun Lee) an Bord. Der wiederrum wird vom ersten Offizier (Hae-Joon Park) für den Tod seiner Frau verantwortlich gemacht, was zu zwischenmenschlichen Problemen, aber auch berührenden Momenten führt, als die beiden Männer plötzlich die letzten Personen sind, die das Flugzeug noch steuern können.

    Heftige Turbulenzen sind für die Passagiere des Fluges KI-501 schnell nur noch das kleinste Problem!

    Als Drehbuchautor mag Jae-Rim Han es im gut 20 Minuten zu lang gezogenen finalen Drittel mit seinen Wendungen und der Emotionalität etwas übertreiben – zum Beispiel, wenn KI-501 von Kampfjets unter Beschuss genommen wird und dann gleichzeitig auch noch der Treibstoff ausgeht. Aber bis dahin hat er uns als Regisseur einen packenden, intelligent aufgebauten und sowohl in der Luft als auch am Boden mitreißend umgesetzten Katastrophen-Thriller präsentiert. Niemand sollte sich darüber wundern, wenn in Hollywood bereits nachgegrübelt wird, wer wohl als Regisseur*in für ein US-Remake in Frage käme…

    Fazit: Wer klassische Katastrophen-Action wie im Hollywood-Kino der Siebziger bis Neunziger mag, muss „Emergency Declaration“ sehen!

    Wir haben „Emergency Declaration“ beim Fantasy Filmfests 2022 gesehen, wo er als Abschlussfilm seine Deutschlandpremiere feierte.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top