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    Days
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Days

    Körper, die durch Fensterscheiben starren

    Von Christoph Petersen

    Neben Ang Lee ist Tsai Ming-liang der wohl bekannteste Regisseur der taiwanesischen Second New Wave in den Neunzigerjahren. Damals haben Meisterwerke wie „Das Hochzeitsbankett“ oder „Vive l’Amour – Es lebe die Liebe“ das taiwanesische Kino wieder zurück in den Fokus der internationalen Filmöffentlichkeit gerückt. Dennoch entwickelten sich die Karrieren der beiden Filmemacher anschließend diametral gegensätzlich voneinander weiter: Während Ang Lee längst den Sprung nach Hollywood vollzogen hat und dort auch schon mit gleich zwei Oscars - für „Brokeback Mountain“ und „Life Of Pi“ - ausgezeichnet wurde, widmet sich Tsai Ming-liang immer mehr den non-narrativen, experimentellen Formen des Kinos.

    In der Tradition von „Stray Dogs“, für den Tsai Ming-liang 2013 beim Filmfestival in Venedig mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde, setzt der Regisseur nun auch in „Days“ wieder auf sehr lange, statische Einstellungen. So eröffnet der Film direkt mit einer minutenlangen starren Perspektive durch eine Fensterscheibe hinein in ein Haus, von wo Lee Kang-sheng, der in allen Filmen des Regisseurs mitspielt und so etwas wie seine Muse ist, mit einem traurigen Blick hinaus in den Regen starrt. Aber bei „Days“ geht Ming-liang noch weiter: In den gut zwei Stunden gibt es nur einen einzigen Dialog und der war wohl auch eher ein Unfall – und dazu gibt es auch kaum offensichtliche Marker, um sich in der konsequent reduzierten Erzählung überhaupt zurechtzufinden.

    Die Einsamkeit des anderen - erst spät im Film treffen Kang und Non doch noch aufeinander.

    Wer sich in Asien nicht groß auskennt, kann zum Beispiel leicht verpassen, dass sich die beiden Männer, denen wir in der ersten Stunde bei größtenteils alltäglichen Verrichtungen zusehen, zunächst in zwei verschiedenen Ländern befinden: In Hongkong hat ein älterer Mann namens Kang (Lee Kang-sheng) mit offenbar starken Nackenschmerzen zu kämpfen. Vielleicht ist er sogar noch schwerer krank, zumindest setzt er sich an einer Stelle selbst eine Spritze. In Thailand sehen wir unterdessen einen jüngeren Mann namens Non (Anong Houngheuangsy), der betet und die Zutaten für ein einfaches Mahl wäscht und vorbereitet...

    Es ist sehr lange nicht klar, worauf das eigentlich hinausläuft. Stattdessen lernt man die zwei Männer bzw. aufgrund der nicht vorhandenen Dialoge oder Interaktionen eigentlich auch nur ihre Körper kennen – einer, der langsam verfällt, der sich mit Entspannungsübungen und Akkupunktur Linderung zu verschaffen versucht; und einer, der noch gänzlich vital ist, der mit großer Akribie einen knackigen grünen Salat im Badezimmer wäscht. Man muss schon Lust darauf haben, in den großartig quadrierten Bildern selbst nach den interessanten Dingen zu suchen, aber dann wird man auch belohnt (etwa mit der Katze, die dort so klein hinter der Fensterfront eines den Sonnenuntergang spiegelnden Bürogebäudes entlangspaziert, dass man sie wahrscheinlich tatsächlich nur auf einer großen Kinoleinwand überhaupt erspähen kann).

    Autsch, ist das heiß!

    In der wohl „spektakulärsten“ Szene des Films lässt sich der ältere Mann auf eine (zumindest für ein westliches Publikum) höchst fragwürdig anmutende Weise behandeln – nämlich mit Akupunkturnadeln, die an elektrischen Strom angeschlossen sind und zudem mit am Ende angebrachten, glühenden Kohlekugeln aufgeheizt werden. Als Schutz dienen dabei nur behelfsmäßig zwischen Rücken und Glut eingeschobene Aluminiumschälchen – und das geht dann auch prompt schief. Wenn Lee Kang-sheng sich hier schmerzerfüllt beschwert und die Akupunkteure ihn zu beruhigen versuchen, ist das sehr wahrscheinlich echt – und der konkrete Wortwechsel ist deshalb auch nicht untertitelt, weil er wohl schlicht nicht geplant war.

    Wenn die beiden Männer schließlich doch noch für einen ebenso profunden wie flüchtigen Moment in einem Hotelzimmer in Bangkok aufeinandertreffen, ist das je nach Lesart ein Ende oder ein Anfang, ein Augenblick voll tiefer Tragik oder ein letzter Hoffnungsschimmer, für den zwei einsame Körper über eine solche Entfernung zusammenkommen mussten. Tsai Ming-liang entlässt den Zuschauer mit einer weiteren minutenlangen Einstellung, diesmal mit dem jüngeren Mann, der auf einer Bank an einer Straße sitzt. Die Situation scheint wie die Anfangsszene mit Bedeutung aufgeladen zu sein, könnte aber genauso gut auch nur voll beiläufiger Alltäglichkeit stecken – eine Ambivalenz, aus der man eine Menge schöpfen kann, wenn man im Anschluss zurück ins Leben außerhalb des Kinosaals geht – aber nur wenn man sich nicht einfach nur zwei Stunden lang ganz fürchterlich gelangweilt hat.

    Fazit: Ein extrem streng komponierter Film, der mit seinen Szenen voller bleibendem Schmerz und flüchtigem Glück tief berührt.

    Wir haben „Days“ im Rahmen der Berlinale 2020 gesehen, wo der Film als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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