Horror im Berlinale-Wettbewerb
Von Lucas BarwenczikEs ist ein Standart-Thema des Horrorfilms: Stimmen ohne Körper, Körper ohne Stimmen. Selbst Besessenheit bedeutet im Kino ja erst einmal, dass aus einem Körper die falsche Stimme spricht. Der Mensch will sicher sein, ganz die Kontrolle über sich selbst zu haben. Und, dass auch alle anderen diese Kontrolle behalten. Genau mit derartigen Ängsten arbeitet der psychologische Horrorfilm „The Intruder“ von der argentinischen Regisseurin Natalia Meta. Dort kann man sich nie sicher sein, wer gerade spricht. Selbst dann nicht, wenn man glaubt, selbst zu sprechen.
Im Mittelpunkt steht die Synchronsprecherin und Sängerin Inés (Érica Rivas). Ein kurzer Urlaub gerät zum Horrortrip, daraufhin kehrt auch noch ein alter Albtraum aus ihrer Kindheit zurück. Plötzlich kann sie nicht mehr schlafen. Auf jeder Tonaufnahme von ihr tauchen unerklärliche Geräusche auf, auch über ihre Gesangsstimme scheint sie keine wirkliche Kontrolle mehr zu haben. Wirklichkeit und Traum werden immer schwerer zu trennen, sie verliert das Vertrauen in ihre Nächsten und sich selbst. Eine alternde Schauspielerin warnt sie vor „Eindringlingen“, die Körper und Seelen von Menschen übernehmen. Inés sucht nach einer Möglichkeit, sich zu retten…
Inés muss bangen, dass sich etwas Fremdes in ihr und ihrer Stimme eingenistet hat.
Ganz klassischen Horror bietet „The Intruder“ nicht. Vertraute Schockeffekte oder sogar grobe Jump Scares sind selten. Stattdessen geht es der Regisseurin stark um die Auswirkung der geisterhaften Übernahme auf Inés Beziehungsleben. Der Schrecken seltsamer Geräusche oder Erscheinungen ist oft geringer als der Druck, den andere Menschen auf sie ausüben. Als sie mit einer schwierigen Gesangspassage hadert, lässt der Chorleiter sie vom Sopran zum Mezzosopran versetzen. Ein unangenehmes, etwas entwürdigendes Ritual. Nach und nach rücken alle, die durch diese „Versetzung“ über sie gestellt werden, auf. Die Häufung von solchen Momenten passt gut zum großen Thema „Traum“. Wahrscheinlich plagen uns in schweren Nächten viel öfter solche Visionen von Versagen und Einsamkeit als solche voll von Monstern oder Geistern.
Auch wenn ihre Mutter Marta (Cecilia Roth) zu Besuch kommt und ihr ungefragte Ratschläge zu Berufs- und Liebesleben gibt, ist sie nicht unbedingt begeistert. Fast beiläufig erfahren wir, dass ihre Familiengeschichte nicht immer glücklich verlaufen ist. Wie so oft im Genre lässt die Regisseurin uns zweifeln: Wo beginnt der Traum, wo die Wirklichkeit? Was ist übernatürlich, was lediglich Ausdruck einer beschädigten Psyche?
Leider wird dieses Spiel mit den verschiedenen Ebenen der Wahrnehmung nie sonderlich interessant. Weder zerfällt die Geschichte in ein wirres Puzzle, das der Zuschauer eigenständig zusammenbauen muss, noch sorgt diese Grundidee für interessante visuelle Momente. Die meisten Szenen sind zu geerdet, als dass ein Rausch oder Sog entstehen könnte. Oft liegt zwischen Traum und Wirklichkeit nicht einmal ein Schnitt, sondern nur eine leichte Änderung der Lichtstimmung oder eine einfache Kamerabewegung. Wirklich extravagant wird die Form des Films nur ein einziges Mal – eine ungewöhnlich eingebaute Drohnenaufnahme, die einen Schock gleichzeitig intim und universell macht. Es fehlt ein stärker ausgeprägter Stilwille, der die Standardsituationen besonders macht.
„The Intruder“ hat eine humorvolle Seite. Weil der Horror sich oft aus missglückten zwischenmenschlichen Momenten speist, kann man auch oft über die Peinlichkeiten lachen. Wenn Inés etwas trotteliger Freund Leopoldo (Daniel Hendler) sich mit einem leidenschaftlichen, aber miserabel gesungenem Ständchen beim Karaoke blamiert, dann will sie zwar im Boden versinken vor Scham, aber unterhaltsam ist das Ganze trotzdem. In den besten Momenten finden sanfte Scherze und düstere Angstattacken zusammen. Das passiert jedoch leider viel zu selten. Meist stehen sie nebeneinander und behindern eine Grundstimmung, die den Zuschauer für sich einnimmt. Fast wünscht man sich, der Hang der Regisseurin zum simplen, vulgären Terror des Genres wäre ausgeprägter. Aber vor lauter Sorge, das zarte Gleichgewicht einzureißen, hält sie sich zu sehr zurück.
Was hat der (zu) freundliche Orgel-Stimmer Alberto (Nahuel Pérez Biscayart) mit der ganzen Sache zu tun?
„The Intruder“ hat viele interessante Ideen, die allesamt zu leichtfertig verspielt werden. Kein Ansatz wird zu seiner logischen Konsequenz, oder zu überhaupt irgendeiner Konsequenz, weitergedacht. Die Verbindung von Synchronsprechen und Horrorfilm gelang Peter Strickland mit „Berberian Sound Studio“, einer schrägen Hommage an den Giallo-Film der Siebzigerjahre, deutlich besser. Es gibt zweifellos stimmungsvolle Momente, aber es sind zu wenige. Der Gedanke, Schrecken aus Beziehungen und scheiternder Kommunikation abzuleiten, ist grundsätzlich gut. Leider fühlen sich diese Situationen oft wie Füllmaterial an, weil sie immer wieder die gleichen Prozesse wiederholen. Zwischen dem bemerkenswerten Einstieg und dem originellen Finale verliert der Film an Tempo und Atmosphäre. Wenn bestimmte Motive endlos wiederholt werden, ohne dadurch intensiver zu wirken, ist das ein Problem.
Man denke nur an die immer wiederkehrenden Szenen in der Tonkabine. Wenn Inés eingangs einen schrägen, grellbunten Bondage-Horror-Streifen vertont, wirft uns die Regisseurin direkt in diesen Moment. Wir beginnen im Film, den sie synchronisiert, und hören dann eine fremde Stimme, die in einer anderen Sprache diese Sätze nachformt. Hier gelingt genau die Verwirrung von Körper und Wort, die so desorientieren und verängstigen kann. Horror muss für den Zuschauer unsicheres Terrain sein, jede Szene ein unentdeckter Kontinent. Bei „The Intruder“ fühlt man sich einfach zu schnell heimisch.
Fazit: Ambitionierter psychosexueller Horror, der seine vielen interessanten Ideen zu selten entwickelt. Erschreckend ist vor allem das ungenutzte Potential.
Wir haben „The Intruder“ auf der Berlinale gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.