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    Time To Hunt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Time To Hunt

    So geknallt haben Schüsse noch nie

    Von Janick Nolting

    Glaubt man den Darstellern und ihrem Regisseur, dann bekommt man es in „Time To Hunt“ mit absoluter Dauerspannung und einer „ganz besonderen Kinoerfahrung“ zu tun. Jedenfalls ließen sich die Beteiligten vorab im Pressematerial für die Weltpremiere bei der Berlinale zu regelrechten Superlativen hinreißen. Natürlich ist dieses Eigenlob per se kein Verkaufsargument, aber etwas Vorfreude ist dann doch dabei, wenn es waschechtes Suspense-Kino in das ansonsten meist gediegene Berlinale-Programm geschafft hat. Noch dazu kommt der koreanische Film zu einer Zeit, in der das Kino seines Heimatlandes nach dem Oscar-Triumph von „Parasite“ wieder in aller Munde ist. Tatsächlich erweist sich Yoon Sung-hyun dann auch als fähiger Actionregisseur, doch ein Grund für die ganz großen Jubelstürme ist sein zweiter Kinofilm nach „Bleak Night“ trotzdem nicht geworden.

    Jun-seok (Lee Je-hoon) wurde gerade frisch aus dem Gefängnis entlassen. Seine Heimat Südkorea hat sich nach einer Finanzkrise verändert. Armut und Gewalt überall, die Städte wie leergefegt, keinerlei Aussicht auf eine glückliche Zukunft. Doch der junge Mann hat seine Zeit im Knast genutzt, um einen letzten großen Coup für ein Leben in Wohlstand zu planen. Gemeinsam mit seinen Kumpels (Ahn Jae-hong und Choi Woo-shik) verübt er einen Raubüberfall auf ein Casino, womit das Trio aber auch den Zorn mächtiger Krimineller auf sich zieht. Schnell werden sie so selbst zu Gejagten…

    Die Action knallt nicht nur, sie wir auch in verdammt atmosphärischen Bildern eingefangen.

    Schon beim Einstieg in diese Gangstergeschichte möchte man mit den Zähnen knirschen, so viel Potential wird da verschenkt. Diese dystopische Welt fühlt sich wie eine bloße Behauptung an, in wenigen, schwülstigen Dialogfetzen wird das Nötigste erklärt. Keine noch so klischeehafte Phrase wird ausgespart, wenn die Jungen über ihre düstere Zukunft, ihre letzte Chance und ihren Wunsch vom Paradies sinnieren. Klar, die trostlose Stadtkulisse und die düsteren Hochglanzbilder geben einiges her!

    Doch es reicht eben nicht aus, nur mit ein paar schicken Farbfiltern und grummelnder Tonspur im Hintergrund eine Atmosphäre aufbauen zu wollen. Noch weniger reicht es aus, mit zwei oder drei funktionalen Gesprächen, in denen jeder schnell seine Befindlichkeiten ausspricht, Charaktere an ein Publikum zu binden. Zum Glück braucht Yoon Sung-hyun dann nicht allzu lange, um sein furioses Katz-und-Maus-Spiel in die Gänge zu bringen. Dass dies kein Film des Feingefühls ist, wird eh schnell deutlich, also lieber direkt her mit dem großen Spektakel!

    Ein verdammt lauter Film

    Wenn man nun die Actionsequenzen und damit die eigentliche Attraktion des Films unter die Lupe nehmen will, dann muss unbedingt das brachiale Sounddesign erwähnt werden. Man konnte jedenfalls bisher selten im Kino erleben, dass einem so viel Respekt vor einem Gewehr eingeflößt wird! Wenn in „Time To Hunt“ geschossen wird, dann donnert es ohrenbetäubend durch den Saal. So laut, dass die plötzlichen Gewaltausbrüche wie Schockmomente in den Film knallen. Zum Glück! Wenn sich der Film dann mal wieder an einem erzählenden Kino versucht, ist so ein Schreckschuss hier und da auch dringend nötig, um in der ziellosen Story wieder für Aufmerksamkeit zu sorgen.

    Sung-hyun versteht jedenfalls etwas von seinem Fach, wenn es um die Inszenierung dieser brutalen Schusswechsel geht. Sein Gespür für die Bildeinstellungen, in denen sich der Feind unbemerkt im Hintergrund aus der Dunkelheit schält, und für die immersive Wirkung seiner bedrohlichen Action-Setpieces ist enorm groß. Die nahezu physische Erfahrbarkeit dieser Schießereien wird da bestens eingefangen. Dabei hätte es das aufdringliche, pseudo-bedrohliche Dauertrommeln im Hintergrund eigentlich gar nicht mehr gebraucht: Spätestens die Flucht aus einem dunklen Parkhaus zeigt am Ende nämlich doch wieder, dass sich mit Stille immer noch die größte Anspannung kreieren lässt.

    Hatz ohne Ende

    Was sich jetzt in der Theorie wie das angekündigte Suspense-Spektakel anhört, erzielt zwar seine angestrebte Intensität, aber leider eben immer nur in Einzelmomenten. „Time To Hunt“ ist kein Action-Dauerfeuer wie etwa ein „Mad Max: Fury Road“ oder „The Raid“. Hier gibt es ständig kurze Momente der Anspannung und Eskalation, aber leider streckt Regisseur Sung-hyun seine Gangster-Hatz auf mehr als zwei Stunden und bremst sein Tempo damit unnötig aus. Zu dünne Geschichte für eine solche Laufzeit, zu viel erzählerischer Leerlauf. So ganz ohne Drehbuch geht´s dann eben doch nicht! Alles, was es hier zu sagen gibt, wird in den ersten Filmminuten dem Publikum unverkennbar vor die Füße geworfen, aber so simpel gestrickt und mitunter so schwülstig dargeboten, dass einem das Ableben der Figuren eigentlich herzlich egal ist.

    Das mag in seiner Auseinandersetzung mit der südkoreanischen Gesellschaft seine Dringlichkeit besitzen. Wie Perspektivlosigkeit und Kapitalismus in brutale Gewalt und Paranoia umschlagen können, davon hat allerdings zuletzt besonders Lee Chang-dong in seinem Meisterwerk „Burning“ wesentlich eindringlicher und cleverer erzählt. Und ja, es ist fast ein wenig zynisch, den ohrenbetäubenden Lärm von „Time To Hunt“ mit diesem Kino der stillen Töne zu vergleichen.

    Fazit: „Time To Hunt“ löst sein Versprechen ein und überzeugt mit spannungsgeladenen Verfolgungsjagden, die die meisten Hollywood-Actionstreifen der vergangenen Jahre locker in die Tasche stecken. Zwischendurch gibt es allerdings auch viel Belangloses zu bereden, ohne dass dabei wirklich etwas Substanzielles gesagt wird.

    Wir haben „Time To Hunt“ im Rahmen der Berlinale gesehen, wo er als Berlinale Special gezeigt wurde.

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