„A stylish exercise in ersatz-Hitchcock suspense-terror.” (Variety)
Auch wenn Brian de Palma inzwischen in den verschiedensten Genres reüssierte, etwa dem Großstadtwestern („The Untouchables“, 1987), Spionage-Thriller (Mission: Impossible, 1996) oder Science-Fiction-Film („Mission To Mars“, 2000), am erinnerungswürdigsten sind dennoch jene Filme, die deutlich auf die Meilensteine des „Master of Suspense“, Alfred Hitchcock, Bezug nehmen, wobei „Dressed To Kill“ ohne Frage den Höhepunkt dieses Teils seines Oeuvres ausmacht. Dabei ist die überdeutlich von Psycho (1960) inspirierte Geschichte um einen schizophrenen Mörder lediglich Mittel zum Zweck. Sie ist lediglich rudimentär, was zählt, ist die funkelnde Oberfläche, die zum eigentlichen Betrachtungsgegenstand wird. Nahezu die gesamte Arbeit des Regisseurs, der kürzlich angelaufene Noir-Thriller The Black Dahlia bestätigt es aufs Neue, insbesondere jedoch diese doppelbödige Stilübung in selbstironischem Kino-Terror ist „auf gewisse Art Meta-Kino, weil es seine Tricks demonstrativ ausstellt und zur Analyse freigibt“ (Uwe Mies). Zartbesaitete Hüter des guten Geschmacks und nicht Thriller-affine Zuschauer mögen irritiert darüber sein, was ihnen da vorgesetzt wird, auf wen diese Beschreibung nicht zutrifft, der wird jedoch am Dargebotenen, wie entfesselt wirkenden visuellen Rausch großen Gefallen finden.
Kate Miller (Angie Dickinson) ist eine sexuell frustrierte Frau mittleren Alters. In ihren Träumen flüchtet sie sich in wilde Fantasien, in denen endlich sie über ihre Sexualität bestimmen kann, doch plötzlich schlägt selbst eine sinnliche Duschszene um in eine brutale Vergewaltigung. Als sie aufwacht, muss sie feststellen, dass sie wieder einmal nur der stumpfen Triebabfuhr ihres Partners Mike (Fred Weber) dienlich ist. Halt im Leben geben der Hausfrau nur ihr Sohn Peter (Keith Gordon), ein menschenscheuer, mit enormer Kreativität ausgestatteter Bastler, und regelmäßige Sitzungen mit Dr. Robert Elliott (Michael Caine), einem renommierten Psychoanalytiker, den sie als durchaus attraktiv erachtet. Bei einem Museumsbesuch wird sie auf einen anziehenden, braungebrannten Mann aufmerksam. Es kommt zu einem verwirrenden Spiel zwischen den beiden, sie versucht ihn mit einem von ihr fallen gelassenen Handschuh zu ködern, während seine anfängliche Ablehnung stetig schwächer wird, doch immer noch ist die vermeintlich brave Hausfrau verunsichert, ob ein Ehebruch wirklich eine Option darstellt. Schließlich steigen die Liebeshungrigen gemeinsam in ein Taxi. Doch Kate wird längst von einer ominösen Blondine beobachtet.
Auf die zitatreiche Krankenhaus-Szenenfolge in seiner Exploitation-Collage Kill Bill Vol. 1 angesprochen, äußerte Quentin Tarantino die Vorfreude, die er als Teenager angesichts des nahenden Kinostarts von „Dressed To Kill“ empfand. Tagelang konnte der junge Filmbesessene nicht schlafen, malte sich angesichts des Kinotrailers und der Plakatkampagne seinen eigenen Film im Kopf aus. Generell ist neben Sergio Leone eben genau Brian de Palma eines der klarsten Vorbilder Tarantinos. Allen drei gemein ist die Vorliebe für das postmoderne Spiel mit Genreversatzstücken, die Zurschaustellung der eigenen Artifizialität. Das lässt sie leicht angreifbar für Vorwürfe der Inhaltslosigkeit und Manieriertheit werden, so wird Brian de Palma wohl bis in alle Ewigkeit vorgeworfen werden, er sei lediglich ein gefühlskalter Hitchcock-Epigone. Wo dieser noch damit zu kämpfen hatte, dass ein Stück Papier, das in einer Kloschlüssel verschwindet, von den Zensurbehörden als anstößig empfunden wurde, lässt de Palma seinen Film mit einer Szene beginnen, die einem Softporno entstammen könnte. Auch wenn diese Szene, wie so manch andere auch, zumindest für die R-rated-Version, Federn lassen musste, wäre diese Explizität einige Jahre zuvor noch undenkbar gewesen.
Es geht jedoch um wesentlich mehr als reine Provokation. „Blow Out“ (1981) beispielsweise geht ähnliche Wege und beginnt wie ein drittklassiger Slasher mit einer Plansequenz aus der Sicht des Killers, der lüstern seine weiblichen Opfer observiert. Am Ende entpuppt sich alles als Film-im-Film. Man hat es hier mit einem Regisseur zu tun, der seine gestalterische Macht absolut genießt und voll ausspielt. Angie Dickinson glänzt zwar mit einer nuancierten Darstellung einer vereinsamten Schönheit und Michael Caine hat sichtliche Freude an seiner Rolle, doch die Figuren sind fast nur Staffage, wohl arrangierte Bestandteile von brillant komponierten Bildern, für die manch anderer Regisseur gar einen faustischen Pakt einginge – wie jenes eines blitzenden Rasiermessers, während das Antlitz des Mörders in der Unschärfe verschwimmt. Die großzügige Fläche des Breitwandformats bis in den letzten Winkel ausnutzend, entsteht ein regelrechter Taumel. Ausgedehnte Zeitlupe, Splitscreen, minutiös ausgetüftelte Kamerafahrten, gefiltertes Licht, das besonders bei den zahlreichen Nahaufnahmen einen traumähnlichen Eindruck bewirkt – dies ist ein Film, der seine Form feiert und sie ausdrücklich in den Vordergrund treten lässt.
Kurz nachdem Kate die Stätte ihres One-Night-Stands verlassen hat, begegnet ihr eine Mutter mit ihrer Tochter. Gegenüber dem jungen Mädchen kann sie ihre Scham nicht verbergen, folglich starrt es diese erwachsene Frau sekundenlang an. Blicke sind das eigentliche Thema dieses Films. Im Museum führt der Anblick des attraktiven jungen Mannes indirekt zu Kates Verderben, während erst die Tatsache, dass der schizophrene Killer sie begehrt, zu eben jenem führt. De Palma wiederum präsentiert das Geschehen mit einem durch und durch männlichen Blick. Mit fetischistischer Inbrunst fängt seine Kamera die Welt um sie herum ein. Selten wurde dem Kinopublikum in einer derartigen Offenheit der Spiegel vorgehalten. Folglich bedient de Palma mit einem deutlichen Augenzwinkern genau niedere Gelüste, vor allem den Voyeurismus, zu dem er sich ganz offen bekennt. Sex und Gewalt bilden zwei wesentliche Stützen seines B-Movie-Universums und sie liegen auch nie sonderlich weit auseinander.
Der allseits bekannte Mord im Fahrstuhl veranschaulicht dies sehr drastisch. Nicht nur, dass der Mörder mit einem Rasiermesser in sein Opfer eindringt, er zerschneidet ihr das Gesicht sogar auf eine Weise, die fast, so pervers es auch ist, zärtlich anmutet. Es ist fast ein umgekehrter Akt des Schminkens, anstelle der Verschönerung erfolgt die Zerstörung. Wer sich entschließt, einen amerikanischen Mainstream-Film mit einem derartig programmatischen Titel zu sehen, wird in etwa erahnen, was ihn erwartet, allerdings wird das Gezeigte immer noch vielen zu weit gehen. Dabei ist dem Tanz der Verführung im Museum, eines Spiels der Ermunterung und kurz darauf erfolgender Ernüchterung, kongenial von der schwärmerischen Musik Pino Donaggios untermalt, besondere Bedeutung beizumessen. Er lässt sich gewissermaßen wie die generelle Beziehung zwischen de Palma und seinem Publikum lesen. Wie jeder Künstler möchte er gemocht, ja geliebt werden, doch immer wieder stößt er es vor den Kopf. Auf eine geradezu lyrisch anmutende Szenerie folgt ein brutaler Mord, mit einem zwiespältigen erzählerischen Kniff und diversen Unstimmigkeiten erregt er eine gewisse Ärgernis und dennoch vergibt man ihm immer wieder, nähert sich an, um eventuell wieder enttäuscht zu werden, von purer Neugier angetrieben, was dieser nun wieder aushecken mag.
„Dressed To Kill“ ist „Psycho“ auf Amphetaminen, er nimmt dessen Grundidee und kreiert daraus ein Pulp-Glanzstück, lustvoll oversexed, überdreht, geschmacklos, voller Logikbrüche und Ungereimtheiten. So konzentriert sich de Palma gänzlich auf seine Stärken, eine ganz spezielle filmische Welt zu kreieren und den Zuschauer zunächst in Sicherheit zu wiegen, um ihm dann mit brutaler Härte dessen eigene Unterlegenheit zu demonstrieren. Ihm gelingen unterdessen, wie kaum einem Zweiten, Einstellungen, die sich ob ihrer formalen Brillanz dauerhaft einprägen. Unerschrockene Filmkenner können angesichts der zahlreichen Zitate und technischen Brillanz in Verzückung geraten, gegenüber Gewaltdarstellungen empfindsame und mit dem Genre nicht sonderlich vertraute Menschen werden eher abgeschreckt sein.