Gegensätze ziehen sich an
Von Christoph PetersenDer Titel „Elemental“ ist Programm, denn der Start des 27. Pixar-Langfilms ist tatsächlich absolut elementar für die (Kino-)Zukunft des Studios: Nachdem „Onward: Keine halben Sachen“ wegen des ersten Corona-Lockdowns nur wenige Tage auf der großen Leinwand zu sehen war, landeten „Soul“, „Luca“ und „Rot“ pandemiebedingt direkt beim Streaming-Service Disney+ – und bei dem vor allem technisch herausragenden Spin-off „Lightyear“ haben viele Fans der „Toy Story“-Saga einfach nicht das bekommen, was sie an ihrem Lieblings-Spielzeug-Astronauten Buzz besonders schätzen. Aber jetzt geht es zurück zu den Wurzeln: „Elemental“ ist endlich wieder ein durch und durch prototypischer Pixar-Film (angereichert mit ein paar geliehenen Story-Elementen aus „Zoomania“, dem Tier-Noir-Superhit vom Schwesternstudio Disney Animation).
Gehen die Macher*innen mit „Elemental“ also auf Nummer sicher? Vielleicht. Aber es funktioniert! „Arlo & Spot“-Regisseur Peter Sohn erzählt hier eine sehr persönliche Einwanderungsgeschichte, die streckenweise wie ein hochtouriger Mix aus „Alles steht Kopf“ und „Rat mal, wer zum Essen kommt“ anmutet. Angesiedelt in einer abwechslungsreich-farbenfrohen Metropole ist jede einzelne Szene bis obenhin mit kreativen kleinen Einfällen vollgestopft. Veredelt durch die fantastischen Animationen gerade der titelgebenden Elemente sowie einen weiteren magischen Score von Thomas Newman, würde man sich in den durchweg kurzweiligen 102 Minuten nur ab und an wünschen, Peter Sohn würde bei seinem halsbrecherischen Tempo auch mal ein wenig vom Gas gehen, um den Gefühlen noch mehr Raum zum Atmen zu geben.
Ein Feuermädchen und ein Wasserjunge bei einem Date – sowas sieht man selbst in Elemental City nicht alle Tage!
Das Feuermädchen Ember Lumen (Stimme im Original: Leah Lewis / deutsche Fassung: Emilia Schüle), das buchstäblich in die Luft geht, wenn sie sich zu sehr ärgert, ist noch als Baby mit ihren Eltern Bernie (Ronnie Del Carmen) und Cinder (Shila Ommi) nach Element City gekommen. Damals lebten in der Mega-Metropole vor allem Bewohner*innen aus Wasser, Luft und Erde – nur für Einwanderer und Einwanderinnen aus Feuer war in der Großstadt noch nichts ausgelegt, weshalb Embers Familie im Alltag auch immer wieder harsche Ablehnung entgegenschlug. In einer alten Ruine eröffneten die Eltern schließlich einen kleinen Lebensmittelladen, um den herum sich inzwischen ein florierendes Feuer-Viertel angesiedelt hat. Das aufopferungsvoll aufgebaute Geschäft ist speziell für Vater Bernie sein größter Stolz …
… und nun steht es vor dem Aus! Ember hat mit einer ihrer Wut-Explosionen im Keller einen Rohrbruch verursacht, der nicht nur – für die Feuer-Familie natürlich hochgefährliches – Wasser in den Raum spült, sondern dazu auch gleich noch den schnell zu Tränenschwellen neigenden Wasserjungen Wade Ripple (Mamoudou Athie / Jannis Niewöhner). Das größte Problem ist aber: Der Hereingeschwemmte arbeitet für die städtische Bauaufsicht und verpasst Ember erst mal eine Reihe von Strafzetteln, die eine komplette Schließung des Geschäfts nach sich ziehen würden. Allerdings hat Wade eben auch ein besonders gutes Herz: Und so hilft er Ember dabei, doch noch wieder alles in Ordnung zu bringen, wobei sich Feuer und Wasser irgendwann nicht mehr abstoßen, sondern im Gegenteil ganz, ganz nahe kommen…
Im Rathaus versuchen Ember und Wade, die Schließung des kleinen Feuer-Ladens doch noch abzuwenden…
Im Gegensatz zu den fleisch- und pflanzenfressenden Tierarten in Zoomania leben in den verschiedenen Stadtteilen von Element City Bewohner*innen, die nicht nur sprichwörtlich, sondern ganz buchstäblich wie Feuer und Wasser sind! Die immer kreativen, oft auch sehr lustigen Einfälle, was genau es denn eigentlich bedeutet, wenn sich die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde eine Metropole teilen, sind schier endlos – und betreffen jedes erdenkliche Gebiet: Transport, Nahrung, Sport, Einrichtung und sogar das Liebesleben (ja, „Elemental“ bietet tatsächlich zwei, drei zwar harmlose, aber durchaus amüsante Sex-Jokes)! Da hat neben den Drehbuchautor*innen John Hoberg, Kat Likkel und Brenda Hsueh sicherlich das gesamte Studio tatkräftig mit gebrainstormt, um in wirklich jeder Szene mindestens eine Handvoll cleverer kleiner Der-Alltag-der-verschiedenen-Elemente-Details im Hintergrund unterzubringen.
Noch auffälliger als die Ähnlichkeit zu Zoomania ist allerdings die zu New York – und diese Nähe zu der Einwanderungsmetropole schlechthin ist auch absolut beabsichtigt: Vom ablehnenden Gegenwind zu Beginn über den harten Aufbau des eigenen Geschäfts bis hin zum Problem der Kinder, dass der Stolz der Eltern auf das Geleistete so stark ist, dass sie selbst kaum noch einen anderen eigenen Weg (Ember würde viel lieber Glasbläserin als Ladenbesitzerin werden) einschlagen können – all das erinnert auf den Punkt an viele Geschichten von Eingewanderten der ersten und zweiten Generation. Zugleich ist es auch ein Stück weit die persönliche Geschichte von Regisseur Peter Sohn, weshalb es auch gar nicht weiter verwundert, dass gerade diese Elemente der Story so präzise getroffen sind. Das erinnert fast ein wenig an den letztjährigen Oscar-Abräumer „Everything Everywhere All At Once“, in dem eine vergleichbare Einwanderungs-Erzählung das emotionale Fundament für einen völlig abgefahrenen Multiversums-Trip bildet.
Im Sportstadium pusten die Spieler*innen in luftiger Höhe um die Wette!
Ember und Wade bestehen jedoch nicht nur aus verschiedenen Elementen, sie stammen auch aus verschiedenen Schichten: Ember würde zwar gerne (Glasbläser-)Kunst studieren, fühlt sich aber ihrer Arbeiterfamilie verpflichtet, während Wades Verwandtschaft wohlhabend, intellektuell und kunstaffin ist. Auch das sorgt für eine ganze Reihe treffender Pointen und klingt nach dem perfekten Stoff für eine ganz große Liebesgeschichte, aber „Elemental“ zischt die meiste Zeit mit einem solchen Affenzahn durch die Dates der beiden frisch Verliebten, dass der ganz große romantische Paukenschlag ausbleibt – wenn auch mit einer Ausnahme: Die Rede, in der Wade all die 1.000 Gründe aufzählt, warum die beiden nicht zusammenkommen sollten, aber eben auch den einen, der als einziger wirklich zählt, trifft wirklich voll ins Schwarze (sprich: ins Herz von Ember und dem Publikum).
Immer wieder zum Heulen schön sind hingegen eine ganze Reihe von Animationen – vor allem, wenn sie mit Thomas Newsmans einmal mehr grandiosem Score unterlegt sind (der Komponist war schon 15 Mal erfolglos für einen Oscar nominiert, für „Elemental“ könnte es jetzt im 16. Anlauf endlich klappen): Gerade die Feuer-Animationen sehen im selben Moment hochdynamisch und wie aus einem Bilderbuch aus – da sieht man dann einfach auch sofort, warum Pixar-Filme in der Regel etwa doppelt so viel Budget wie die Produktionen der Konkurrenz verschlingen. So entstehen dann halt auch solch magische Momente wie die schon im Trailer angedeutete Szene, wenn die frisch verknallte Ember über verschiedenfarbige Mineralien hüpft und sich ihr Feuer jeweils den Farben der Kristalle anpasst…
Fazit: Endlich wieder ein prototypischer Pixar-Film für alle, die aus dem immer wieder bahnbrechenden Katalog des Studios vor allem Filme wie „Alles steht Kopf“ besonders schätzen (nur dass der abermals grandios animierte „Elemental“ mit seinem konstant hohen Tempo noch stärker auf ein jüngeres Kinopublikum abzielt).
Wir haben „Elemental“ beim Cannes Filmfestival 2023 gesehen, wo er als Abschlussfilm im offiziellen Programm gezeigt wurde.