So überbrückt man die Wartezeit bis "Cobra Kai" am besten
Von Lutz GranertEhemalige Kampfsport-Champions, die sich gern an die guten alten Zeiten erinnern und es noch einmal wissen wollen: Die Prämisse der Netflix-Erfolgsserie „Cobra Kai“ ist simpel, aber effektiv. Schon Jahre vor dem „Karate Kid“-Sequel hatte allerdings der Filmemacher Quoc Bao Tran, der in seiner Jugend ebenfalls Kampfsport betrieb, eine ganz ähnliche Idee und verfasste bereits 2011 ein erstes Treatment für sein späteres Langfilmdebüt „The Paper Tigers“. Doch das Projekt fand zunächst keinen großen Anklang in Hollywood …
… und das lag vor allem daran, dass Tran auf einem Main-Cast mit einem Afro-Amerikaner und zwei Asia-Amerikanern bestand (und auf keinen Fall nur aus finanziellen Überlegungen Whitewashing betreiben wollte). 2018 startete Tran dann im Fahrwasser des „Cobra Kai“-Hypes mit Konzeptvideos aus den Jugendjahren der in die Jahre gekommenen Protagonisten von „The Paper Tigers“ eine Kickstarter-Kampagne, die zusammen mit einer Spende eines ehemaligen Bruce-Lee-Schülers endlich die Finanzierung der launigen Martial-Arts-Komödie sicherte. Diese zieht nun etliche Genre-Klischees auf ebenso treffende wie charmante Weise durch den Kakao – was ausreichend davon ablenkt, dass die Story tatsächlich papierdünn geraten ist.
Die drei titelgebenden (Papier-)Tiger begeben sich auf die Suche nach dem Mörder ihres toten Meisters.
25 Jahre sind vergangen, seitdem die Jugendfreunde Danny „Eight Fingers“ (Alain Uy), Hing (Ron Yuan) und Jim (Mykel Shannon Jenkins) ihre letzten Erfolge als Kung-Fu-Champions feierten – und sich ihre Lebenswege im Streit trennten. Danny ringt inzwischen mit seinem zeitraubenden Job bei einer Versicherung und der Toupet tragende Hing hat mit einem lädierten Knie sowie deutlichem Übergewicht zu kämpfen.
Nur Jim betreibt noch immer Kampfsport, aber seine damals Kung-Fu-Lektionen hat er trotzdem weitestgehend verlernt. Als der ehemalige Meister der „Three Tigers“ durch eine ganz spezielle Kampftechnik ums Leben kommt, raufen sich die ehemaligen Champions wieder zusammen und begeben sich gemeinsam auf die Suche nach dem heimtückischen Mörder...
Selten wurde auf der Retrowelle so selbstreferenziell und unterhaltsam geschwommen wie in „Cobrai Kai“ – wobei die kultige Erfolgsserie vor allem von dem Clou lebt, dass weite Teile der Originalbesetzung der „Karate Kid“-Filme hier ihre Rollen wieder übernehmen, nur eben entsprechend (sehr viel) älter sind. So unter anderem auch Yuji Okumoto, der in „Karate Kid II“ den Bösewicht Chozen gibt – und in „The Paper Tigers“ nun in einer augenzwinkernden Nebenrolle als Restaurantbesitzer, der sich regelrecht darum prügelt, die drei titelgebenden Helden bewirten zu dürfen, zu sehen ist. Übrigens längst nicht die einzige augenzwinkernde Referenz, die Quoc Bao Tran – zugleich Regisseur, Drehbuchautor und Produzent – in „The Paper Tigers“ untergebracht hat.
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Ein weiterer Coup ist auch die Besetzung von Matthew Page, der bereits in der klamaukigen Webserie „Enter The Dojo“ einen überkandidelten Kung-Fu-Lehrer mit lächerlichem Schnurrbart verkörpert hat. In „The Paper Tigers“ gibt er ebenso großmäulig wie tumb den verfeindeten Kung-Fu-Meister Carter, der vor einem Kampf gegen das Trio nicht nur eine regelrechte Posing-Show abliefert, sondern auch bierernst kryptische chinesische Lebensweisheiten zum Besten gibt. Während die wiederkehrenden Dicken-Witze arg plump ausfallen und die ständigen Konditionsproblemen der gealterten Kämpfer sich mit der Zeit humoristisch erschöpfen, ist ein anderer Running Gag tatsächlich urkomisch: So gelingt Hing mit einer Fingerübung der chinesischen Medizin immer wieder eine wahrhaft martialische „Wiederbelebung“ besiegter Kämpferkörper.
„Enter The Dojo“-Star Matthew Page hat offensichtlich kein Problem damit, auch mal über sich selbst zu lachen.
Dass „The Paper Tigers“ trotz der geringen Zahl an Martial-Arts-Kampfszenen, die zwar etwas schnell geschnitten, aber dennoch hervorragend choreografiert sind, nie langweilt, liegt vor allem an den drei sympathischen Hauptdarstellern, zwischen denen die Chemie einfach stimmt: Ron Yuan („Mulan“), der sich für seine Rolle satte 68 Pfund anfraß, Mykel Shannon Jenkins („Undisputed III: Redemption“) und Serien-Dartsteller Alain Uy („Helstrom“) werfen sich in ihren gemeinsamen Szenen – und besonders beim Sichten alter VHS-Kassetten aus ihrer Jugend – immer wieder frotzelnde Dialoge an den Kopf.
Bei dem rustikal-nostalgischen Männerabend-Charme wirkt ein um Tiefgang bemühter, aber reißbrettartig abgehandelter Nebenplot um Dannys Sohn, der von seinem vielbeschäftigen Vater immer wieder vernachlässigt wird und sich in der Schule gegen Rüpel zur Wehr setzen muss, allerdings doch eher unnötig.
Fazit: Was den drei in die Jahre gekommenen Tigern an Durchschlagskraft fehlt, machen sie mit charmanter Schlagfertigkeit wieder wett. „The Paper Tigers“ bietet zwar wenige, aber dafür überzeugend inszenierte Martial Arts-Szenen – und dazu eine Menge treffsichere Gags sowie drei supersympathische Hauptdarsteller, mit denen man einfach gerne einen Videoabend lang abhängt.
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