Ein rührseliges Abschiebe-Drama
Von Teresa VenaDer seit einigen Jahren auch als Regisseur und Autor tätige Justin Chon hat sich für seinen neuen Film ein komplexes Thema ausgesucht, das nur im ersten Moment wie eine eher akademische juristische Problemstellung anmutet: Es ist nämlich nicht automatisch so, dass Kinder, die zwar nicht in den USA geboren wurden, aber juristisch sauber von amerikanischen Eltern adoptiert werden, dann auch die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten. So kann es passieren, dass sie im Erwachsenenalter plötzlich als illegale Einwander*innen gelten – und so im schlimmsten Fall in ihr vermeintliches Heimatland abgeschoben werden.
Zwar gibt es seit dem Jahr 2000 ein Gesetz, dass die Einbürgerung von adoptierten Kindern erleichtert, aber trotzdem gibt es Tausende Betroffene, die selbst Jahrzehnte nach ihrer Adoption plötzlich das Land wieder verlassen müssen. Von so einem Fall handelt nun auch das Melodrama „Blue Bayou, das sich der Thematik allerdings alles andere als trocken-juristisch, sondern hochgradig sentimental annähert. So gelingt Justin Chon zwar eine wichtige, in vielerlei Hinsicht schmerzhafte Betrachtungen über existentielle Themen wie Heimat, Herkunft und Identität, mit der er auch definitiv den Nerv der Zeit trifft. Zugleich schießt er mit seiner plakativen Art aber auch über das Ziel hinaus, was seine eigentlich so unterstützenswerte Botschaft plötzlich auf ärgerliche Weise manipulativ erscheinen lässt.
Die Familie von Antonio LeBlanc (Justin Chon) wird durch eine absurde Gesetzeslücke bedroht.
Antonio LeBlanc (Justin Chon) wurde in Korea geboren und als Kleinkind von einem US-amerikanischen Paar adoptiert. Mittlerweile hat er mit seiner schwangeren Ehefrau Kathy (Alicia Vikander) und deren Tochter aus erster Ehe (Sydney Kowalske) selbst eine kleine Familie. Die drei sind auch durchaus glücklich, selbst wenn Antonio nur wenig verdient. Als Mechaniker stellt man ihn wegen seiner Vergangenheit als Motorraddieb nicht ein – und als Tätowierer hat er nur wenige Kund*innen.
Als Antonio in einen Streit mit Kathys Ex-Mann (Mark O'Brien), einem Polizisten, gerät, wird er verhaftet und findet sich plötzlich bei der Einwanderungsbehörde wieder. Sein Status als Bürger der USA gilt nämlich als ungeklärt. Da er nicht in den USA geboren wurde und sich seine Adoptiveltern nicht um eine Einbürgerung bemüht haben, gilt er als Ausländer, dem nun die Abschiebung nach Korea droht. Mit Hilfe des Anwalts Barry (Vondie Curtis-Hall), den sich das Ehepaar aber eigentlich gar nicht leisten kann, versuchen sie, gegen das Urteil anzugehen. Doch dafür muss Antonio einerseits Geld beschaffen und andererseits über seinen Schatten springen und seine entfremdete Adoptivmutter um Hilfe bitten...
Justin Chon, der auch selbst die Hauptrolle spielt, zieht wirklich alle Register, um die Tränendrüsen seines Publikums mit seinem Melodrama zu beackern. Dazu gehört etwa eine auffällig-subjektive Führung der Kamera, die an den Figuren wie eine zweite Haut klebt, dabei sehr nahe an den angespannten Gesichtern bleibt und die weit aufgerissenen Augen der Protagonist*innen immer wieder in den Fokus nimmt. Es gibt kaum eine Einstellung, in der Chon nicht zu sehen ist. Der Blick der Kamera streift oft am tätowierten Körper der Hauptfigur entlang, fängt immer wieder die Härchen am Arm sowie den dunklen, etwas lichten Schnurrbart ein.
Der Bart ist genauso wie die Tattoos, die ausgeprägten Muskeln und die Motorradfahrermontur Teil einer aufgesetzten Männlichkeit, die Justin Chon für seinen Protagonisten entwickelt hat. Das Ergebnis ist nur leider eine insgesamt doch recht oberflächliche Charakterzeichnung, bei der auf eher plakative statt überzeugende Weise der berühmte Kontrast zwischen der harten Schale und dem weichen Kern hergestellt wird. Antonio ist ein nervenstarker, abgebrühter Motorraddieb – und im selben Moment eben auch liebender, sich aufopfernder Ehemann und Vater.
Anwalts Barry (Vondie Curtis-Hall) tut alles, um Antonio doch noch vor der Abschiebung zu bewahren.
Die Palette an Gefühlen, die sich Chon für die Darstellung seines Protagonisten erlaubt, ist betont reduziert. Nur in einigen wenigen Szenen, in denen er mit seiner Ziehtochter spielt, blitzt ab und an ein Lächeln in seinem Gesicht auf. Ansonsten herrscht allerdings eine konstante Trauermiene vor, die mit jedem Muskel von Enttäuschung, Verletzung und Sehnsucht erzählt. Auf die Dauer ist das jedoch eher ermüdend, auch weil sich der Film (zu viel) lässt mit der Entfaltung seiner Geschichte. Da gibt es doch spürbare Längen.
Die fahlen, gedeckten Farben evozieren darüber hinaus ebenfalls eine verhaltene, depressive Stimmung, die zudem durch einen jazzigen Score untermauert wird. Szene um Szene türmt sich die bedeutungsschwangere Atmosphäre immer weiter auf, bis dann im großen Finale schließlich alle Dämme brechen. Dem Film fehlt es an einem weniger dramatischen Gegengewicht, das man etwa in der sich zögerlich entwickelnden Freundschaft zwischen Antonio und Parker (Linh Dan Pham), einer krebskranken Vietnamesin, die mit ihren Vater als Kind nach Amerika geflüchtet ist und sich in Antonios Studio ein Tattoo stechen lässt, hätte finden können.
Aber auch die Rolle der sterbenskranken Frau fügt „Blue Bayou“ nur noch eine weitere Dimension an Tragik und Trauer hinzu. Ähnliches gilt für Antonios ebenso duldsame wie willensstarke Ehefrau. Alicia Vikander (Oscar für „The Danish Girl“) steuert dabei eine der besonders kitschigen Szenen bei, wenn Kathy auf einer Feier zum Mikrofon greift und mit feuchten Augen und belegter Stimme eine eigene Version des Liedes singt, das dem Film als Titel dient.
Selbst den hartgesottensten Zuschauer*innen wird hier wohl die eine oder andere Träne über die Wange kullern - dafür sorgt neben der Zuspitzung der Geschichte auch die kalkulierte Inszenierung samt anschwellendem Score und weichgezeichneten Bildern. Aber angesichts des Themas, das ohnehin kaum jemanden unberührt lassen wird, wäre das alles wahrscheinlich gar nicht nötig – und damit weniger mal wieder mehr – gewesen.
Fazit: Justin Chon trägt in seinem Melodrama deutlich dicker auf, als es nötig gewesen wäre. Das geht durchaus zu Herzen, allerdings auf eine arg kitschige Weise.
Wir haben „Blue Bayou“ im Rahmen des Zurich Film Festival gesehen.