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    Tatort: National feminin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Tatort: National feminin

    Weiblich, jung, rechts …

    Von Lars-Christian Daniels

    Egal ob im Kölner „Tatort: Wacht am Rhein“, im Hamburger „Tatort: Dunkle Zeit“ oder im Freiburger „Tatort: Sonnenwende“: Das Gebaren besorgter Bürger, rechtspopulistischer Politiker oder völkisch-konservativer Bauern hat spätestens seit der Flüchtlingsbewegung von 2015 festen Einzug in die Drehbücher der deutschen Sonntagskrimis gehalten. Unabhängig vom Unterhaltungswert oder der Botschaft der Filme ist dabei gewiss: In den E-Mail-Postfächern der ARD, vor allem aber in den sozialen Medien und Kommentarspalten, herrscht regelmäßig Hochbetrieb, denn dort trifft die wütende Danke-Merkel-Fraktion mit ihren tausenden Trollen und Bots auf jene, die online den Mund aufmachen und das braune Gedankengut im vermeintlich rechtsfreien Raum nicht unkommentiert stehen lassen.

    Auch nach der TV-Premiere von Franziska BuchsTatort: National feminin“ wird sich das wieder beobachten lassen: Der federführende NDR wagt einmal mehr den Ausflug in die fremdenfeindliche Szene und lässt diesmal zwei Kommissarinnen auf Rechtsfeministinnen und ihre Mitstreiter los. Das Bemühen der Filmemacher, den heiklen Stoff auf den reichweitenstarken Sendeplatz zu hieven, dabei klare Kante gegen Rechts zu zeigen und das Publikum zugleich für das Thema Femizid zu sensibilisieren, ist aller Ehren wert – in der Wahl ihrer Mittel schießen sie bisweilen aber über ihr Ziel hinaus. Und während hier und da Klischees bedient werden, scheinen sie anderswo auffallend bemüht darum, genau diesen Eindruck zu vermeiden.

    Die Ermordete Marie Jäger (Emilia Schüle) hatte sich zuvor mit einem Videoblog zur prominenten Sprecherin der jungen Rechten gemausert...

    Die Göttinger Hauptkommissarinnen Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) werden in den Stadtwald gerufen: Eine Joggerin hat die Leiche der jungen Marie Jäger (Emilia Schüle) gefunden. Bis zu ihrem Tod hatte Marie den Videoblog „National feminin“ betrieben und sich als Aushängeschild der „Jungen Bewegung“ zu einem Star der rechten Szene gemausert. Wurde sie deshalb ermordet? Ihre Mitbewohner Felix Raue (Samuel Schneider), Pauline Gebhardt (Stephanie Amarell) und Sven Ulbrich (Leonard Proxauf) sind Brüder und Schwestern im Geiste und berichten von einem Stalker, der Marie im Visier hatte. In einem engen Verhältnis stand die Ermordete auch zur Jura-Professorin Sophie Behrens (Jenny Schily), der sie assistiert und die sie für ihre politischen Ansichten bewundert hat. Behrens wiederum steht kurz davor, als Richterin für das Bundesverfassungsgericht berufen zu werden…

    Drehbuchautor Florian Oeller, der zuletzt mit seinem Skript zum Polit-Doku-Drama „Die Getriebenen“ von sich reden machte, ist in seinem Krimi erkennbar daran gelegen, sich kritisch mit dem Feminismus auseinanderzusetzen und die rechte Szene von heute in ihrer ganzen Bandbreite abzubilden. Tummelten sich 2004 im „Tatort: Odins Rache“, in dem sich der kurzhaarige Kölner Kult-Kommissar Freddy Schenk in einer Art Selbstversuch die Bomberjacke überstreifte, noch vorwiegend Nazis, die gleich als solche zu erkennen waren, haben sich die Zeiten längst geändert. Rechtes Gedankengut zieht sich durch alle Teile der Gesellschaft – und das bilden die Filmemacher auch ab. Am deutlichsten offenbart sich dies an der besten, weil vielschichtigsten Figur: Die mit einer Frau verheiratete Juristin Behrens stellt provokante Fragen und hält Lindholm den Spiegel vor – wirkt dabei aber keineswegs so arrogant, wie Rechtspopulisten sonst so häufig im „Tatort“ dargestellt werden.

    Besorgte Patrioten

    Im Verhörzimmer hocken dann zwar wieder Ekelpakete, aber auch keine glatzköpfigen Vollhonks, denen allein beim Anblick einer dunkelhäutigen Kommissarin der Kamm schwillt: Es sind vielmehr drei junge Studierende, die sich selbst nicht als Rassisten, sondern als Patrioten sehen und ihr Land vor der vermeintlichen Überfremdung durch Zuwanderer schützen wollen. Den intelligenten Jurastudenten Felix lockt Schmitz erst spät aus der Reserve, die schwangere Kommunikationsstudentin Pauline legt ihre Schüchternheit bei Guerilla-Aktionen ab und der aufbrausende BWLer Sven trägt zum strengen Seitenscheitel stolz ein T-Shirt mit dem Aufdruck #REMIGRATION. Er entspricht noch am ehesten dem üblichen Stereotyp des einfältigen Rechten, dem das eigene Denken schwerfällt und der daher die tumben Parolen Anderer nachplappert.

    Ansonsten geben sich die Filmemacher praktisch bei jeder Gelegenheit betont tolerant und weltoffen: Im Präsidium werden die zwei emanzipierten Powerfrauen Lindholm und Schmitz von Kollegen unterstützt, die auf Nachnamen wie Ciaballa, Nguyen und Elloglu hören – in Göttingen wird die moderne und bunte Berufswelt offenbar nicht nur gelobt, sondern auch wirklich gelebt. Gleichzeitig flirtet der glücklich mit Schmitz verheiratete Rechtsmediziner Nick (Daniel Donskoy) aber unverhohlen mit Lindholm, der attraktiven blonden Alleinerziehenden, die Männer zum Erstaunen ihrer Kollegin abfällig als „aufrecht gehende Säugetiere“ tituliert, ihren fürs Berufliche unpraktischen Sohn David (Oskar Netzel) praktisch rund um die Uhr bei ihrer Mutter parkt und mit neuem Parfüm (!) um die Aufmerksamkeit des smarten Forensikers heischt. Ernsthaft?

    Ein Dreiecks-Drama wie aus einer Vorabend-Seifenoper.

    Solche Szenen auf Seifenopernniveau wirken wie aus der Zeit gefallen und konterkarieren die zweifellos gut gemeinte, aber überdeutlich vorgetragene Botschaft des Films. Schließlich bricht Lindholm ansonsten pausenlos Lanzen für die Emanzipation der Frauen, echauffiert sich über Argumentationen auf Thilo-Sarrazin-Niveau und hat darüber hinaus auf Knopfdruck Statistiken parat, wie viele Frauen pro Tag von ihren Männern ermordet werden. Selbst ihrer deutsch-afrikanischen Kollegin werden diese Brandreden irgendwann zu viel: „Hey, ich mach das hier auch für dich“, ereifert sich Lindholm, doch Schmitz gibt trocken zurück: „Ich habe dich nicht darum gebeten.“ Deutlich besser gelungen ist eine Sequenz, in der die ansonsten stets kühle und energische Schmitz offenen Rassismus souverän erträgt und im nächsten Augenblick auf der Damentoilette einen (im Göttinger „Tatort“ eher seltenen) Einblick in ihre Gefühlswelt gibt.

    Anderswo tappen die Filmemacher beim Bemühen um Diversität und zeitgemäße Figuren dann doch in die Klischeefalle: Die regelmäßig eingeblendeten Tweets, in denen mit entsprechenden Hashtags Stimmung gegen Ausländer, die Demokratie und den Rechtsstaat gemacht wird, stammen ausschließlich von Accounts, die durch Namen wie „freidrehen88“ eindeutig der rechten Szene zuzuordnen sind. So einfach ist es aber leider nicht immer. Über die Motive des linksorientierten vermeintlichen Stalkers Tom Rebeck (Jascha Baum) hingegen erfahren wir wenig, sein Handeln wirkt eher wirr als schlüssig. Und dann ist da noch das Tatmotiv: Während der Kriminalfall von der ausufernden Debatte um Feminismus, Femizid und Überfremdung völlig erdrückt wird, steht es am Ende – wie so oft im „Tatort“ – doch wieder ziemlich losgelöst für sich.

    Fazit: Gut gemeint, aber weniger gut gemacht – der „Tatort: National feminin“ vermag seine Botschaft nur stellenweise mit Fingerspitzengefühl und in angemessener Dosis zu transportieren.

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