Der erste "Rocky"-Film ohne Rocky – kann das gutgehen?
Von Christoph Petersen1979 ist Sylvester Stallone für „Rocky II“ nicht nur erneut mit Apollo Creed in den Ring gestiegen, sondern hat nach gleich zwei persönlichen Oscarnominierungen für „Rocky“ auch noch selbst auf dem Regiestuhl Platz genommen. Bei der kaum minder erfolgreichen Spin-off-Reihe „Creed“ hat es nun immerhin bis Teil 3 gedauert, bis Michael B. Jordan den Job des Hauptverantwortlichen übernommen hat: „Creed III: Rocky's Legacy“ ist ein technisch wie stilistisch wirklich beeindruckendes Regiedebüt, das gerade in den Boxszenen nicht nur mit einer unmittelbaren Körperlichkeit und Dynamik, sondern zudem auch noch mit einigen unerwarteten inszenatorischen Einfällen punktet.
Zugleich hat „Creed III“ aber mit einem gewissen Motivationsproblem zu kämpfen. Je mehr Rocky in die Jahre kam, desto schwieriger wurde es, einen zumindest halbwegs glaubwürdigen Grund zu finden, warum er noch einmal in den Ring steigen muss (und warum er dort von den viel jüngeren Champs nicht einfach gnadenlos verdroschen wird). Aber wenn dann die Rocky-Fanfare erklang und Stallone auf gefrorene Schweinehälften eindrosch, dann war klar – dieser Mann kann einfach nicht anders! In „Creed III“ spürt man diesen unbedingten Willen hingegen nur noch beim grandiosen neuen Widersacher, während Adonis Creed selbst dann noch satt wirkt, wenn nach zwei Dritteln endlich die obligatorische Trainingsmontage einsetzt…
Adonis Creed (Michael B. Jordan) hat alles erreicht in seiner Karriere – und es ist die eine Schwäche von „Creed 3“, dass nicht so ganz klar wird, warum er jetzt unbedingt doch noch mal in den Ring steigen muss.
Adonis Creed (Michael B. Jordan) hat seine aktive Karriere als Profiboxer beendet. Statt selbst in den Ring zu steigen, betreibt der Ehemann und Vater inzwischen ein eigenes Boxcenter– und promotet zudem die Kämpfe des aktuellen Champions Felix Chavez (Jose Benavidez), der als nächstes gegen niemand Geringeren als Viktor Drago (Florian Munteanu) in einem Duell um den Weltmeistertitel antreten soll. Es geht für alle Seiten um viele, viele Millionen. Währenddessen taucht Adonis‘ Jugendfreund Damian (Jonathan Majors) nach fast zwei Jahrzehnten im Knast plötzlich wieder auf.
Als Teenager war Damian damals der viel bessere Boxer – und nun will er all das nachholen, was er durch die vielen Jahre hinter Gittern verpasst hat. Adonis ist zwar bereit zu helfen, nimmt den Wunsch nach einer Titelchance aber zunächst nicht ernst. Erst als sich Drago durch eine Attacke bei einer Party schwer verletzt und den bereits angesetzten Megakampf absagen muss, lässt sich Adonis breitschlagen. Damian soll stattdessen beim Titelkampf einspringen. Ein folgenschwerer Fehler, der Adonis schließlich dazu zwingt, doch noch einmal selbst die Boxhandschuhe überzustreifen…
Kann ein „Rocky“-Film ohne Rocky funktionieren? Ja! Vielleicht war es sogar nötig für die „Creed“-Reihe, ab einem gewissen Zeitpunkt ohne Sylvester Stallone auszukommen, um endgültig zu einer eigenen Identität zu finden: Gerade die frühen „Rocky“-Teile waren abseits des Rings immer auch substanzielle Filme über die italo-amerikanische Erfahrung. Michael B. Jordan erarbeitet sich seinen persönlichen Street Cred nun vor allem in den atmosphärisch-stylischen Rückblenden, wenn sich der junge Adonis (Alex Henderson) heimlich aus dem Haus schleicht, um den etwas älteren und von ihm schwer bewunderten Damian (Spence Moore II) zu halboffiziellen Fights zu begleiten. Hier zeigt sich direkt, dass Michael B. Jordan („Nächster Halt: Fruitvale Station“) auch als Regisseur etwas draufhat.
Ähnlich stilsicher sind die Kämpfe, bei denen Jordan und sein Chef-Kameramann Kramer Morgenthau („Thor 2“) nicht nur sehr spektakulär mit Superzeitlupen arbeiten, um beim Impact der Fausthiebe auch wirklich jede einzelne davonfliegende Schweißperle voll zur Geltung zu bringen. Im abschließenden Kampf gibt es zudem noch einen ganz besonderen, fast schon ein wenig ins Surreale kippenden Moment, um die volle Fokussierung der Fighter auf ihren Kontrahenten auch visuell greifbar zu machen. Aber die Gänsehaut, die man ja gemeinhin mit der „Rocky“-Reihe verbindet, bleibt diesmal gerade auch im großen Finale aus – und das liegt (nicht nur) im selbstbewussten Verzicht auf die „Rocky“-Fanfare begründet.
Nach seinem großartigen Auftritt als Kang in „Ant-Man 3“ brilliert Jonathan Majors in „Creed 3“ nun direkt noch einmal in der Rolle des Antagonisten.
Wie erst vor wenigen Wochen in „Ant-Man And The Wasp: Quantumania“ dominiert Jonathan Majors auch in „Creed III“ von der ersten Sekunde an die Leinwand. Man spürt, dass sein Damian, der sich zwar etwas verdruckst-leise, aber deshalb nicht weniger bestimmt an Adonis wendet, nach all den Jahren unbedingt seine Chance ergreifen will – und so drückt man als Zuschauer*in auch ihm und nicht etwa Adonis‘ Schützling Felix Chavez die Daumen. Selbst wenn sich Damian im Kampf auf die Verletzungsschwachstellen seines Gegners konzentriert, wirkt dieses analytische Vorgehen eher clever als böse – und wenn er nur wenige Wochen nach seiner Knastentlassung tatsächlich in einem Weltmeisterschaftskampf besteht, dann ist das genau die Underdog-Erfolgsgeschichte, die die „Rocky“-Reihe seit jeher ausmacht. Damian wäre schlichtweg der perfekte Protagonist für „Creed III“ gewesen.
Aber auch so bleibt Damian eine spannende, vielschichtig-ambivalente Figur – zumindest in der ersten Hälfte. Dann nämlich kommt eine Szene am Strand, in der sich Damian ein einziges Mal tatsächlich als „echter“ Bösewicht entpuppt und die auch nicht so recht zum geerdeten Tonfall des sonstigen Films passen will. So sollen die Sympathien des Publikums mit aller Gewalt doch noch von ihm weggezogen werden – hin zu Adonis Creed, der – statt einfach zur Polizei zu gehen – mehr oder weniger aus dem nichts erklärt, dass er nun unbedingt noch einmal Kämpfen müsse. Seine Frau Bianca (bekommt nach starken Rollen in den zwei vorangegangenen Filmen diesmal kaum etwas zu tun: Tessa Thompson) stimmt ihm direkt zu – und schon steht der große Fight an. Der fühlt sich halt nur mit diesem schwachen Vorbau weit weniger zwingend an als die Kämpfe in allen acht „Rocky“- und „Creed“-Filmen zuvor.
Fazit: Michael B. Jordan liefert mit „Creed 3 – Rocky’s Legacy“ ein inszenatorisch wirklich beeindruckendes Regiedebüt. Dazu kommt mit Jonathan Majors als Damian Anderson der zumindest schauspielerisch klar stärkste Widersacher der gesamten „Rocky“-Reihe! Zugleich fühlt sich Adonis Creed aber den ganzen Film hindurch so satt und zufrieden an, dass die ganz großen Emotionen – gerade im Ring – diesmal ausbleiben.