Nicht der beste Film über die schlechteste Fußballnationalmannschaft der Welt
Von Sidney ScheringAls Brasilien 2014 im Halbfinale der Fußball-WM gegen Deutschland 1:7 verlor, war sofort von einer historischen Niederlage die Rede. Dabei waren die sieben Gegentore ja sogar noch harmlos, zumindest wenn man sie mit einer legendären Pleite aus dem Jahr 2001 vergleicht: Damals ging Amerikanisch-Samoa in einem offiziellen WM-Qualifikationsspiel gegen Australien mit 0:31 unter – und schrieb damit unrühmliche Fußballgeschichte. 13 Jahre nach der Schlappe widmete sich die empathische Dokumentation „Next Goal Wins – Das Spiel ihres Lebens“ den Versuchen der verlachten Mannschaft, sich doch noch als fähig zu beweisen. Noch einmal zehn Jahre später liefert Taika Waititi nun noch eine fiktionalisierte Version nach: Aber obwohl in dem „Thor 4“-Regisseur schon immer ein Herz für Underdogs schlug, wirkt seine Fußball-Dramödie „Next Goal Wins“ frustrierend unfokussiert.
Seit dem berüchtigten 0:31 gegen Australien ist die Nationalelf von Amerikanisch-Samoa das Gespött der Fußballwelt. Um bei der Qualifikation für die WM 2014 zu beweisen, dass das Team es besser kann, schreibt Manager Tavita (Oscar Kightley) den Trainerposten neu aus. Und tatsächlich meldet sich jemand – wenn auch unfreiwillig: Der ein privates wie berufliches Tief durchmachende Thomas Rongen (Michael Fassbender) wird dazu gedrängt, die Stelle anzunehmen. Zunächst hat der Niederländer nur Missachtung für den Lebensstil auf der Pazifikinsel und die Teamdynamik seiner in der FIFA-Weltrangliste ganz hinten residierenden Schützlinge übrig. Offenbar muss zunächst einmal das Team seinem Trainer ein paar Lektionen erteilen, bevor dieser die Verbesserung der Mannschaft in Angriff nehmen kann…
Die fußballerischen Fähigkeiten bleiben zweifelhaft. Aber zumindest der Teamgeist ist definitiv vorhanden!
Taika Waititi und sein Co-Autor Iain Morris („The Inbetweeners“) nehmen sich allerlei kreative Freiheiten heraus. Dass nicht alles, was im Film gezeigt wird, so tatsächlich vorgefallen ist, erklärt auch der vom Regisseur persönlich gespielte Priester mit auffälligem Überbiss, der zugleich als nuschelnder Erzähler fungiert und in dieser Funktion gleich zu Beginn betont, dass dies keine dieser Geschichten sei, in denen ein weißer Mann einer indigenen Gruppe zeigt, wo es lang geht. Das zu betonen, erscheint allerdings als unnötig-defensiver Spielzug, denn selbst den größten Fußballmuffeln sollte von Beginn an klar sein, dass der ansonsten vor allem in den USA beschäftigte Rongen hier nicht über Nacht ein Spitzenteam aus dem Boden stampfen wird. Dieser Drang, das Offensichtliche sicherheitshalber auch auszuformulieren, bremst den Film immer wieder aus.
Obendrein lässt Waititi diesmal sein bewährtes Gespür für ebenso abrupte wie wirksame tonale Wechsel vermissen, mit dem er zuvor bereits die Hitler-Satire „Jojo Rabbit“ und das Ausreißer-Abenteuer „Wo die wilden Menschen jagen“ veredeln konnte: (Der fiktionalisierte) Rongen wird als absolutes Klischee-Abziehbild eines aufbrausenden Trainers geschildert – dazu basieren seine Trainingsmethoden nahezu ausschließlich auf anderen Sportfilmen. Ein Gag, der schnell alt wird, wenn selbst eine Episode der Nostalgie-Serie „Cobra Kai“ ihrem Publikum weniger „Karate Kid“-Referenzen entgegenschleudert als „Next Goal Wins“.
Wenn dieser Coach dann urplötzlich Nähe zulässt, bleibt der aus Waititis besseren Filmen gewohnte, schmerzlich-kummervolle Schockeffekt aus. Stattdessen wird selbst die tragische Hintergrundgeschichte des realen Rongen genauso oberflächlich vermittelt wie dessen Erkenntnis, dass er die Welt womöglich ebenso entspannt sehen sollte wie seine Schützlinge. Solchen eher seichten Passagen, in denen der Film andere Sportkomödien wie „Mighty Ducks“, „Cool Runnings“ oder „Eddie The Eagle“ mechanisch imitiert, stehen parodistische Sequenzen gegenüber, in denen Waititi typische Momente des Underdog-Kinos pointiert auf den Arm nimmt, etwa mit einer absichtlich glanzlosen Montage oder einer auffällig antiklimaktischen Motivationsrede.
Auch die verschachtelte Erzählweise, mit der der Ausgang eines wichtigen Spiels offenbart wird, ist erfrischend-selbstironisch – und als pfiffig-pathetischer Kommentar auf die übliche Heldenverehrung des Genres ziemlich sympathisch. Allerdings macht es sich Waititi dabei auch ganz schön leicht, indem er die Mannschaft noch einmal deutlich unkoordinierter und untrainierter darstellt, als es das echte Nationalteam von Amerikanisch-Samoa zu jener Zeit war.
Thomas Rongen (Michael Fassbender) hat zu Beginn aber mal so gar keinen Bock auf seinen neuen Job!
Solche Witze über mangelnde Fitness schmälern zugleich ein wenig die Kraft des thematischen roten Fadens: Denn die meiste Zeit über wird in „Next Goal Wins“ durchaus wirkungsvoll gegen die Häme ob des sportlichen Versagen gewettert – und dabei mit einfallsreichen Argumenten um empathische Perspektivwechsel gebeten: So habe Nicky Salapu (Uli Latukefu), in der Presse bekannt als „der einsamste Torwart aller Zeiten“, zwar 31 Kisten in einem Spiel kassiert. Zugleich sollte man aber auch bedenken, dass er in seiner Karriere absurd viele Torchancen verhindern konnte!
In solchen Momenten, in denen Waititi und Morris dem Drang widerstehen, durchweg alles sarkastisch kommentieren zu müssen, zeigt sich, dass der „5 Zimmer Küche Sarg“-Regisseur seinen Groove nicht verloren hat. Da wirkt die Phrase „Dabei sein ist alles“ nicht länger abgedroschen, sondern wird überzeugend abgewandelt: Dabei zu sein ist zwar nicht alles, wohl aber, dabei zu sein und sich währenddessen in der eigenen Haut wohlzufühlen. Während Rongens überhastete Charakterentwicklung dem zweifach oscarnominierten Michael Fassbender („Der Killer“) wenig abverlangt, gerät ein anderer Handlungsfaden ungleich emotionaler: Von Kaimana mit Verve und Herzlichkeit gespielt, erweist sich Jaiyah Saelua als der verkörperte Teamgeist der Mannschaft und leistet sich zudem ein erfolgreiches Willensstärke-Kräftemessen mit dem hitzköpfigen Coach.
Womöglich wäre Jaiyah (Kaimana) die spannendere Hauptfigur gewesen.
„Next Goal Wins“ wird so auch zu einem kleinen Denkmal für Jaiyahs erkämpfte Position in der FIFA-Geschichte: Sie war die erste Person, die dem in der polynesischen Kultur üblichen Gender der Faʻafafine angehört und an einer WM-Qualifikation teilnahm. Darüber, dass „Next Goal Wins“ zugunsten größerer Konflikte auf die erbaulich-leichte Selbstverständlichkeit verzichtet, mit der die gleichnamige Doku damals auf Jaiyah einging, lässt sich vielleicht streiten. Offensichtlich ist derweil, dass der anfängliche Seitenhieb auf White-Savior-Geschichten noch cleverer wirken würde, stünde anschließend tatsächlich die samoanische Verteidigerin statt des dauermeckernden Klischee-Trainers im Fokus.
Fazit: Müde Sportkomödie? Amüsante Genre-Persiflage? Ehrliche Hymne auf Underdogs? Aufgesetzt-sarkastischer Selbstkommentar? Taika Waititi dribbelt dieses Mal zu wild und ungelenk umher, als dass er mit „Next Goal Wins“ den nächsten Volltreffer landen könnte.