Eher ambitioniertes Fernsehen als großes Kino
Von Jochen WernerDas Spielfilmdebüt der Dokumentarfilmemacherin Wendla Nölle beginnt mit einem Ende: Der Universitätsprofessor Erik (Rolf Lassgård) geht in den Ruhestand – und man merkt sofort, dass er sich mit diesem Gedanken noch nicht wirklich arrangiert hat. Ein Rentner sei doch noch nicht automatisch ein alter Mann, entgegnet er seiner Frau Juditha (Dagmar Manzel) – und während die davon ausgeht, dass Erik fortan viel Zeit für sie und das gemeinsame Zuhause habe, stürzt dieser sich geradezu getrieben in die Suche nach neuen Projekten für die ungewohnte Freizeit. Er bewirbt sich sogar (vergeblich) auf eine Stelle im heimischen Malmö und schreibt sich schließlich, zumindest kurzzeitig, für einen Universitätsstudiengang in erneuerbaren Energien ein. Das habe er schließlich schon immer einmal machen wollen, während die enttäuschte Juditha nur entgeistert erwidert, dass dann alles doch nie ein Ende haben werde.
Die Auseinandersetzung mit dem Gedanken an die Endlichkeit von allem steht überhaupt im Zentrum von „Ein großes Versprechen“. Juditha ist an Multipler Sklerose erkrankt – und während sie sich anfangs noch mit Mühe und einem Gehstock bewegen kann, ist sie bald auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Bedürfnisse des Ehepaares streben existenziell auseinander: Während sich Juditha voller Scham und Verzweiflung über das zunehmende Versagen ihres Körpers immer mehr aus der Welt zurückzieht und von Erik erwartet, sich gemeinsam mit ihr zu verbarrikadieren und sich in der Pflege aufzuopfern, zieht es diesen aus dem immer unerträglicher empfundenen Rückzug heraus. Sich selbst scheint Erik immer wieder beweisen zu müssen, dass er noch am Leben ist und sich nicht bloß in einem zum Gefängnis gewordenen Eigenheim aufs Sterben vorbereitet.
Vor allem Dagmar Manzel liefert in „Ein großes Versprechen“ ein zutiefst ergreifende Performance ab.
Am nachdrücklichsten bleibt aus „Ein großes Versprechen“ das Spiel von Dagmar Manzel in Erinnerung. Wie ein verwundetes Tier beißt ihre Juditha um sich und greift dabei voll ungerichteter Wut vor allem diejenigen an, die ihr zu helfen versuchen. Haushaltshilfen, Krankenpfleger, Erik selbst, der mit mitunter äußerst unsensibler Selbstverständlichkeit auf die körperlichen Einschränkungen seiner Frau reagiert, während diese selbst noch vergeblich mit der Akzeptanz dieser Limitationen ringt. Denn solange Juditha noch hartnäckig (und mehr und mehr vergeblich) versucht, den fortschreitenden Kontrollverlust über ihren Körper zu verleugnen, kann sie die Einrichtung einer behindertengerechten Wohnung, das Engagement einer häuslichen Pflegekraft oder den Erwerb eines kostspieligen Luxusrollstuhls nur als Affront gegen ihre verlorengehende Selbstbestimmung empfinden.
Die destruktive Beziehungsdynamik, die so geradezu unvermeidlich zwischen zwei eigentlich nach wie vor in zärtlicher Zuneigung verbundenen Ehepartner*innen entsteht, ist im Kern interessant und gut getroffen, insbesondere weil der Film sich nicht auf eine Seite stellt. Die Bedürfnisse von Juditha und Erik sind für sich jeweils existenziell und bedeutsam, beide ringen auf ihre Weise mit der Vergänglichkeit, dem Alter und letztlich dem Näherrücken des Todes. Ein bisschen schade ist es dabei nur, dass der gemeinsamen Tochter Sophie (Anna Blomeier) nicht etwas mehr eigener Raum in diesem Beziehungsgeflecht gegeben wird – gerade auch, da die Regisseurin Wendla Nölle den Stoff als autobiografische Geschichte der eigenen Eltern bezeichnet. Ihrer Stellvertreterin in dieser filmischen Adaption der eigenen Biografie kommt jedoch kaum mehr als die Rolle einer Stichwortgeberin zu. Das liegt auch daran, dass Juditha und Erik sie zu ihrem Schutz komplett außenvorlassen. Was dieses Verschweigen und diese Sprachlosigkeit jedoch mit der Eltern-Kind-Beziehung machen, das ist durchaus eine wichtige Konfliktlinie in der geschilderten Konstellation – und sie nicht derart auszusparen hätte den familiären Beziehungen im Zentrum des Films noch einmal zusätzlich Tiefe verliehen.
Das ist allerdings nur ein Teilaspekt, der zum am Ende trotz einiger anrührender Momente doch wenig überzeugenden Gesamteindruck von „Ein großes Versprechen“ beiträgt. Das zentrale Problem von Nölles Film ist vielmehr, dass er überhaupt keine ästhetische Idee hat und seine Geschichte viel zu uninspiriert heruntererzählt. Angesichts der vorgenommenen Themen kommt man wohl nicht umhin, an Michael Hanekes Demenzdrama „Liebe“ zu denken – und völlig unabhängig davon, wie man zu diesem stehen mag: Es besteht kein Zweifel, dass Haneke seinen Film fürs Kino gedacht und gemacht hat.
Vom Gedanken an die große Leinwand fehlt in Nölles Film hingegen jede Spur, eher fühlt sich „Ein großes Versprechen“ wie ein leicht gehobener Fernsehfilm an. Auch die Besetzung deutet darauf hin, sind doch sowohl die hier allerdings tatsächlich über sich hinauswachsende Dagmar Manzel als auch der Schwede Rolf Lassgård dem deutschen TV-Publikum vor allem als Fernsehkommissar*innen bekannt.
Fazit: Obgleich die geschilderte Beziehungsdynamik mit ihrem Verzicht auf einfache Lösungen oder moralische Schwarz-Weiß-Schemata einiges Potenzial für einen wirklich erschütternden, tiefgreifenden Film hat, überzeugt „Ein großes Versprechen“ leider nicht wirklich. Ästhetisch bleibt das alles allzu flach, weshalb am Ende vor allem das wirklich ergreifende Spiel von Hauptdarstellerin Dagmar Manzel in Erinnerung bleibt. Im Abendprogramm des Öffentlich-Rechtlichen Fernsehens würde Wendla Nölles Film vermutlich positiv herausstechen, fürs Kino ist das leider etwas zu wenig.