Ein ganz heißes Eisen – ganz vorsichtig angepackt
Von Michael MeynsDer Umgang der Deutschen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit wird mit den Jahren vielschichtiger, aber auch komplizierter. Längst ist nicht mehr nur von deutschen Täter*innen, sondern auch von deutschen Opfern die Rede. Da die Balance zu halten ist so schon schwierig genug, aber was, wenn es um jüdische Täter*innen geht? Zum Beispiel Stella Goldschlag, eine jüdische Deutsche, die Anfang des Zweiten Weltkrieges als sogenannte Greiferin agierte und andere Juden und Jüdinnen an die Nazis verriet, wenn auch unter erheblichem Druck der Gestapo. Als deutscher Regisseur über so eine Figur einen Film zu drehen, ist angesichts der Ambivalenz des Subjektes gleichermaßen spannend wie heikel. Kilian Riedhof („Meinen Hass bekommt ihr nicht“) ist dieses Wagnis mit „Stella. Ein Leben.“ eingegangen – und hat einen Film gedreht, der mit allergrößter und bisweilen auch allzu großer Vorsicht um seine faszinierende Hauptfigur kreist.
Stella Goldschlag (Paula Beer) wird 1922 in Berlin-Charlottenburg in bürgerlichen Verhältnissen geboren. Ende der 30er Jahre träumt sie davon, als Jazz-Sängerin im fernen Amerika Erfolge zu feiern. Doch Stella ist Jüdin und spätestens mit Beginn des Zweiten Weltkriegs geht es für sie, ihre Eltern (Katja Riemann und Lukas Miko) und ihre jüdischen Freunde nicht mehr um persönliche Entfaltung, sondern nur noch ums Überleben. Bis 1943 gelingt es Stella, unentdeckt in Berlin zu leben – auch mit Hilfe des Passfälschers Rolf Isaakson (Jannis Niewöhner). Dann jedoch wird Stella von der Gestapo verhaftet, gefoltert und steht vor der Wahl: Sofort nach Auschwitz deportiert werden oder sich für die Nazis als Greiferin verdingen und andere jüdische Menschen verraten. Auch um ihre Eltern zu retten, wählt Stella die zweite Möglichkeit und schafft es so, den Krieg zu überleben…
Stella Goldschlag (Paula Beer) zahlt für ihr Leben im Champagner-Braus einen hohen Preis.
Eine Unbekannte war Stella Goldschlag nicht, dennoch ist sie erst in den letzten Jahren zu einer fast schon omnipräsenten Figur in deutschen Filmen und Romanen geworden: Der Journalist und Autor Takis Würger schrieb den Roman „Stella“, im Fernseh-Dokudrama „Die Unsichtbaren – Wir wollen Leben“ taucht sie auf, die deutsche Regisseurin Feo Aladag plant eine Serie über sie – und schon eine ganze Reihe von Jahren zuvor diente sie Joseph Kanon in seinem Roman „The Good German“ für eine Figur als Inspiration, die in der Verfilmung von Steven Soderbergh von Cate Blanchett verkörpert wurde.
Nun also „Stella. Ein Leben.“ gedreht von einem Regisseur, der bislang vor allem für seine Fernsehfilme „Gladbeck“ und „Der Fall Barschel“ gefeiert wurde. Klassische Doku-Dramen über erst wenige Jahre zurückliegende Ereignisse waren das, penibel recherchiert, durch Interviews mit Zeitzeug*innen von größter inhaltlicher Genauigkeit. Zusammen mit seinen Schreib-Partnern Marc Blöbaum und Jan Braren hat Riedhof auch diesmal ein Drehbuch verfasst, das augenscheinlich sehr genau recherchiert ist – so genau eben, wie das bei einer Geschichte eben möglich ist, die gut 80 Jahre zurückliegt und eine Hauptfigur hat, die seit knapp 30 Jahren tot ist.
Das Ergebnis ist eine über weite Strecken trockene Aneinanderreihung von Szenen, eine „und dann und dann und dann-Struktur“, die nach einem Prolog im August 1940 vor allem von Februar 1943 bis Anfang 1944 reicht. In diese Phase fällt Stella Goldschlags Rekrutierung durch einen Gestapo-Mann, der sie mit der Drohung unter Druck setzt, ihre Eltern nach Auschwitz zu deportieren. Dass ein junges Mädchen an dieser Stelle alles tut, um ihre Eltern zu retten, mag man ihr kaum verdenken, hier ist sie ganz klar „Täterin und gleichzeitig Opfer eines menschenverachtenden Systems“, wie es am Ende auf einer Texttafel heißen wird. Interessant und ambivalent wird die Figur Stella aber dadurch, dass zumindest in Berichten von Augenzeug*innen der Eindruck erweckt wird, dass Stella auch mit einem gewissen Vergnügen agiere, ihre persönlichen Vorteile genieße.
Mit einem Nicken im Café, mit dem sie eine andere jüdische Person an die wartenden Gestapo-Beamten verrät, erkauft sich Stella nämlich nicht nur ihr Leben und das ihrer Eltern, sondern auch noch ein Leben in Luxus und Exzess. Denn man darf nicht vergessen: Auch als der Krieg tobte, ging das Leben in der Hauptstadt Berlin weiter, zwar nicht in völliger Normalität, aber wohl gerade durch das ständige Gefühl der Gefahr mit besonderem Verve. Schließlich konnte jede Party die letzte sein.
Um sich und ihre Eltern vor dem KZ zu bewahren, wird Stella zur spionierenden Verräterin.
Dass sich Stella Goldschlag ihre Teilnahme an diesem Exzess mit dem Verrat an Juden und Jüdinnen erkauft, wäre nun ein faszinierendes Beispiel moralischer Ambivalenz, das Kilian Riedhof in wenigen Momenten seines Films auch streift. In einigen Szenen, in denen Stella mit ihrem Lover, dem exzentrischen Passfälscher Rolf Isaakson, einen Tanz auf dem Vulkan erlebt, wagt es Riedhof, mit dem Feuer zu spielen: Exzessive Momente erlebt das Liebespaar im nächtlichen Berlin, in dem fast jede Nacht der Himmel brennt, die Fliegerbomben einschlagen, aber auch der Champagner fließt, zumindest wenn man ihn sich leisten kann. In solchen Szenen wirkt Stella eher als Täterin, doch sie so zu zeigen, dass ist dann offenbar doch zu heikel.
Vielleicht auch deswegen wird die Nachkriegszeit in „Stella. Mein Leben.“ nur kursorisch abgehandelt. Denn nach zehn Jahren im Gefängnis lebte Stella bis 1994 weitestgehend unbescholten im beschaulichen Breisgau – sie konvertierte zum Christentum und entwickelte sich zur bekennenden Antisemitin. Ausführlich von so einem seltsamen Sinneswandel zu erzählen, wäre jedoch vermutlich zu viel, mehr als ganz vorsichtig Ambivalenzen anzudeuten, scheint kaum möglich. So bleibt „Stella. Ein Leben.,“ ein am Ende unbefriedigender Film, der sich zwar einer in vielerlei Hinsicht hochspannenden und komplexen Person annimmt, dabei jedoch mit übergroßer Vorsicht vorgeht und seine Heldin (?!) nur mit Samthandschuhen anfasst.
Fazit: Aus dem Leben der Stella Goldschlag hätte ein komplexer, vielschichtiger Film über moralische Ambivalenzen werden können. Kilian Reidhofs „Stella. Ein Leben.“ agiert jedoch allzu vorsichtig und begnügt sich weitestgehend mit einem distanzierten Nacherzählen von Fakten.